Er sich ein grunes Samtkleid und einen neuen Hut anfertigen, an dessen Krempe er die Silberschellen vom alten Hut anzunahen befahl. Seine Fu?e schmuckten blankgeputzte Stiefel aus feinstem Leder.

«Wir werden jetzt herrlich leben», erklarte der neue Herrscher. «Das Schlo? und die ganze Smaragdenstadt gehoren uns, und wenn ich daran denke, da? ich noch unlangst die Krahen auf dem Felde verscheuchen mu?te, heute aber der Herrscher der Smaragdenstadt bin, so mu? ich euch aufrichtig sagen, da? ich mich uber mein Schicksal nicht beklagen kann…»

Totoschka wies den uberheblich gewordenen Scheuch in die Schranken:

«Sag mal, wem hast du das alles eigentlich zu verdanken?»

«Elli naturlich», erwiderte der Scheuch beschamt. «Ohne sie wurde ich noch heute auf dem Pfahl sitzen…»

«Wenn dich die Sturme inzwischen nicht zerrissen und die Krahen nicht zerhackt hatten», fugte der Holzfaller hinzu. «Ich selber wurde im wilden Walde rosten… Elli hat viel fur uns getan. Ihr hab ich mein Herz zu verdanken, und das war doch mein sehnlichster Wunsch!»

«Von mir schon gar nicht zu reden», sagte der Lowe. «Ich bin jetzt mutiger als alle anderen Tiere auf der Welt. Ich wunsche mir, da? jetzt Menschenfresser oder Sabelzahntiger das Schlo? uberfielen, um euch zeigen zu konnen, wie ich mit ihnen fertig werde!»

«Wenn Elli im Schlo? bleiben wurde», fuhr der Scheuch fort, «so konnten wir jetzt glucklich leben!»

«Das geht nicht», entgegnete das Madchen. «Ich will nach Kansas zu Vater und Mutter zuruckkehren.»

«Ja, aber wie wirst du das schaffen?» fragte der Eiserne Holzfaller. «Scheuch, lieber Freund, du bist doch gescheiter als wir alle, streng mal dein neues Gehirn an!»

Der Scheuch begann so eifrig nachzudenken, da? ihm die Nah -und Stecknadeln aus dem Kopf hervortraten.

«Wir mussen die Fliegenden Affen rufen», sagte er nach langem Uberlegen. «Sie werden dich nach Hause tragen.»

«Ein guter Einfall», rief Elli, «ich hatte sie ganz vergessen…»

Sie nahm den Goldenen Hut, setzte ihn auf und sprach die Zauberworte. Kaum hatte sie es getan, als das Rudel der Fliegenden Affen durch die offenen Fenster in den Saal rauschte.

«Was befiehlst du, Herrin des Goldenen Hutes?» fragte der Anfuhrer.

«Tragt mich und Totoschka uber die Berge nach Kansas!»

Der Anfuhrer schuttelte den Kopf:

«Kansas liegt jenseits der Grenzen von Goodwins Land, dorthin konnen wir nicht fliegen. Es tut mir schrecklich leid, aber du hast deinen zweiten Wunsch verwirkt.»

Er verneigte sich, und das Rudel flog gerauschvoll davon.

Elli war verzweifelt. Da begann der Scheuch wieder so eifrig nachzudenken, da? ihm vor Anstrengung der Kopf schwoll. Elli befurchtete sogar, da? er platzen konnte.

«Ruft den Soldaten!» befahl der Scheuch.

Din Gior betrat angstlich den Thronsaal, in dem er unter Goodwin niemals gewesen war. Man fragte ihn um Rat.

«Goodwin war der einzige, der wu?te, wie man uber die Berge kommt», sagte der Soldat. «Aber ich glaube, da? die gute Zauberin Stella aus dem Rosa Land Elli helfen konnte. Sie ist machtiger als alle anderen Zauberinnen dieses Landes und kennt das Geheimnis der ewigen Jugend. Der Weg in ihr Land ist zwar schwierig, aber ihr wurdet trotzdem gut daran tun, euch an sie zu wenden.»

Der Soldat verneigte sich respektvoll vor dem Herrscher und ging aus dem Saal.

«Elli wird sich in das Rosa Land begeben mussen, denn bleibt sie hier im Palast, wird sie nie nach Kansas kommen. Die Smaragdenstadt ist nicht Kansas, und Kansas ist nicht die Smaragdenstadt», schlu?folgerte der Scheuch.

Die anderen schwiegen, von seiner Weisheit tief beeindruckt.

«Ich gehe mit Elli», sagte der Lowe, «mir ist die Stadt schon zuwider. Ich bin ein wildes Tier und sehne mich nach den Waldern, und au?erdem mu? doch jemand Elli auf der Reise beschutzen.»

«Richtig», rief der Eiserne Holzfaller, «und ich gehe meine Axt schleifen, die wahrscheinlich schon stumpf geworden ist.»

Elli fiel dem Holzfaller um den Hals.

«La?t uns morgen fruh aufbrechen», sagte der Scheuch.

«Wie, du kommst mit?» riefen alle erstaunt. «Und die Smaragdenstadt?»

«Die wird solange auf mich warten», entgegnete der Scheuch gleichmutig. «Ohne Elli wurde ich noch heute auf dem Pfahl mitten im Weizenfeld sitzen und die Krahen scheuchen. Ohne Elli hatte ich mein prachtiges Gehirn niemals bekommen. Ohne sie ware ich jetzt auch nicht Herrscher in der Smaragdenstadt. Wurde ich nach all dem Elli im Stich lassen, so mu?tet ihr, meine Freunde, den Scheuch der Undankbarkeit zeihen und hattet damit ganz recht.»

Es schien, als ob das neue Gehirn den Scheuch zu einem Redner gemacht hatte.

Elli dankte ihren Freunden von Herzen.

«Morgen, morgen brechen wir auf!» rief sie glucklich.

«Oho-oho-ho, morgen, morgen brechen wir auf», begann der Scheuch zu singen. Aber schon im nachsten Augenblick pre?te er die Hand vor den Mund und schaute sich angstlich um. Es war ihm eingefallen, da? er als Herrscher der Smaragdenstadt auf seine Wurde achten musse.

Der Scheuch ernannte fur die Zeit seiner Abwesenheit den Soldaten zu seinem Statthalter. Din Gior setzte sich sogleich auf den Thron und versicherte dem Scheuch, da? er bei seiner Ruckkehr alles in bester Ordnung vorfinden werde, denn er, der Soldat, werde seinen Posten keinen Augenblick verlassen. Sogar essen und schlafen wolle er auf dem Thron, damit niemand die Macht ergreife, solange der Herrscher abwesend sei…

* * *

In aller Fruhe machten sich Elli und ihre Freunde auf den Weg. Der Torhuter war erstaunt, zu horen, da? sie wieder eine so weite und gefahrvolle Reise unternehmen.

«Ihr seid unser Herrscher», sagte er zum Scheuch, «und mu?t so schnell wie moglich zuruckkommen.»

«Ich mu? vorerst Elli nach Kansas bringen», erwiderte der Scheuch wurdevoll. «Bestellt meinen Untertanen einen Gru? und sagt ihnen, sie sollen sich meinetwegen keine Sorgen machen, denn ich bin unverwundbar und komme ganz bestimmt heil zuruck.»

Elli verabschiedete sich freundlich vom Torhuter, der allen die Brillen abnahm, und die Gefahrten lenkten ihre Schritte nach Suden. Es war ein herrliches Wetter, ringsum erstreckte sich das wunderschone Land, und alle waren in bester Stimmung.

Elli glaubte zuversichtlich, da? Stella ihr zur Heimkehr verhelfen werde. Totoschka erging sich darin, wie er mit dem Prahlhans Hektor abrechnen wurde. Der Scheuch und der Eiserne Holzfaller freuten sich, Elli helfen zu konnen, und der Lowe schwelgte im Bewu?tsein seiner Tapferkeit und wunschte sich eine Begegnung mit den Tieren des Waldes, um ihnen zu zeigen, da? er ihr Konig sei.

Nachdem die Wanderer eine Zeitlang gegangen waren, wandten sie sich um und schauten zum letztenmal auf die Turme der Smaragdenstadt.

«Goodwin war doch kein schlechter Zauberer!» sagte der Eiserne Holzfaller.

«Ganz meiner Meinung»,., pflichtete ihm der Scheuch bei. «Er hat mir doch ein Gehirn gegeben, und dazu ein recht scharfes!»

«Hatte Goodwin ein wenig von dem Mut getrunken, den er fur mich gebraut hat, so war' er ein bewundernswerter Mensch geworden!» meinte der Lowe.

Elli schwieg. Obwohl Goodwin das Versprechen, sie nach Kansas zu bringen, nicht gehalten hatte, war sie ihm doch nicht bose. Er hatte alles getan, was in seinen Kraften stand, und es war nicht seine Schuld, da? es ihm mi?lungen war. Goodwin hatte ja selber eingestanden, da? er kein Zauberer sei.

Das Hochwasser

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