«Einen Augenblick», sagte Goodwin, holte eine Flasche aus dem Schrank und go? den Inhalt in einen goldenen Teller. «So, jetzt trinkt das aus!»

Der Geruch gefiel dem Lowen nicht.

«Was ist das?» fragte er mi?trauisch.

«Das ist Mut. Er gehort in den Leib, deshalb mu?t Ihr ihn trinken.»

Der Lowe schnitt eine Grimasse, trank aber die Flussigkeit und leckte sogar den Teller aus.

«Oh, jetzt fuhle ich, wie ich mutig werde! Mut rieselt durch meine Adern und fullt mir das Herz! Habt Dank, habt Dank, gro?er Zauberer!» brullte er begeistert und lief, so schnell er konnte, zu den Freunden zuruck.

Elli lebte diese Tage in qualvoller Erwartung. Als sie die drei sehnlichsten Wunsche ihrer Freunde erfullt sah, wurde ihr Heimweh noch starker. Tagelang fuhrten die Freunde endlose Gesprache.

Der Scheuch behauptete, da? sich in seinem Kopf jetzt prachtige Gedanken walzten. Leider konne er sie den andern nicht mitteilen, weil nur er sie verstehe.

Der Eiserne Holzfaller erzahlte, wie angenehm es sei, bei jedem Schritt das Herz in der

Brust schlagen zu fuhlen. Er war restlos glucklich.

Der Lowe erklarte stolz, er sei bereit, sich mit zehn Sabelzahntigern gleichzeitig zu schlagen, so viel Mut besitze er.

Der Eiserne Holzfaller befurchtete sogar, der Zauberer habe dem Lowen eine zu gro?e

Portion Mut gegeben und ihn dadurch unbesonnen gemacht. Unbesonnenheit aber kann einen ins Verderben sturzen, wie man wei?.

Nur Elli schwieg und gedachte sehnsuchtig ihrer Heimat.

Schlie?lich wurde auch sie zu Goodwin gerufen.

«Nun, mein Kind, ich glaube jetzt zu wissen, wie wir beide nach Kansas kommen.»

«Ihr werdet mich also begleiten?» fragte Elli verwundert.

«Unbedingt», erwiderte der ehemalige Zauberer. «Offen gestanden hab ich das Einsiedlerleben und die ewige Furcht vor der Entlarvung schon satt. Ich will lieber nach Kansas zuruckkehren und mich in einem Zirkus produzieren.»

«Ach, wie ich mich freue!» rief Elli und klatschte in die Hande. «Wann brechen wir auf?»

«Das geht nicht so schnell, mein Kind. Dieses Land kann man nur in der Luft verlassen. Hat uns nicht beide der Sturm hergebracht — mich im Ballon und dich im Hauschen? Mein Ballon ist da, ich hab ihn all diese Jahre aufbewahrt. Nur an manchen Stellen werde ich ihn flicken mussen. Und das leichte Gas, den Wasserstoff zum Fullen des Ballons, werd ich mir schon verschaffen.»

Die Reparatur des Ballons dauerte mehrere Tage. Als Elli ihren Freunden die bevorstehende Trennung ankundigte, wurden diese sehr traurig.

Goodwin lie? die Bewohner der Stadt wissen, da? er verreise, um seinen alten Freund und gro?en Zauberer, den Sonnenball, zu besuchen, den er schon viele Jahre nicht gesehen hatte. Das Volk versammelte sich auf dem Platz vor dem Schlo?, Goodwin schaltete den Wasserstoffapparat ein, und der Ballon fullte sich schnell mit dem Gas. Als es soweit war, schwang sich Goodwin vor den Augen der entsetzten und begeisterten Menge in den Korb und sagte:

«Auf Wiedersehn, Freunde!»

Die Leute riefen «Hurra» und warfen ihre grunen Mutzen in die Luft.

«Wir haben viele Jahre in Frieden und Eintracht gelebt, und es tut mir leid, von euch zu scheiden», fuhr Goodwin fort und wischte sich eine Trane aus dem Auge. In der Menge horte man Seufzer. «Aber mein Freund, der Sonnenball, will, da? ich ihn besuche, und ich mu? es tun, weil er ein machtigerer Zauberer ist als ich. Gedenkt meiner, aber seid nicht allzu traurig, denn Kummer schadet der Verdauung. Befolgt meine Gesetze und nehmt die Brillen nicht ab, denn das konnte euch viel Ungluck bringen. Zu eurem Herrscher bestimme ich an meiner Stelle einen ehrwurdigen Herrn, den Weisen Scheuch.»

Der verbluffte Strohmann trat, auf seinen prachtigen Stock gestutzt, vor und luftete den Hut. Der melodische Klang der Schellen machte auf die Menge einen gro?en Eindruck, denn in der Smaragdenstadt war es nicht Brauch, Schellen an den Huten zu tragen. Sturmisch begru?ten die Versammelten den neuen Herrscher und gelobten ihm ewige Treue.

Goodwin rief Elli, die sich herzlich von ihren Freunden verabschiedete, zu:

«Steig schnell in den Korb. Der Ballon ist startklar.»

Zum letztenmal ku?te Elli den machtigen Lowen auf die Schnauze, da? diesem vor Ruhrung gro?e Tranen aus den Augen rannen. Er war so ergriffen, da? er verga?, sie mit dem Ende seines Schwanzes abzuwischen. Dann druckten der Scheuch und der Eiserne Holzfaller Elli liebevoll die Hand, und Totoschka versicherte dem Lowen zum Abschied, er werde ihn niemals vergessen und allen Lowen, denen er in Kansas begegnen wurde, einen Gru? von ihm bestellen.

In diesem Augenblick erhob sich ein heftiger Wind.

«Elli, beeil dich!» schrie der Zauberer aufgeregt, als er gewahrte, wie das Seil, das den Ballon hielt, sich spannte und zu rei?en drohte.

Kaum hatte er's gesagt, da platzte das Seil, und der Ballon strebte zum Himmel hinauf.

«Wartet doch, wartet!» schrie Elli, verzweifelt die Hande ringend. «Nehmt mich mit!»

Goodwin aber konnte gegen den Sturm nichts ausrichten, der den Ballon erfa?t hatte und mit unwiderstehlicher Gewalt forttrug.

«Leb wohl, mein Kind!» drang seine Stimme kaum horbar an ihr Ohr, und schon verschwand der Ballon in den rasch dahinsegelnden Wolken.

Die Bewohner der Smaragdenstadt starrten noch lange zum Himmel hinauf und gingen dann auseinander.

Am nachsten Tag trat eine vollstandige Sonnenfinsternis ein, die sich die Burger der Smaragdenstadt damit erklarten, da? Goodwin bei seinem Niedergang auf dem Sonnenball diesen verstellte.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, da? der ehemalige Herrscher der Smaragdenstadt nun auf der Sonne lebe. Das Volk gedachte Goodwins noch lange, war aber nicht sehr betrubt, da es doch einen neuen Herrscher hatte, den Weisen Scheuch, der so viel Gehirn besa?, da? es in seinem Kopf keinen Platz fand und als Nah -und Stecknadeln aus ihm hervorstach.

Die Einwohner der Smaragdenstadt waren machtig stolz auf ihren Herrscher.

«Zeigt uns eine andere Stadt auf der Welt, deren Herrscher mit Stroh ausgestopft ware!» sagten sie.

Die arme Elli aber, die im Lande Goodwins geblieben war, sa? weinend im Schlo?. Sie hatte alle Hoffnung, in die Heimat zuruckzukehren, aufgegeben.

Wieder unterwegs

Elli weinte bittere Tranen, als der Eiserne Holzfaller schweren Schrittes eintrat.

«Hab ich dich gestort?» fragte er leise. «Ich begreife, da? du dich jetzt nicht mit mir abgeben kannst, wo du selbst so viel Kummer hast. Und doch kann ich nicht anders. Ich mu? um Goodwin weinen, und es ist au?er dir niemand da, der mir die Tranen abwischen konnte. Der Lowe ist mit sich beschaftigt, er sitzt im Hinterhof und heult, und den Scheuch kann ich mit solchen Kleinigkeiten nicht belastigen, wo er doch der Herrscher des Landes ist…»

«Du Armster!…»

Elli stand auf und trocknete dem Holzfaller mit einem Handtuch sorgfaltig die Tranen. Als er sich ausgeweint hatte, schmierte er sich mit dem Ol aus der kostbaren Kanne ein, die die Zwinkerer ihm geschenkt hatten und die er immer im Gurtel trug.

In der Nacht hatte Elli einen Traum: Ein riesiger Vogel trug sie hoch uber die Steppe von Kansas, und in der Ferne war das Haus ihrer Eltern zu sehen. Sie erwachte mit einem Freudenschrei und konnte vor Enttauschung nicht wieder einschlafen.

Am nachsten Morgen versammelten sich die Gefahrten im Thronsaal, um uber ihre Zukunft zu sprechen. Der neue Herrscher sa? majestatisch auf seinem Marmorthron, vor dem die anderen respektvoll standen.

Als der Scheuch Herrscher wurde, verwirklichte er vor allen Dingen die Traume, die er lange gehegt hatte.

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