Auf die Frage, ob sich jener X. K. Z. augenblicklich in Chicago befinde oder bereits nach dem District Columbia abgereist sei, hatte kein Mensch antworten konnen. Und doch verdient es Washington, wenn es auch nur der Mittelpunkt der Bundesverwaltung und ohne Industrie und Handelsverkehr ist, ganz gewi?, ihm wenigstens einige Tage zu opfern.
In freundlicher Lage, unsern der Vereinigung des Potamac und der Anacostia, sowie durch die Chesapeakebai mit dem Ocean verbunden, zahlt die Bundeshauptstadt, selbst au?er der Zeit, wo die Tagung des Congresses ihre Bevolkerung fast verdoppelt, nicht weniger als zweihundertfunfzigtausend Einwohner. Zugegeben, da? der Bundesbezirk so beschrankt ist, da? er die letzte Stelle unter den Staaten der amerikanischen Republik einnimmt, so entspricht die Stadt nichtsdestoweniger ihrer hohen Bestimmung. Zuerst bestand sie eigentlich nur aus ihren gro?ten Bauwerken, die auf den Gebieten der Tuscazoras und der Monacans errichtet worden waren; jetzt aber hat sie sich schon uber mehrere benachbarte Orte hin ausgedehnt.
Der siebente Partner hatte, wenn er damit noch nicht bekannt war, die herrliche Architektur ihres Capitols auf seinem nach den Potamac zu abfallenden Hugel, die drei Gebaudetheile bewundern konnen, die fur den Senat, die Deputiertenkammer und den Congre? bestimmt sind, worin sich also die gesammte Vertretung des Volkes vereinigt, und daruber die hohe eiserne Kuppel mit der sie kronenden Figur der Amerika, ihre Saulenringe und doppelte Colonnade mit den Basreliefs, die sie schmucken, und den Statuen, die sie beleben.
Wenn er das Wei?e Haus nicht kannte, so hatte er unter den vom Capitol ausstrahlenden Alleestra?en die Pennsylvaniastra?e wahlen konnen, die geraden Weges zur Residenz des Prasidenten – eine bescheidene, demokratische Wohnstatte – fuhrt, die sich zwischen den Gebauden des Schatzamtes und mehrerer Ministerien erhebt.
Wenn er das Denkmal Washington’s nicht kannte, so wurde er den hundertsiebenundfunfzig Fu? (47•8 Meter) hohen Marmorobelisk schon von weitem inmitten der Anlagen am Potamacuser erblickt haben. Kannte er das Bundes-Postamt noch nicht, so hatte er ein in antikem Stile gehaltenes Bauwerk aus wei?em Marmor, vielleicht das schonste Gebaude der prunkreichen Stadt, bewundern konnen.
Und welch angenehme und belehrende Stunden hatte es geboten, durch die reichen, im Patentamt untergebrachten naturhistorischen und ethnographischen Sammlungen der Smitshonian Institution zu wandern, die Museen mit ihrer gro?en Anzahl von Statuen, Gemalden und Bronzen, sowie das Arsenal zu besuchen, wo sich eine Ehrensaule fur die in einem Gefechte vor Algier gefallenen amerikanischen Seeleute erhebt, die die rachedrohende Inschrift: »Verstummelt durch die Englander!« tragt.
Jetzt erfreut sich die Hauptstadt der Vereinigten Staaten eines recht heilsamen Klimas. Das Wasser des Potamac benetzt sie in ausgedehntem Ma?e, ihre zusammen funfzig Lieues (nahezu 195 Kilometer) langen Stra?en, ihre Garten und Parke werden von mehr als sechzigtausend Baumen beschattet – darunter die, die das Invalidenhotel und die Howard-Universitat, den Park des Rechtes und den Nationalfriedhof umgeben, in dem das Mausoleum William I. Hypperbone’s einen ebenso schonen Platz wie in den Oakswoods von Chicago gefunden hatte.
Glaubte X. K. Z. dann endlich, der Bundeshauptstadt einen gro?eren Theil seiner Zeit widmen zu durfen, so wurde er deren Bezirk auch nicht verlassen haben, ohne die nationale Pilgerfahrt nach dem vier Lieues (15•6 Kilometer) entfernten Mount Vernon zu unternehmen, wo ein Verein von Damen fur die Erhaltung des Hauses sorgt, in dem Washington einen Theil seines Lebens verbrachte und zuletzt auch aus diesem schied.
Doch wenn der letzte Partner schon in der Hauptstadt der Union eingetroffen war, hatte wenigstens noch keine Zeitung seine Anwesenheit gemeldet.
»Und diese gelbe Flagge?… fragte Max Real weiter, indem er auf die wies, die inmitten des funfunddrei?igsten Feldes angebracht war.
– Das ist die Flagge Lissy Wag’s, liebes Kind.«
Diese Flagge wehte namlich vorlaufig noch uber Kentucky, denn am 1. Juni hatte der verderbliche Schlag, der Lissy Wag in das Gefangni? von Missouri schickte, diese noch nicht getroffen.
»Ah, eine reizende junge Dame! rief Max Real. Ich sehe sie noch immer verlegen und errothend bei dem Begrabnisse William I. Hypperbone’s und ebenso auf der Buhne des Auditoriums!… Wahrlich, war’ ich ihr begegnet, ich hatte ihr meine Gluckwunsche zu ihrem schlie?lichen Erfolge wiederholt…
– Nun, und an den Deinigen denkst Du gar nicht, Max?
– O naturlich, auch zu dem meinigen, Mutter!… Wir sollten alle beide die Partie gewinnen… da wurde ehrlich getheilt. Hurrah, das ware ein hinlanglicher Erfolg!
»Wer ist nun, fragte er zuerst diese blaue Flagge…?« (S. 333)
– Ja, ware das denn moglich?
– Nein, leider eigentlich nicht, und doch kommen in dieser Zeitlichkeit so au?erordentliche Dinge vor…
– Du wei?t, Max, wie niemand daran glauben wollte, da? sich Lissy Wag uberhaupt an der Partie betheiligen konnte…
Washington – Das Capitol.
– Ja, das arme Madchen war schwer erkrankt, und mehr als einer von den »Sieben« freute sich wohl im stillen daruber. Ich aber nicht, Mutterherz, ich gewi? nicht!… Zum Gluck hatte sie eine Freundin, die sie bestens gepflegt und ihre Genesung befordert hat… jene Jovita Foley… die in ihrer Art ebenso entschlossen ist, wie der Commodore Urrican. Wann wird denn zum nachstenmale fur Lissy Wag gewurfelt?
– In funf Tagen, am 6. Juni.
– Na, wir wollen hoffen, da? meine hubsche Partnerin den Gefahren des Weges entgeht, da? sie sich nicht in das Labyrinth von Nebraska, in das Gefangni? von Missouri oder in das Death Valley verirrt! Gluck auf dem Wege!… Ja, das wunsch’ ich ihr von ganzem Herzen!«
Entschieden dachte Max Real manchmal an Lissy Wag… sogar recht oft und ohne Zweifel zu oft, wie Frau Real, erstaunt uber die Warme, mit der er von dem jungen Madchen sprach, sich vielleicht im stillen sagte.
»Und Du fragst gar nicht, wer die grune Flagge ist, Max? nahm sie wieder das Wort.
– Die, die auf dem zweiundzwanzigsten Felde befestigt ist, liebe Mutter?
– Ja, das ist die Flagge des Herrn Kymbale.
– O, ein wackerer, liebenswurdiger Mann, dieser Journalist, bemerkte Max Real, der, so viel ich habe sagen horen, die Gelegenheit benutzt, vom Lande zu sehen, so viel…
– Ganz recht, mein Kind, und die »Tribune« bringt fast taglich Berichte von seiner Feder.
– Da werden sich seine Leser nicht zu beklagen haben, und wenn er etwa noch tief nach Oregon oder Washington hineinkame, durfte er diesen merkwurdige Dinge zu erzahlen haben.
– Er ist aber ziemlich weit zuruckgeblieben.
– Das hat bei unserem Spiele nicht viel zu bedeuten, antwortete Max Real. ein einziger glucklicher Wurf, und man uberholt die anderen Spieler.
– Ja freilich, das ist wohl moglich.
– Wer ist nun die Flagge hier, die scheinbar ganz traurig noch auf dem vierten Felde steht?
– Das ist Hermann Titbury.
– Ach, der schreckliche Mensch! rief Max Real. Der wird schon wuthen, weil er der letzte… und der gute letzte ist!
– O, er ist zu bedauern, Max, wirklich zu bedauern, denn er hat auf zweimaliges Wurfeln nur vier Schritte vorwarts thun konnen, erst weit hinein nach Maine und von da nach dem entlegenen Utah!«
Heute, am 1. Juni, konnte noch niemand wissen, da? das unbeliebte Ehepaar nach seinem Eintreffen in Great Salt Lake City alles mitgefuhrten Reisegeldes beraubt worden war.
»Und doch beklage ich ihn nicht! sagte Max Real. Nein, das geizige Paar ist zu unsympathisch, und ich bedauere nur, da? es bisher noch keinen tuchtigen Einsatz zu bezahlen gehabt hat…
– Du vergi?t, da? dem Manne in Calais eine hohe Geldbu?e auferlegt worden ist, bemerkte Frau Real.
– Desto besser, und diese Summe wird der Halsabschneider nicht erst haben stehlen konnen! Ich wunsche wahrhaftig, da? fur ihn wiederum die geringste Augenzahl, eins und eins, geworfen wird Damit kame er nach dem