»Es ist mir eine Ehre, edler Don.«
Jeder machte eine Verbeugung. Offenbar hatte Don Tameo seinen Durst vom Vormittag noch immer nicht gestillt. Aus seiner machtig breiten, gelben Hose zog er ein kleines Flaschchen feinster Qualitat heraus.
»Wunschen Sie nicht vielleicht?« kam sein Angebot mit eleganter Geste.
»Schonen Dank«, sagte Rumata.
»Rum!« erklarte Don Tameo. »Echter Rum aus der Hauptstadt! Ich habe ihn mit Gold bezahlt!«
Sie stiegen hinunter zur Mullgrube. Mit zugehaltener Nase schritten sie durch Abfallhaufen, vorbei an toten Hunden und stinkenden Pfutzen, in denen es vor wei?en Wurmern brodelte. In der Morgenluft hing ein ununterbrochenes Gebrumm von Millionen smaragd-farbener Fliegen.
»Eigenartig«, sagte Don Tameo und verschlo? die Flasche, »hier bin ich noch nie gewesen.«
Rumata schwieg.
»Don Reba hat mich schon immer entzuckt«, sagte Don Tameo. »Ich wu?te ja, da? er den nichtswurdigen Monarchen vom Thron fegen wurde, uns neue Wege bereitet und neue Perspektiven eroffnet.« Bei diesen Worten rutschte er mit einem Bein in eine gelbgrune Pfutze, bespritzte sich von Kopf bis Fu?, hielt sich aber sogleich an Rumata fest, um nicht der Lange nach hineinzufallen. »Ja!« fuhr er fort, als sie wieder festen Grund unter den Beinen hatten. »Wir, die junge Aristokratie, wir werden immer auf seiten Don Rebas stehen! Jetzt wird man uns endlich den notigen Respekt entgegenbringen. Urteilen Sie doch selbst, Don Rumata, jetzt gehe ich schon eine ganze Stunde durch Gassen und Garten und habe noch keinen einzigen Grauen angetroffen. Wir haben das Graue Geschmei? vom Angesicht der Erde hinweggefegt – und wie su? und frei kann man jetzt atmen im neugeborenen Arkanar! Anstatt der ungehobelten Kramer, anstatt dieser frechen Gauner und Bauerntolpel sind nun die Stra?en voll von Dienern des Herrn. Ich habe es gesehen: Einige Adelige zeigen sich bereits ganz frei vor ihren Hausern. Jetzt mussen sie nicht mehr befurchten, da? irgendein dahergelaufener Dummkopf in einem Fuhrmannsschurz sie mit seinem dreckigen Karren beschmutzt. Und man mu? sich nicht mehr erst seinen Weg bahnen durch die Metzger und Kramer wie gestern noch. Erleuchtet vom Segen des Gro?en Heiligen Ordens, fur den ich schon immer gro?e Verehrung und, ich will es gestehen, herzliche Zuneigung empfand, streben wir nun einer unerhorten Blute entgegen: Kein einziger Bauer wird es mehr wagen, seine Augen zu einem Adeligen zu erheben ohne besondere Bewilligung, welche vom Bezirksinspektor des Heiligen Ordens unterzeichnet ist. Ich reiche da eben eine schriftliche Petition aus diesem Anla? ein.«
»Ein ekelhafter Gestank«, sagte Rumata gefuhlvoll. »Ja, scheu?lich«, stimmte Don Tameo zu und verschlo? seine Flasche. »Dafur aber – wie frei atmet man im neugeborenen Arkanar! Und der Weinpreis ist um die Halfte gesunken …« Gegen Ende des Weges hatte Don Tameo seine Flasche bis zum Boden geleert, schleuderte sie von sich und geriet dabei in ungewohnliche Erregung. Zweimal fiel er der Lange nach hin, wobei er sich beim zweitenmal weigerte, sich zu reinigen, indem er erklarte, da? er sundig sei und von Natur aus befleckt, und er wunsche in diesem Zustand vor seinen neuen Herrn zu treten. Wieder und immer wieder begann er aus voller Kehle seine Bittschrift zu zitieren. »Herrlich gesagt!« brullte er. »Nehmen Sie zum Beispiel diese Stelle, edle Dons: >Auf da? die stinkenden Bauern …< Was? Welch gro?er Gedanke!« Als sie in den Hinterhof der Kanzlei traten, stie? er gleich mit einem Monch zusammen, brach in Tranen aus und begann um den Nachla? seiner Sunden zu bitten. Der halberstickte Monch schlug heftig um sich, versuchte um Hilfe zu pfeifen, aber Don Tameo packte ihn an der Kutte, und so fielen sie zusammen in einen Abfallhaufen. Rumata lie? sie liegen und horte beim Weggehen noch lange das klagliche, unterbrochene Pfeifen und Ausrufe: »Auf da? die stinkenden Bauern!… Deinen Se-e-gen!… Aus ganzem Herzen!… Zuneigung habe ich empfunden, Zuneigung, verstehst du das, du Bauernlummel?«
Auf dem Platz vor dem Eingang zur Kanzlei stand im Schatten des quadratischen Turms der Frohlichkeit eine Abteilung von Infanteriemonchen, die mit furchteinflo?enden knotigen Knuppeln bewaffnet waren. Die Toten hatte man weggeschafft. Der Morgenwind jagte gelbe Staubsaulen uber den Platz. Unter dem breiten konischen Dach des Turms schrien und stritten sich wie immer die Krahen – dort, an den hervorragenden Balken, erhangte man die Menschen mit dem Kopf nach unten. Der Turm war vor zweihundert Jahren von den Vorfahren des Konigs erbaut worden, und zwar ausschlie?lich fur Verteidigungszwecke im Kriegsfall. Er stand auf einem festen dreistockigen Fundament, in dem fruher Lebensmittelvorrate fur den Fall einer langerdauernden Belagerung aufbewahrt wurden. Spater verwandelte man den Turm in ein Gefangnis. Aber nach einem Erdbeben brachen alle Decken im Innern zusammen, und man mu?te das Gefangnis in die Keller verlegen. Vor einiger Zeit beschwerte sich eine arkanarische Konigin bei ihrem Gebieter, da? die Schreie der Gefolterten ihre Unterhaltung storten. Daraufhin verfugte der konigliche Gemahl, da? im Turm von fruhmorgens bis spatabends ein Militarorchester spiele. Damals erhielt der Turm seinen jetzigen Namen. Seit langem war der Turm nichts anders als ein leerer Steinkadaver, seit langem schon waren die Folterkammern in die neueroffneten, tiefsten Kellerlocher verlegt, seit langem spielte dort kein Orchester mehr, aber die Burger nannten ihn noch immer den Turm der Frohlichkeit. Gewohnlich war es rund um den Turm menschenleer. Aber heute herrschte hier gro?e Bewegung. Zu ihm hin fuhrte, stie? und zog man am Boden die Sturmowiki in zerfetzten grauen Uniformen, lausige Landstreicher in Lumpen, halbentkleidete, vor Schreck starre Burger und hysterisch schreiende Madchen. Die heruntergekommenen Soldner der Nachtarmee, die murrische Blicke um sich warfen, wurden in ganzen Herden herangetrieben. Und aus Geheimausgangen zog man mit Widerhaken die Leichen heraus, warf sie auf Karren und fuhr sie aus der Stadt. Die letzten in der langen Warteschlange von Hoflingen und verdienten Burgern, die sich noch au?erhalb