…Es folgten lange, schwere Tage der Sklaverei. Von fruh bis spat arbeitete Elli in der Kuche, wo sie der Kochin Fregosa half. Die gute Zwinkerin bemuhte sich, das Los des Madchens zu erleichtern. Bei jeder Gelegenheit verrichtete sie statt ihrer die schwersten Arbeiten. Bastinda aber pa?te scharf auf und bestrafte Fregosa jedesmal fur ihre Gute.
Die kleine Elli wurde von der Hexe schrecklich behandelt. Oft drohte Bastinch dem Madchen mit dem schmutzigen lila Schirm, den sie immer in der Hand hielt. Elli wu?te nicht, da? die Zauberin es nicht wagen wurde, sie zu schlagen, und ihr Herz verkrampfte sich jedesmal, wenn diese ihren Schirm erhob.
Jeden Tag trat die Alte vor den Kafig und fragte den Lowen mit kreischender Stimme:
«Wirst du dich einspannen lassen?»
«Ich werd dich fressen!» erwiderte dieser dann und warf sich fauchend gegen das Gitter.
Bastinda gab dem Lowen vom ersten Tag an nichts zu essen. Doch dieser starb nicht vor Hunger, sondern blieb stark und gesund.
Finsternis und Wasser waren der alten Bastinda ein Greuel. Kaum brach die Dunkelheit herein, so zog sich die Hexe in das entlegenste Gemach ihres Schlosses zuruck, schob die machtigen eisernen Riegel vor die Tur und lie? sich bis zum spaten Vormittag nicht blicken. Elli hatte aber keine Angst vor der Dunkelheit. Sie nahm jeden Abend aus dem Kuchenschrank alles E?bare, das dort zuruckblieb
(Fregosa sorgte stets dafur, da? es moglichst viel sei), und ging, in der einen Hand einen Korb mit Mundvorrat und in der anderen eine gro?e Flasche mit Wasser, in den Hinterhof, wo der Lowe und Totoschka sie jubelnd empfingen.
Elli und Totoschka hatten gro?e Angst, da? Bastinda ihre Drohungen wahr machen und das Hundchen zu den Ratten werfen wurde. Schon am ersten Tag der Gefangenschaft war Totoschka in den Kafig zum Lowen ubersiedelt, wo er sich geborgen fuhlte, wu?te er doch, da? er dort fur Bastinda unerreichbar war und sie ungestraft anbellen konnte, wenn sie den Hof betrat.
Elli schob sich zwischen zwei Gitterstabe in den Kafig, und der Lowe und Totoschka sturzten sich auf das Essen und das Wasser. Dann machte es sich der Lowe gemutlich, und Elli streichelte sein dichtes weiches Fell und spielte mit dem Haarbuschel seines Schwanzendes. Das Madchen, der Lowe und Totoschka sa?en lange beisammen, gedachten betrubt ihrer umgekommenen treuen Freunde, des Scheuchs und des Eisernen Holzfallers, und schmiedeten Fluchtplane. Aus dem Violetten Schlo? gab es jedoch kein Entrinnen. Es war von einer hohen Mauer mit spitzen Nageln umgeben, und Bastinch, die das Tor immer zuschlo?, zog die Schlussel ab und trug sie stets bei sich.
Wenn Elli sich ausgesprochen und ausgeweint hatte, sank sie auf das Stroh hin und schlief unter dem sicheren Schutz des Lowen ein.
So zogen sich die bitteren Tage der Gefangenschaft hin. Bastinda schaute gierig auf die silbernen Schuhe Ellis, die diese nur nachts auszog, wenn sie sich im Kafig des Lowen befand oder wenn sie badete. Bastinda, die das Wasser furchtete, naherte sich Elli niemals beim Baden.
Das Madchen hatte die merkwurdige Wasserscheu der Zauberin sogleich bemerkt und machte sie sich zunutze. Die Tage, an denen Bastinda ihr die Kuche zu scheuern befahl, waren fur Elli Festtage. Sie go? ein paar Eimer Wasser auf, die Diele aus und ging dann in den Kafig zum Lowen, wo sie einige Stunden von der schweren Arbeit ausruhte, wahrend Bastinda vor der Tur kreischte und schimpfte. Wenn die Zauberin einen Blick in die Kuche warf und die Lachen auf der Diele sah, lief sie entsetzt in ihr Schlafgemach. Fregosa schickte ihr jedesmal ein schadenfrohes Lacheln nach.
Elli unterhielt sich oft mit der herzensguten Kochin.
«Sag, warum erhebt ihr Zwinkerer euch nicht gegen Bastinda?» fragte das Madchen. «Ihr seid doch so viele, Tausende — und habt Angst vor einer einzigen bosen Alten! Wenn ihr euch auf sie sturzt, dann konnt ihr sie im Hand umdrehen binden und in den Eisernen Kafig sperren, in dem sie jetzt den Lowen halt!»
«Was fallt dir ein», wehrte Fregosa angstlich ab. «Du wei?t nicht, wie machtig Bastinda ist! Sie braucht nur ein Wort zu sagen, und alle Zwinkerer fallen tot um!»
«Woher wi?t ihr das?»
«Das hat uns Bastinda doch selber oft genug gesagt.»
«Warum hat sie dann das Wort nicht ausgesprochen, als wir uns ihrem Schlo? naherten! Warum hat sie die Wolfe, die Krahen und die schwarzen Bienen gegen uns ausgeschickt? Und als meine tapferen Freunde sie vernichtet hatten, warum mu?te sie dann die Fliegenden Affen zu Hilfe rufen?»
«Warum, warum!» erwiderte Fregosa argerlich, «fur solches Gerede wird uns Bastinda zu Brei zermalmen.»
«Woher soll sie es erfahren?»
«Weil sie alles erfahrt. Ihr bleibt nichts verborgen.»
Als diese Gesprache sich mehrmals wiederholt hatten, ohne da? Bastinda etwas davon erfuhr, wurde Fregosa kuhner. Sie stimmte Elli zu, da? die Zwinkerer sich von der Herrschaft der bosen Zauberin befreien mu?ten.
Doch ehe sie einen Entschlu? fa?te, wollte sie genauer erfahren, uber welche Zaubermittel Bastinda noch verfugte. Abends schlich sie sich vor das Schlafgemach der Zauberin und horchte an der Tur, was die Alte brummte, die in letzter Zeit immer haufiger Selbstgesprache fuhrte.
Einmal kam Fregosa, die gerade wieder an der Tur gehorcht hatte, aufgeregt in die Kuche gesturzt, und als sie Elli nicht vorfand, lief sie in den Hinterhof. Die drei im Kafig schliefen bereits.
«Elli, du hast recht gehabt», schrie Fregosa, mit den Armen fuchtelnd. «Bastinda hat wirklich alle ihre Zaubermittel verbraucht und besitzt jetzt kein einziges mehr. Ich habe gehort, wie sie uber deine Freunde klagte und sie verwunschte, weil sie ihr die Zauberkraft geraubt haben…»
Das Madchen, der Lowe und das Hundchen waren uber diese Nachricht sehr erfreut und stellten Fregosa viele Fragen. Die Kochin konnte aber zu dem, was sie bereits gesagt hatte, nichts hinzufugen. Sie erzahlte noch, Bastinda habe irgendwelche silberne Schuhe erwahnt, doch konnte Fregosa nicht zu Ende horen, weil sie vor lauter Aufregung mit der Stirn gegen die Tur schlug und entsetzt davonsturzte, damit die Zauberin sie nicht auf frischer Tat ertappte.
Die wichtige Nachricht Fregosas gab den Gefangenen neue Hoffnung. Jetzt hatten sie die Moglichkeit, Goodwins Befehl auszufuhren und die Zwinkerer zu befreien.
«Offnet nur meinen Kafig», brullte der Lowe, «und ihr
wie ich mit Bastinda abrechne!»
Vor der Tur des Kafigs hing aber ein gro?es Schlo?, dessen Schlussel Bastinda versteckt hielt. Die Freunde hielten Rat und kamen zu dem Schlu?, da? Fregosa die Diener zum Aufstand vorbereiten musse. Sie sollten die Zauberin uberrumpeln, gefangennehmen und ihrer Herrschaft ein Ende machen.
Fregosa ging. Elli, der Lowe und Totoschka aber sprachen die ganze Nacht uber den bevorstehenden Kampf mit Bastinda.
Am nachsten Tag teilte die Kochin der Dienerschaft die Neuigkeit mit. Die Diener waren aber so eingeschuchtert, da? Fregosa gro?e Muhe hatte, sie zu uberreden, sich gegen die Zauberin zu erheben. Schlie?lich gelang es ihr, einige Leute von der Schlo?wache fur das Vorhaben zu gewinnen, und die Zwinkerer, die in die Verschworung eingeweiht wurden, begannen zum Aufstand zu rusten.
Es vergingen mehrere Tage. Als die Diener sahen, da? die Schlo?wache Mut gefa?t und tatsachlich mit der bosen Zauberin abzurechnen gedachte, traten sie der Verschworung bei. Der Aufstand war so gut wie vorbereitet, als ein unvorhergesehener Zwischenfall eine ebenso schnelle wie unerwartete Wende herbeifuhrte.
Bastinda hatte den Gedanken nicht aufgegeben, sich der silbernen Schuhe Ellis zu bemachtigen. Fur die Zauberin war das die einzige Moglichkeit, Herrscherin im Violetten Land zu bleiben. Schlie?lich legte sie sich einen Plan zurecht.
Eines Tages, als weder Fregosa noch Elli in der Kuche waren, spannte die Zauberin eine dunne Schnur uber die Diele und versteckte sich hinter dem Ofen.
Das Madchen trat in die Kuche, stolperte uber die Schnur und fiel hin, wobei sich der Schuh von seinem rechten Fu? loste und zur Seite rutschte. In diesem Augenblick sprang Bastinch hinter dem Ofen hervor, ergriff den Schuh und steckte ihren knochigen Fu? hinein.
«Hi, hi, hi, jetzt gehort er mir», kicherte Bastinda. Elli war so uberrascht, da? sie kein Wort hervorbringen konnte.
«Gebt mir meinen Schuh zuruck!» schrie sie, als sie wieder zu sich kam. «Diebin! Schamen sollt Ihr