wenn ich sie auch nicht verstehen kann. Ich bin sehr froh, da? wir uns ausgesprochen haben. Durchaus moglich, da? Sie mir irgendwann Ihre Ansichten naher zu Gehor bringen, und gar nicht ausgeschlossen, da? Sie mich dadurch zwingen, die meinen zu revidieren. Die Menschen neigen dazu, Fehler zu begehen. Moglicherweise begehe
»Man wird ja sehen«, sagte Rumata und verlie? den Raum. So ein Speichellecker! dachte er. Das ware mir der richtige Mitarbeiter. Schulter an Schulter …
Die Stadt war vom unertraglichen Terror bis ins Mark erschuttert. Die blutrote Morgensonne erleuchtete eine dustere Szenerie von menschenleeren Stra?en, rauchenden Ruinen, heruntergerissenen Fensterladen und eingeschlagenen Turen. Im Stra?enstaub funkelten blutige Glassplitter. Unzahlige Krahenschwarme lie?en sich auf die Stadt nieder wie auf einem Kirchhof. Auf den offenen Platzen und Wegkreuzungen trotteten zu zweit und zu dritt schwarze Reiter umher. Mit langsamen Bewegungen walzten sie den ganzen Korper in ihren Satteln hin und her. Auf hastig in die Erde gerammten Pflocken hingen angekohlte Korper uber verglimmenden Scheiterhaufen. Es hatte den Anschein, als sei in der Stadt nichts Lebendiges ubriggeblieben – nur die ekelhaft schreienden Krahen und die geschaftigen Schlachter in Schwarz.
Gut die Halfte des Weges legte Rumata mit geschlossenen Augen zuruck. Er rang nach Luft, sein zerschundener Korper schmerzte rasend. – Sind das nun Menschen oder nicht? Was ist an ihnen noch menschlich? Die einen schlachtet man auf offener Stra?e ab, andere sitzen in ihren Hausern und warten gehorsam, bis sie an der Reihe sind. Und jeder denkt dabei: Wen auch immer, nur nicht mich. Kaltblutige Bestialitat der Schlachter und kaltblutiger Gehorsam der Abgeschlachteten. Stupide Kaltblutigkeit, das ist das Allerschrecklichste. Starr vor Schreck stehen zehn Leute und warten gehorsam, und einer geht heran, sucht sich sein Opfer aus und schneidet ihm kaltblutig die Gurgel durch. Die Seelen dieser Menschen strotzen vor Schmutz, und jede Stunde gehorsamen Abwartens verunreinigt sie mehr und mehr. Unversehens werden eben in diesen geduckten Hausern niedertrachtige Schurken geboren, Denunzianten und Morder. Tausende Menschen, die fur ihr ganzes Leben von Angst und Schrecken zerruttet sind, werden ihre Kinder Angst und Schrecken lehren und die Kinder ihrer Kinder. – Ich kann nicht mehr, sagte Rumata immer wieder vor sich hin. Es fehlt nicht viel, und ich verliere den Verstand und werde so wie diese Leute; noch ein wenig, und ich hore endgultig auf zu verstehen, warum ich eigentlich hier bin … Ich mu? Abstand gewinnen, einmal allem den Rucken kehren, ein bi?chen zur Ruhe kommen … » … Am Ende des Jahres des gro?en Wassers – in irgendeinem Jahr nach der neuen Zeitrechnung – nahmen die zentrifugalen Prozesse im alten Imperium Uberhand. Indem er sich diese Zukunft zunutze machte, gab der Heilige Orden, der seinem Wesen nach die Interessen der reaktionarsten Gruppen der feudalen Gesellschaft vertrat, die mit allen Mitteln danach strebten, den allgemeinen Verfall zum Stillstand zu bringen …« – Aber wie stanken die verglosenden Leichen an den Pfahlen, wi?t ihr das? Habt ihr jemals eine nackte Frau mit aufgeschlitztem Bauch gesehen, die sich im Stra?enstaub walzt? Habt ihr schon Stadte gesehen, wo die Menschen schweigen und nur die Krahen schreien? Ihr, die noch ungeborenen Jungen und Madchen, vor den Didaktoskopen der Schulen in der kommunistischen Republik Arkanar?
Er stie? mit der Brust an etwas Spitzes und Hartes. Vor ihm stand ein schwarzer Reiter. Ein langer Speer mit breiter, exakt gezahnter Klinge druckte sich gegen seine Brust. Aus den schwarzen Schlitzen seiner Kapuze blickte ihn der Reiter schweigend an. Hinter der Kapuze konnte man nur einen Mund mit dunnen Lippen und ein kleines Kinn erkennen. Ich mu? jetzt irgendwas tun, dachte Rumata. Aber was? Ihn aus den Sattel werfen? Nein. Der Reiter nahm langsam seine Hand zuruck, um zum Sto? auszuholen. Ach ja …! Rumata hob nachlassig die linke Hand empor und schlug den Armel zuruck. Ein eiserner Armreif kam zum Vorschein, den man ihm beim Verlassen des Palastes ausgehandigt hatte. Der Reiter sah naher hin, zog seinen Speer zuruck und gab den Weg frei. »Im Namen des Herrn«, sagte er mit fremdklingendem Akzent. »In seinem Namen«, murmelte Rumata. Er ging an einem andern Reiter vorbei, der gerade damit beschaftigt war, die kunstvoll geschnitzte Figur eines lustigen Teufelchens mit seinem Speer von einem Dachfirst herabzuschlagen. Im ersten Stock flimmerte hinter halb herabgelassenen Fensterladen ein vor Schreck entstelltes dickes Gesicht – wahrscheinlich das Gesicht eines jener Kramer, die noch vor drei Tagen mit Begeisterung hinter einen Krug Bier »Hurra, Don Reba!« gebrullt hatten und dabei mit Genu? und Wohlgefallen dem Grrrumm, Grrrumm, Grrrumm der genagelten Stiefel gelauscht hatten. Ach, Grauheit, Grauheit … Rumata wandte sich ab. Aber was ist bei mir zu Hause? fiel ihm plotzlich ein, und er beschleunigte seinen Schritt. Das letzte Stuck rannte er fast. Das Haus war unversehrt. Auf der kleinen Freitreppe sa?en zwei Monche. Sie hatten ihre Kapuzen abgelegt und reckten ihre schlechtrasierten Kopfe der Sonne entgegen. Als sie ihn erblickten, standen sie auf. »Im Namen des Herrn«, sagten sie im Chor. »In seinem Namen«, antwortete Rumata, »was habt ihr hier zu suchen?« Die Monche verneigten sich und falteten die Hande uber dem Bauch. »Sie sind gekommen, und wir gehen«, antwortete einer. Sie gingen die Stufen hinab und schlenderten ohne besondere Eile davon, die Hande kreuzweise in den Armeln. Rumata blickte ihnen nach und erinnerte sich, da? er schon tausendmal diese demutigen Figuren in langen schwarzen Kutten auf der Stra?e gesehen hatte. Doch hatten sie fruher nicht die Scheiden von schweren Schwertern im Staub nachgezogen. Das haben wir verpa?t. Ach, und wie wir das verpa?t haben, dachte er. Was war das doch fur eine kostliche Zerstreuung fur die edlen Dons, wenn sie sich an einen einsam dahinwandelnden Monch heranmachten und sich uber seinen Kopf hinweg pikante Geschichten erzahlten. Und ich Esel habe mich betrunken gestellt, bin ihnen nachgegangen, habe aus voller Kehle gelacht und mich so gefreut, da? das Reich zumindest nicht von religiosem Fanatismus erschuttert war … Aber was hatte man tun sollen? ja, was hatte man tun sollen?