»Sie irren sich, Kapten«, erwiderte Schelp. »Gefahrlich ware es gewesen, Ihre Freunde nicht an Bord zu nehmen. Dieser Adler und das Madchen hatten sich ganz schon uber ihren alten Freund Piet Hansen gewundert, und das zu Recht. Wer sich wundert, stellt unbequeme Fragen. Fragen, die uns hatten verraten konnen. Glauben Sie mir, so ist es besser.«

»Was ist besser?« fragte eine scharfe Stimme aus der Dunkelheit. »Mit was fur Karten spielen Sie beide?«

Hansen und Schelp blieben abrupt stehen. Am Ende einer Gasse, die auf einen schmutzigen, von Unrat bedeckten Hinterhof fuhrte.

Hatte sie nicht schon die unerwartete Stimme zum Anhalten veranla?t, so bestimmt das metallische Gerausch, das in der Stille der Nacht noch lauter und damit bedrohlicher als gewohnlich klang. Jemand hatte den Hahn einer Schu?waffe zuruckgezogen.

Es war ein langlaufiger Revolver. Ein Leach & Rigdon. Eine Konfoderiertenwaffe.

Die Konfoderiertenwaffe, in deren bedrohliches Mundungsloch Hansen und Schelp heute schon einmal geblickt hatten, im Grand Hotel.

Auf dem kleinen Hof war es etwas heller als in den dunklen Gassen. Schwaches Licht fiel auf die gro?e, wuchtige Gestalt von Captain Abel McCord.

Der Sudstaatler trat aus einer anderen Gasse, die ebenfalls auf den Hof mundete. Er ging langsam, jeden Schritt abwagend, um die Deutschen keine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Er trug dieselbe Kleidung wie am Nachmittag und dazu einen hellen Hut, dessen Krempe an einer Seite hochgezogen und nach innen geklappt war. Das dunkle Hutband war mit goldenen Knopfen verziert.

»McCord!« stie? Schelp verblufft hervor, wahrend Hansen nur nervos auf dem Stil seiner Pfeife herumkaute. »Wie kommen Sie hierher?«

»Ein taktisches Manover«, antwortete der Captain mit unbewegtem Gesicht.

Die Stimme klang ruhig.

Nur das Zittern der nach oben gezwirbelten Schnurrbartenden verriet seine starke Erregung.

»Ich bin Ihnen vom Hotel gefolgt und habe Ihnen den Weg abgeschnitten.«

Schelp legte die schmale Stirn in Falten.

»Warum denn blo??«

»Weil ich wissen mochte, auf welcher Seite Sie wirklich stehen.«

McCord blieb stehen, etwa zwei Schritte vor den anderen. Der Leach & Rigdon mit dem gespannten Hahn lag ruhig in seiner kraftigen Faust.

»Wer sind der Mann und die Frau, mit denen Sie zu Abend gegessen haben?«

McCords Frage loste zur Verwunderung des Offiziers und auch des Seemanns Erheiterung bei Arnold Schelp aus. Er lachte laut und schob seinen Zylinder mit dem silbernen Stockknauf in den Nacken.

»Deshalb sind Sie verunsichert, Captain?« Schelp schuttelte unglaubig den Kopf. »Das waren nur alte Freunde von Kapitan Hansen. Sie kommen mit, wenn die ALBANY morgen ablegt.«

»Alte Freunde?« knurrte ein zutiefst skeptischer Captain McCord. »Oder Agenten der Yankees?«

»Sie arbeiten nicht fur Lincoln«, entgegnete Schelp. »Es sind deutsche Auswanderer. Kapten Hansen wird es Ihnen bestatigen, McCord.«

»Ja, es stimmt«, brummte der Seemann undeutlich und nahm dann erst den Pfeifenstiel aus dem Mund.

Er berichtete dem Sudstaatler, wie er Jacob und Irene kennengelernt und wie er die beiden hier zufallig wiedergetroffen hatte.

Wahrend Hansen sprach, spielte Schelp in der Art eines gelangweilten Stutzers mit seinem Angeber- Stockchen herum und naherte sich dabei unmerklich dem Offizier der Konfoderierten.

»Ein ziemlich gro?er Zufall«, befand McCord skeptisch, als Hansen seinen kurzen Bericht beendet hatte. »Eigentlich nicht die Art von Zufallen, die mir gefallen.«

»Das ist auch nicht notig, Captain!«

Als Arnold Schelp dies hervorstie?, war er bereits mit einem Satz zu McCord gesprungen und hatte ihm mit dem schweren Stockknauf den Revolver aus der Hand geschlagen.

Die Waffe schlug auf dem Boden auf. Eine Stichflamme scho? aus der Mundung, als sich der Schu? loste.

Ein dumpfes Klatschen folgte. Das hei?e Blei war in eine der holzernen Wande eingeschlagen.

Arnold Schelp zeigte eine Schnelligkeit und Geschmeidigkeit, die man dem groben Mann auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nicht so einfach zugetraut hatte.

Die Hand mit dem Stock war standig in Bewegung. Nach dem Schlag auf McCords Hand stie? der Knauf unter sein Kinn und traf schmerzhaft den Kehlkopf.

Der Sudstaatler wurgte, als er fur Sekunden keine Luft bekam. Seine Augen traten gro? hervor.

Zeit genug fur Schelp, einen dritten und einen vierten Schlag zu landen.

Der dritte traf McCord in den Magen. Er knickte zusammen wie ein Klappmesser und ging vor Schelp in die Knie.

Der vierte Schlag, den Schelp mit voller Wucht uber McCords Kopf zog, ri? den Hut hinunter.

Der Sudstaatler stohnte gequalt auf und ging vollends zu Boden. Sein Gesicht fiel vor Schelps spitzen Schuhen in den Dreck.

Der Mann mit dem kleinen, gefahrlichen Stock buckte sich schnell, hob den Revolver auf, richtete ihn auf McCord und zog den Hahn zuruck.

Als er das Klicken horte, hob der Sudstaatler den Kopf und sah zu dem Deutschen auf.

»Also. sind Sie. doch. Verrater.«, keuchte er, noch immer um Atem ringend.

»Nein, keineswegs«, erwiderte Schelp gelassen. »Ich mag es nur nicht, wenn man mich mit der Waffe bedroht. Deshalb wollte ich Ihnen demonstrieren, wie man sich dabei fuhlt, Captain.«

Schelp hatte kaum ausgesprochen, als er hinter sich ein wurgendes Gerausch horte.

Gleichzeitig sagte eine Stimme, die von einem starken Akzent gepragt war: »Diese Demonstration ist Ihnen vollauf gelungen, Senor Schelp. Aber jetzt mu? ich Sie bitten, den Hahn von Captain McCords Waffe ganz langsam zuruckgleiten zu lassen und den Revolver an seinen Eigentumer zuruckzugeben.«

Hansen hatte das Wurgen von sich gegeben, als der Sprecher seinen linken Arm um die Kehle des Kapitans schlang.

Der Sprecher war Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza. In seiner Rechten hielt er, was am Nachmittag seine Rocktasche so verdachtig ausgebeult hatte: ein franzosischer LeMat-Revolver. Die Mundung war gegen Hansens Stirn gepre?t.

Kalter Schwei? stand auf dieser Stirn. Die Pfeife rutschte zwischen den Lippen des Seemanns heraus und fiel zu Boden.

Er war bestimmt kein Feigling. In seinem Seefahrerleben hatte er dem Tod viele Male ins Gesicht gespuckt. Aber dies hier war anders.

Auch wenn die Naturgewalten auf See manchmal unberechenbar schienen, seine gro?e Erfahrung lie? ihn so gut wie niemals hilflos werden. Er wu?te, was er zu tun hatte. Welche Kommandos er geben mu?te. Welche Segel gesetzt, gerefft oder eingeholt werden mu?ten. Wie er die ALBANY in den Wind zu legen hatte, um die Kraft des Sturms auszunutzen, statt von ihr bedroht zu werden.

Hier aber spurte Piet Hansen nicht die glitschigen, schwankenden und doch so vertrauten Planken unter seinen Fu?en. Gerade der feste Boden, auf dem er stand, war fur ihn fremdes, bedrohliches Terrain.

Mehr noch die Geschichte, auf die er sich eingelassen hatte.

Der brutale Schelp mit seinem tuckischen kleinen Stock.

Captain McCord, der noch im Schmutz lag.

Und der Mexikaner, der Hansens Leben mit einer Fingerbewegung ausloschen konnte.

Auf Naturgewalten konnte man reagieren, weil man sie trotz aller Unwagbarkeiten berechnen konnte. Menschen aber waren unberechenbar.

Und das trieb den Schwei? auf Piet Hansens Stirn.

»Sie jagen mir keine Angst ein, Don Emiliano«, sagte Schelp kalt. »Aber ich wollte sowieso gerade tun, was Sie sagen.«

»Dann tun Sie es!« Don Emiliano klang jetzt gar nicht mehr so hoflich und zuvorkommend wie sonst. Alles

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