»Das Licht!« keuchte sie, mehr erschrocken als erregt. »Sie haben das Licht vergessen, Abel!«
Unwillig blickte der Captain sie an.
»Mu? das sein?« fragte er. »Warum lassen Sie es nur im Dunkeln zu?«
»Das geht Sie nichts an!«
»Wissen Sie, da? es ein verdammt merkwurdiges Gefuhl ist, eine Frau zu lieben, von der man nicht ein einziges Stuck Haut gesehen hat? Nicht einmal das Gesicht!«
»Sie konnen es auch bleiben lassen, Abel.«
»Ach? Ihnen liegt also nichts an mir?«
Die Frau uberlegte. Sie wurde Abel McCord auf dem Schiff vielleicht noch brauchen.
Auf Don Emiliano war nicht unbedingt Verla?.
Die Mexikaner waren so wetterwendig wie die schmerzenden Narben der Frau, die sie bei jedem Witterungsumschwung peinigten.
Au?erdem war der Don ihr gegenuber nicht so fugsam wie der Captain - weil er ihr im Gegensatz zu McCord nicht horig war.
Sie kam zu dem Schlu?, da? sie McCord noch benotigte. Zur Erfullung ihrer geheimen Mission, aber auch ihrer personlichen Rache an diesen deutschen Auswanderern, Jacob Adler und Irene Sommer. Es mu?te eine Fugung des Schicksals sein, da? sie die beiden hier wiedertraf.
»Loschen Sie das Licht, Abel!« verlangte die Frau.
Seufzend befolgte McCord die Aufforderung, kam dann zu der Frau zuruck und legte sie wieder uber die Sessellehne.
Sie dachte an den bevorstehenden Tag, an das Wiedersehen mit den deutschen Auswanderern und an die verschiedenen Moglichkeiten, sich an ihnen zu rachen, wahrend der Offizier wenig gefuhlvoll, fast hart, in sie eindrang.
Und als sie schlie?lich, mit hochgeschobenen Rocken uber dem Sessel liegend, doch einen Anflug von Lust verspurte, dachte sie dabei nicht an McCord. Wie immer, wenn sie mit dem Captain intim war, schwebte vor ihrem geistigen Auge das Gesicht des einzigen Mannes, dem jemals ihr Herz gehort hatte.
*
Der Mann, der in der nachmitternachtlichen Finsternis durch den ruckwartigen Teil des Fogerty Grand Hotels schlich, war auf den ersten Blick eine uberaus komische Erscheinung. Von der in einem bommelbeschwerten Zipfel auslaufenden Schlafmutze uber das viel zu weite Nachthemd bis zu den ausgetretenen Filzpantoffeln, in denen die nackten Fu?e steckten.
Gar nicht komisch war allerdings das verkniffene, alarmierte Gesicht des alteren Mannes.
Und komisch wirkte auch nicht die wuchtige doppellaufige Schrotflinte, die er angespannt vor sich hielt, wahrend er die finsteren Gange im Parterre durchquerte, die zu dem Teil des Hotels gehorte, der Gasten nicht zuganglich war. Hier lagen die Kuche und die Vorratsraume.
Jefferson Kinley brauchte nicht viel Licht. Eigenhandig hatte er beim Bau seines Hotels mitgeholfen. Er kannte jede Ecke, jede Unebenheit im Boden.
Und er wu?te, wohin er sich wenden mu?te. Die seltsamen Gerausche, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatten, wiesen ihm den Weg.
Mal war es ein Klopfen, dann wieder eine Art Sagen. Aber mitten in der Nacht arbeitete doch niemand, weder der Hufschmied noch der Buchsenmacher, nicht der Stellmacher und nicht der Bottcher.
Die Gerausche kamen vom Hinterhof des Hotels. Nein, als Kinley drau?en stand zwischen alten Lieferkisten und mit Abfallen und Regenwasser gefullten Fassern, erkannte der die Wahrheit. Sie kamen aus dem halbfertigen gro?en Anbau, der einmal sein eigener Mietstall werden sollte. Und jetzt bemerkte er auch das Licht, das durch die unverfugten Ritzen nach drau?en drang.
Er schlich naher, gerauschlos. Mit den jeden Laut dampfenden Pantoffeln fiel ihm das nicht schwer. Au?erdem, wer immer im halbfertigen Mietstall wutete, bei dem Larm wurde er Kinley kaum horen.
Der Mietstall besa? zwei Eingange. Eine gro?e Doppelflugeltur zeigte zur Benson Street hinaus und war fur Tiere und Wagen gedacht. Die kleine Seitentur, zum Hof und zum Hotel hin gelegen, war nur Menschen vorbehalten.
Der Hotelier stellte fest, da? die Hoftur nur angelehnt war. Vorsichtig schob er sie so weit auf, da? er sich gerade eben hindurchzwangen konnte. Mehrere Ollampen waren in dem gro?en Raum verteilt und tauchten ihn in gleichma?iges Licht.
Kinley horte ein lautes, schnelles Hammern. Aber er sah nicht, wer oder was dieses Gerausch verursachte. Der gro?e Stall schien menschenleer.
Aber das konnte nicht sein!
Er sah auf die Lampen. Jemand hatte sie aufgestellt, um bei seiner nachtlichen Tatigkeit, welcher Art auch immer sie sein mochte, genugend Licht zu haben.
Der Mann im Nachthemd glaubte zu erkennen, da? die Gerausche aus dem vorderen Stallteil kamen, der zur Benson Street fuhrte. Er ging den Gerauschen nach, nutzte jeden Pfeiler als Deckung und hielt die schwere Doppellaufige stets schu?bereit.
Dann fuhr er zusammen wie vom Blitz getroffen.
»Hier oben bin ich, Mr. Kinley.«
Als Kinley sich von dem Schreck erholt hatte, sprang er ungelenk hinter einen gro?en Sto? Bauholz und ri? den Waffenlauf nach oben. Dorthin, von wo die uberraschende Stimme gekommen war. Der Hotelier war so nervos, da? er beinah losgefeuert hatte, beide Laufe!
»Schie?en Sie nicht, Sir«, bat der Mann, der mit nacktem Oberkorper rittlings auf einem Querbalken des Dachstuhls hockte und einen schweren Hammer in der Hand hielt. »Auf die Entfernung wurde Ihr Schrot mich in viele kleine Teile rei?en. Ware schwer, die alle wieder zusammenzuklauben.«
Erstaunt blickte Kinley zu dem gro?en, muskulosen jungen Mann hinauf, der wiederum den Hotelier mit einem fast entschuldigendem Lacheln auf dem offenen Gesicht ansah. Der Mann mit dem Hammer hatte so schwer gearbeitet, da? ein dicker Schwei?film seine Haut bedeckte. Das helle Haar klebte in der Stirn.
»Mr. Adler«, stie? Kinley erstaunt hervor. »Was, zur Holle, tun Sie hier?«
»Das sehen Sie doch, ich arbeite. Wie wir es abgemacht haben.«
»Aber mitten in der Nacht?«
»Mi? Sommer und ich haben eine Passage auf der ALBANY ergattert, die morgen auslauft. Sie haben uns Unterkunft und Verpflegung gewahrt, Mr. Kinley. Dafur schulde ich Ihnen etwas.«
Jacob zeigte auf den Dachstuhl.
»Die Dachkonstruktion ist ziemlich wacklig. Ich versuche, ihr so viel Halt zu geben, da? Ihnen der Neubau nicht einsturzt, bis Sie einen neuen Zimmermann verpflichten konnen.«
Mit fassungslosem Gesicht lie? der Hotelier die Doppellaufige sinken.
»Ich habe ja schon gehort, da? ihr Deutschen ein flei?iges Volkchen seid. Aber da? ihr sogar die Nacht durcharbeitet!«
Er schuttelte den Kopf und meinte dann:
»Ich danke Ihnen fur Ihren Einsatz, Mr. Adler. Aber sehen Sie zu, da? Sie noch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Und schlafen Sie nicht da oben ein. Sie konnten herunterfallen und sich das Genick brechen. Oder schlimmer noch, Sie konnten Ihr Schiff versaumen!«
Als Kinley den Mietstall verlie?, begleitete ihn erneutes Hammern.
*
Jacob hammerte schon wieder, als die Sonne ihre ersten bla?rosa Finger uber das sanft gewellte Land jenseits der provisorischen Stadt aus grotesken Zeltkonstruktionen und windschiefen Hutten ausstreckte.
Wie die angrenzende Stadt der festen Hauser lag auch hier noch alles im tiefen Schlaf, Menschen wie Tiere. Um so lauter drohnten die Schlage des jungen Deutschen.
Diesmal benutzte er die blo?e Faust. Die dunne Brettertur der wackligen Hutte erbebte geradezu unter seinen Schlagen. Diese Iren schienen einen bombenfesten Schlaf zu haben.
Als Jacob zum erneuten Schlag gegen die schon arg maltratierte Tur ausholte, wurde sie plotzlich aufgerissen.
Zwei grimmige Gesichter starrten den Deutschen aus muhsam geoffneten Augen an. Gesichter, die nicht auseinanderzuhalten waren: Bartly und Gypo Connor.