Elli zog die Glocke, und heraus trat Faramant.
«Ihr seid zuruckgekommen?»
«Wie Ihr seht», sagte der Scheuch wurdevoll
«Und ich dachte, ihr hattet euch zu der bosen Zauberin des Violetten Landes begeben.»
«Wir waren dort», erwiderte der Scheuch und schlug mit seinem Stock auf die Erde. «Freilich konnen wir uns nicht ruhmen, die Zeit dort angenehm verbracht zu haben.»
«Habt ihr das Violette Land ohne Bastindas Erlaubnis verlassen?» forschte der staunende Torhuter weiter.
«Wir haben sie gar nicht um Erlaubnis gefragt! Wi?t Ihr ubrigens, da? sie zerschmolzen ist?»
«Was? Zerschmolzen? Eine wunderbare Nachricht! Und wer hat das fertiggebracht?»
«Elli naturlich», mischte sich der Lowe ein.
Der Torhuter verneigte sich tief vor dem Madchen, fuhrte die Wanderer in sein Zimmer und setzte ihnen die grunen Brillen auf. Und wieder erstrahlte alles ringsum in mildem
grunem Licht…
DIE ENTLARVUNG DES GROSSEN UND SCHRECKLICHEN
Die kleine Schar ging durch die bekannten Stra?en zu Goodwins Schlo?. Unterwegs erzahlte Faramant diesem und jenem vom Tod der bosen Bastinda. Die Kunde verbreitete sich rasch, und bald hatte sich eine Menge Gaffer versammelt, die Elli und ihren Gefahrten ehrfurchtig bis zum Schlo? folgten…
Der grunbartige Soldat stand auf seinem Posten, den Spiegel in der Hand, und kammte wie gewohnlich seinen wunderbaren Bart. Die Menge war aber diesmal so zahlreich und schrie so laut, da? der Soldat schon nach 10 Minuten aufmerksam wurde. Din Gior freute sich ungeheuer uber die Ruckkehr der Wanderer und rief das grune Madchen herbei, das sie in die gleichen Zimmer fuhrte wie das erstemal.
«Seid so freundlich und meldet dem Gro?en Goodwin unsere Ruckkehr», sagte Elli zum Soldaten, «und teilt ihm auch unsere Bitte-mit, da? er uns empfangen soll…»
Nach wenigen Minuten kehrte der Soldat zuruck und sagte:
«Ich habe Eure Bitte an der Tur des Thronsaals laut vorgetragen, erhielt aber vom Gro?en Goodwin keine Antwort…»
Tag fur Tag begab sich der Soldat vor die Tur des Thronsaals und meldete, da? die Wanderer Goodwin zu sehen wunschten, doch Totenstille war jedesmal die Antwort.
Eine Woche verging. Das Warten wurde den funf zur Qual. Sie hatten einen begeisterten Empfang in Goodwins Schlo? erwartet, und die Gleichgultigkeit des Zauberers bedruckte und reizte sie.
«Vielleicht lebt er nicht mehr?» sagte Elli nachdenklich.
«Aber nein! Er will einfach sein Wort nicht halten und versteckt sich vor uns», sprach der Scheuch entrustet. «Naturlich ist es ihm schade um das Gehirn, das Herz und den Mut, die er uns geben mu?, das sind ja teure Dinge! Dann hatte er uns aber nicht zur bosen Bastinch schicken sollen, die wir so tapfer vernichtet haben!»
Zornig rief er dem Soldaten zu:
«Richtet Goodwin aus, wenn er uns nicht empfangt, so werden wir die Fliegenden Affen rufen. Bestellt ihm, da? wir ihre Gebieter sind, da? wir den Goldenen Hut besitzen -
pikapu, trikapu -, und wenn die Fliegenden Affen kommen, so werden wir mit ihm anders reden!»
Din Gior ging und kam sehr bald zuruck.
«Goodwin der Schreckliche wird euch alle morgen Punkt zehn Uhr fruh im Thronsaal empf angen. Er bittet euch, sich nicht zu verspaten. Ubrigens», flusterte er Elli ins Ohr, «ich glaube, er hat Angst bekommen, denn mit den Fliegenden Affen hat er schon einmal zu tun gehabt und wei?, was das fur Bestien sind.»
Unsere Wanderer verbrachten eine unruhige Nacht, und am anderen Morgen versammelten sie sich punktlich vor der Tur des Thronsaals.
Diese offnete sich, und sie traten ein. Jeder erwartete, Goodwin in der Gestalt zu sehen, in der er sich das erstemal gezeigt hatte. Aber im Saal war niemand da. Eine feierliche, unheimliche Stille herrschte hier, und beklommen fragten sich die Wanderer, was Goodwin wohl im Schilde fuhre.
Plotzlich ertonte eine Stimme, die sie zusammenfahren lie?.
«Ich bin Goodwin, der Gro?e und Schreckliche. Warum belastigt ihr mich?»
Die Gefahrten schauten um sich, konnten aber niemand entdecken.
«Wo seid Ihr?» fragte Elli mit zitternder Stimme.
«Ich bin uberall», erwiderte die Stimme feierlich. «Ich kann jede Gestalt annehmen und mich unsichtbar machen, wenn ich es will. Kommt zum Thron, ich werde mit euch sprechen!»
Die funf machten ein paar Schritte auf den Thron zu. Alle hatten schreckliche Angst, mit Ausnahme des Eisernen Holzfallers und Totoschkas. Dieser furchtete sich nicht, weil er kein Herz hatte, der andere, weil er nicht begriff, da? man sich vor Stimmen furchten konne.
«Sprecht!» befahl die Stimme.
«Gro?er Goodwin, wir sind gekommen, Euch um die Erfullung Eurer Versprechen zu bitten!»
«Welcher Versprechen?»
«Ihr habt versprochen, mich nach Kansas zu schicken, zu Vater und Mutter, wenn wir die Zwinkerer aus der Gewalt Bastindas befreien wurden.»
«Und mir habt Ihr Gehirn versprochen!»
«Und mir ein Herz!»
«Und mir Mut!»
«Sind die Zwinkerer denn wirklich frei?» fragte die Stimme, die zu zittern begann, wie es Elli schien.
«Ja», erwiderte das Madelchen, «ich habe die bose Bastinch mit Wasser ubergossen, und sie ist zerschmolzen.»
«Das mu?t ihr mir beweisen, ich will Beweise haben!» sagte die Stimme.
«Pikapu, trikapu», rief der Scheuch. «Ihr seid doch allgegenwartig. Seht ihr denn nicht den
Goldenen Hut auf Ellis Kopf, oder wollt Ihr, da? wir zum Beweis die Fliegenden Affen rufen, bambara, tschufara?»
«O nein, nein, ich glaub euch schon!» beeilte sich die Stimme zu versichern. «Das ist alles so unerwartet gekommen… Also schon, ich erwarte euch ubermorgen. Inzwischen werde ich mir eure Bitten uberlegen!».
«Ihr habt Zeit genug gehabt zum Uberlegen, skoriki, moriki!» schrie der Scheuch wutend. «Wir haben eine Woche lang gewartet, da? Ihr uns empfangt.»
«Wir wollen keinen Tag langer warten», sagte der Eiserne Holzfaller entschieden, und der Lowe stie? ein Gebrull aus, da? die Wande des riesigen Saales einzusturzen drohten.
Als das Gebrull verklang, trat wieder Stille ein. Elli und ihre Gefahrten warteten, was Goodwin auf die Herausforderung erwidern wurde. Totoschka, der gerauschvoll schnupperte, sturzte plotzlich bellend auf die Wand zu und war im Nu verschwunden. Es kam Elli vor, als ob er durch die Wand gerannt sei. In Wirklichkeit war es aber nur ein gruner Schirm, der mit der Wand verschmolz. Im nachsten Augenblick sprang ein kleines Mannlein heraus, das gellend schrie:
«Haltet den Hund, sonst bei?t er mich! Wer hat euch erlaubt, einen Hund in mein Schlo? zu bringen?»
Verblufft schauten die funf auf den kleinen Mann. Er war kaum gro?er als Elli, aber schon alt, und hatte einen gro?en Kopf mit runzligem Gesicht. Er trug eine bunte Weste, gestreifte Hosen und einen langen Rock. In der Hand hielt er einen gro?en Schalltrichter, mit dem er voller Entsetzen Totoschka abzuwehren suchte, der hinter dem Schirm hervorgesprungen kam und nach des Mannleins Bein schnappte.
Der Eiserne Holzfaller schnellte auf den Unbekannten zu.
«Wer seid Ihr?» fragte er streng.
«Ich bin Goodwin, der Gro?e und Schreckliche», erwiderte das Mannlein mit bebender Stimme. «Aber bitte, bitte, ruhrt mich nicht an. Ich will alles tun, was ihr verlangt.»
Die Wanderer warfen sich erstaunte Blicke zu.
«Ich glaubte, Goodwin sei der Lebende Kopf», sagte Elli.
«Und ich dachte, er ware eine Nixe», rief der Scheuch.
«Und ich hab ihn fur eine rei?ende Bestie gehalten», sagte der Holzfaller.