»Hm. Bei uns lebt man unter Kuppeln, die Atmosphare ist sehr staubig. Solch eine Morgendammerung gibt es nicht.«

»Wir hatten uberhaupt keine Sonne«, gab Lion zu. »Uber der Station hing eine riesige Plasmakugel zur Beleuchtung. Aber das ist nicht das Richtige. Und sie wurde nie ausgeschaltet, nicht einmal nachts. Nur das Spektrum wurde leicht geandert.«

»Unsere Sonne ist sehr aktiv«, erklarte ich. »Deshalb sind wir etwas mutiert, positiv. Um die Radioaktivitat auszuhalten. Ich vertrage radioaktive Strahlung hundertmal besser als ein gewohnlicher Mensch.«

»Ich habe lediglich die allgemeinmedizinische Mutation, die ubliche…«, erwiderte Lion sauer auf diese Neuigkeiten. »Und die Knochen sind an niedrige Gravitation angepasst. Tikkirej, kannst du schwimmen?«

»Naturlich kann ich das.«

»Gehen wir!«

Er trank mit einem Zug sein Glas leer und stand auf: »Hier ist ein See, zwanzig Minuten zu Fu?. Ein echter, naturlicher See. Die Ufer sind mit Wasserpflanzen zugewachsen und es gibt Fische. Bringst du mir bei, wie man schwimmt?«

»Ich will es versuchen…«

Lion zog mich bereits hinter sich her und redete ohne Pause: »Ich hab meinen Vater gebeten, es mir zu zeigen, und er meinte, dass er keine Zeit habe. Ich glaube, er kann selber nicht schwimmen. Bei uns auf der Station gab es nur zwei Schwimmbecken, beide total winzig. Ich bringe dir auch etwas bei, willst du? Zum Beispiel, wie man sich bei niedriger Gravitation schlagen muss. Da gibt es eine spezielle Kampfart. Und wieso ist dein Gesicht voller Flecken, ist das auch eine Mutation oder eine Krankheit?«

»Das ist eine Allergie.«

»Ah, die hatte ich irgendwann auf Schokolade und Apfelsinen. Gemeinheit, oder? Warum gerade auf Schokolade und Apfelsinen und nicht auf Blumenkohl und Milch…« Gegen Abend war mir klar, dass ich einen neuen Freund gefunden hatte. An einem Tag konnte Lion naturlich nicht schwimmen lernen, aber am Ufer hielt er sich schon uber Wasser. Wir sonnten uns und erklarten diese Stelle zu unserem gemeinsamen Stabsquartier, solange wir im Motel wohnen wurden. Lion erzahlte, dass es im Hotel noch drei Familien gabe, die auf die Aufenthaltsgenehmigung warteten, aber in einer waren die Kinder noch ganz klein, in der zweiten gabe es nur einen Saugling und in der dritten ware der Junge eine dicke Rotznase, die mit niemandem reden wolle und immer ihrer Mama hinterherlaufen wurde.

Wir brusteten uns gegenseitig mit unseren Shunts — Lion hatte einen viel besseren, mit eingebautem Radio, sodass er sich nicht wegen jeder Kleinigkeit zu verkabeln brauchte. Im Gegenzug prahlte ich, dass ich als Modul auf einem Raumschiff geflogen sei, und Lion wurde echt sauer. Das war ein richtiges Abenteuer, nicht wie ein Flug zusammen mit Mama und Papa im Passagierraumschiff.

Seine Eltern lernte ich ebenfalls kennen. Es schien so, als ob sie sich uber unsere Freundschaft freuten und es ihnen sehr leidtat, dass ich derartige Probleme mit der Erlangung der Neu- Kuweiter Staatsburgerschaft hatte. Wir sa?en an einem richtigen Lagerfeuer, ich wurde mit kostlichem Grillfleisch direkt vom Grill bewirtet, und danach versprachen sie, mich mit Lion in einigen Tagen mitzunehmen, um die Hauptstadt zu besichtigen. Seine Geschwister erwiesen sich als noch klein und dumm, aber sie wurden bald schlafen gelegt, sie storten uns fast nicht.

Als ich in mein Hauschen zuruckkehrte, war es schon sehr spat. Eigentlich hatte ich darum bitten wollen, dass Lion mitkommen durfte — wir hatten noch weitergeschwatzt, aber ich traute mich nicht.

Und das war sicher auch gut so, denn als ich eintrat, leuchtete auf dem Videoscreen das Rufsignal.

Mein erster Gedanke war vollig absurd: Ich entschied, dass das Einwanderungsministerium meinen Antrag trotz allem bevorzugt behandelt hatte.

Es war jedoch Kapitan Stasj, der mich anrief. Als ich den Empfangsknopf druckte, erschien er fast sofort auf dem Bildschirm. Ziemlich niedergeschlagen und bedruckt.

Als er mich sah, verzog sich sogar unwillkurlich sein Gesicht.

»Wie geht es dir, Tikkirej?«

»Danke, es ist fast alles weg…«

Hatte er sich derma?en Sorgen um mich gemacht?

»Kannst du jetzt gleich in mein Cottage kommen?«

Ich nickte.

»Dann los, ich warte.«

Meine Mudigkeit verflog sofort. Das Cottage war dasselbe wie meins. Nur dass Kapitan Stasj entschieden mehr Sachen besa?. An das Terminal waren zusatzliche Blocke angeschlossen, sie verarbeiteten irgendwelche Informationen.

»Gut, dass du gekommen bist«, meinte Stasj ziemlich abwesend. »Hor mal, Tikkirej, mochtest du etwas dazuverdienen?«

Ich lachelte: »Ich mochte schon, aber ich darf nicht.«

»Wenn ich zahle, ist es moglich. Ich bin kein Burger Neu- Kuweits, also fallen unsere Finanzbeziehungen nicht unter das Gesetz.«

»Wirklich?«

»Ich habe einen Juristen konsultiert.«

»Ich bin bereit!«, rief ich sofort.

Stasj drohte mir mit dem Finger: »Geh niemals auf irgendwelche noch so lockenden Angebote ein, ehe du nicht die Details geklart hast! Verstanden?«

Ich nickte.

»Also, fur mich ist es notwendig, dass du dich morgen von fruh bis spat in der Nahe meines Cottage herumtreibst. In einiger Entfernung, aber so, dass du sehen kannst, wer sich ihm nahert.«

»Ist etwas passiert?«

»Ja… ich habe den Verdacht, dass irgendein Dieb versucht hat, hier einzubrechen. Oder es geschafft hat…«

Stasj fiel in Schweigen und schaute nachdenklich zum Terminal. Uber den Bildschirm liefen ununterbrochene Strome von Ziffern und Kleintext.

»Haben Sie etwa kein elektronisches Sicherungssystem?«, wollte ich wissen.

»Tikkirej… fur jegliche Elektronik gibt es Blockiergerate. Viel zuverlassiger ist ein Junge, der in der Nahe spielt.«

»Und was soll ich machen, wenn jemand…«

»Nichts! Absolut nichts! Versuch blo? nicht, Larm zu machen oder naher heranzugehen. Schau hin und prage dir alles ein, Tikkirej! Am Abend berichtest du dann.«

»Gut«, gab ich mein Einverstandnis.

Morgen wollte ich mit Lion wieder an den See gehen. Doch das war nur ein Spiel, und ich benotigte dringend Geld.

Lion wurde das sicherlich verstehen…

»Wie viel zahlen Sie?«, erkundigte ich mich fur alle Falle.

»Was — wie viel? Ah…«, Stasj winkte ab, »ich zahle gut, mach dir keine Sorgen. Also, kann ich mich auf dich verlassen?«

»Ja, sicher«, erwiderte ich. Mir schien, dass Kapitan Stasj eine Art Phobie hatte und er sich Widersacher einbilden wurde. Aber wenn er dafur bezahlte…

»Ab neun Uhr fruh. Und bis zum Abend… vielleicht bin ich gegen acht zuruck. Oder gegen neun. Iss fruhmorgens reichlich, nimm ein paar Hamburger mit… na, hier ist ein bisschen, aber…«

Er gab mir Geld. Fragte nach: »Eine Kreditkarte hast du nicht? Ich habe fast kein Bargeld.«

»Nein. Aber haben Sie keine Bedenken, dass man die Kreditkarte verfolgen konnte?«

Stasj lachelte: »Tikkirej, halte mich nicht fur einen Paranoiker. Der aktuelle Boom des Papiergeldes ist eine Dummheit. Es ist viel einfacher, ein anonymes Bankkonto anzulegen, als die Fingerabdrucke zu wechseln. Au?erdem kann ein beliebiger Neuroshunt aus der Entfernung eingesehen werden und den falschst du nicht. Nein, ich habe keine Bedenken, eine Kreditkarte zu benutzen. Und ich rate dir, bei Gelegenheit auch eine anzuschaffen.«

Ein wenig beschamt nickte ich.

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