Vor dem Anlegeplatz der ALBANY hatte Captain Stout seine kleine Garnison mit aufgepflanzten Bajonetten einen Halbkreis bilden lassen, um das auslaufende Schiff im Notfall gegen die zu verteidigen, die zuruckbleiben mu?ten.

Aber kaum einer von ihnen lie? sich im Hafen blicken. Vielleicht wollten sie sich den Schmerz ersparen, dem Schiff nachzublicken, das Kurs auf das hei? ersehnte Kalifornien nahm.

Jacob hatte das Gepack in der Kajute, die er und Irene sich mit den Iren teilten, verstaut und ging auf Deck, weil er Piet Hansen noch gar nicht gesehen hatte. Irene blieb mit ihrem quengelnden Sohn unten.

Unterwegs stellte Jacob zu seiner Verwunderung fest, da? die Nebenkajute offenbar nicht belegt war. Das verwunderte ihn, versprach jeder freie Platz an Bord doch ein gutes Entgelt. Seit dem gro?en Goldrausch von 1849 waren Schiffspassagen nach San Francisco nicht mehr so begehrt gewesen. Auf Deck fragte er den nachstbesten Seemann nach dem Grund.

»Es kommen noch Passagiere, Sir«, lautete die undeutliche, von einem ordentlichen Priem behinderte Antwort. »Glaube, da sind sie.«

Er zeigte mit schmutzigen Fingern an Land, wo gerade eine geschlossene Kutsche nach kurzer Kontrolle den Schutzwall der Blauuniformierten passierte.

Vor einer der Planken hielt die Kutsche an, und der Fahrer lud das Gepack vom Dach, um es an Bord zu bringen. Fur drei Menschen waren es nicht sonderlich viele Sachen.

Mit Interesse beobachtete Jacob die neuen Kajutenpassagiere.

Zwei waren Manner, einer davon mit deutlich sudlichem Einschlag. Beide waren gut gekleidet, wenn auch langst nicht so auffallig wie Arnold Schelp.

Am meisten interessierte sich Jacob aber fur die Frau, die in Trauer zu sein schien. Nichts, aber auch gar nichts war von ihr zu sehen au?er schwarzem Stoff. Sogar ihr Gesicht lag hinter einem dunklen Schleier, und ein schwarzes Netz bedeckte das Haar.

»Wer ist das?« fragte Jacob den kraftig kauenden Seemann.

»Nicht die Spur von Ahnung, Sir. Habe nur lauten hor'n, da? es Bekannte von Mr. Schelp sein soll'n.«

»Die Frau auch?«

Der Seemann zuckte mit den Schultern und spuckte einen Teil des Priems uber die Reling hinunter ins brackige Hafenwasser.

»Wei? nicht, Sir. Wird wohl so sein.«

Obwohl die Frau vollkommen verhullt war, erschien sie Jacob wie eine alte Bekannte.

Und - tauschte er sich, oder blieb sie tatsachlich kurz stehen, um ihm einen Blick zuzuwerfen. Er konnte sich nicht helfen, ein eisiger Schauer lief dabei seinen Rucken hinunter.

»Aye, Sir, ist'n kalter Wind«, nickte der Seemann, der das Erschauern des Deutschen falsch deutete. »Haben zu lange hier gelegen. Das gute Wetter ist vorbei. Machen Sie sich aufn gehorigen Seegang gefa?t!«

Jacob horte eine vertraute Stimme von achtern und sah sich um. Piet Hansen stand auf der Brucke und gab durch ein hartledernes Sprachrohr die Befehle, um die Bark zum Auslaufen vorzubereiten. Jacob wollte ihn jetzt nicht storen und seine Aufmerksamkeit wieder den neuen Kajutenpassagieren zuwenden.

Doch sie waren bereits unter Deck verschwunden. Der Kutscher verlie? die ALBANY. Die Planke, uber die er gegangen war, wurde eingezogen.

Der Gedanke an die schwarzgekleidete Frau und ihre Begleiter verbla?te. Das Auslaufmanover nahm Jacobs Aufmerksamkeit gefangen.

Die Ankerkette wurde ins Vorschiff gezogen. Ein plumpes Dampfboot setzte sich vor die Bark und wurde mit zwei starken Seilen an ihrem Bug vertaut.

Schon einmal hatte er miterlebt, wie die ALBANY von einer Dampfbarkasse in tieferes Gewasser gezogen wurde, damals in Hamburg. Doch da hatte er nichts gesehen, weil er als blinder Passagier unter einem Rettungsboot verborgen lag.

Jetzt wanderte sein Blick zwischen dem kleinen, aber starken Schraubendampfer und der zusammenschrumpfenden Hafenstadt hin und her.

Es war seltsam, aber er fuhlte wenig Erleichterung, endlich unterwegs nach Kalifornien zu sein. Eine Ungewisse Vorahnung lie? ihm die Zukunft so duster erscheinen wie der dicke Rauch, der aus den beiden niedrigen Schornsteinen des Dampfers in den bewolkten Himmel aufstieg. Die ALBANY glitt direkt in den fast schwarzen Dunst hinein.

*

Im Hauptquartier der Garnison von Fogerty, am Abend dieses Tages.

Das unerwartete Klopfen an der Tur lie? Captain Henry Stout zusammenfahren. So sehr, da? Flussigkeit aus dem fleckigen Glas schwappte und seinen blauen Uniformrock benetzte.

Wieso blo??

Nur weil er sich einen kleinen Schluck genehmigte?

Er kam sich immer wie ein Verbrecher vor, wenn er die Schublade aufzog, die Whiskeyflasche herausnahm und sich einen Doppelten eingo?. Die einzige Freude seiner oden Tage hier am Ende der Welt.

»Ja?« brullte der kleine, untersetzte Garnisonskommandant. »Was gibt's?«

»Ein Mr. Herbert will Sie sprechen, Captain.«

Es war die durchdringende Kommandostimme von First Sergeant Henderson.

»Kenne ich nicht«, antwortete der Captain durch die geschlossene Tur. »Was will er zu so spater Stunde?«

»Wei? ich auch nicht genau, Sir. Hat wohl was mit dem Schiff zu tun, das heute nach Frisco ausgelaufen ist.«

»Die ALBANY?«

»Yes, Sir.«

»Und?«

»Mr. Herbert meint, vielleicht seien Spione an Bord gewesen.«

»Spione?«

Das lie? Captain Stout aufhorchen.

Er kippte den Rest Whiskey in sich hinein, stellte Flasche und Glas zuruck in die tiefe Lade, setzte sich gerade hin und knopfte eilig den blauen Rock zu.

»Right, Sergeant, schicken Sie den Mann herein!«

In Begleitung eines grobschlachtigen Mannes erschien ein Junge, genauso blond wie der Erwachsene. Sie waren unverkennbar Vater und Sohn.

Der Fleischer John Herbert erzahlte von den beiden Golddollars, die Mrs. Herbert in der Jackentasche ihres Spro?lings gefunden hatte. Erst hatte dieser sich verstockt gezeigt, als der Vater ihn um Rechenschaft uber seinen unerwarteten Reichtum ersuchte. Aber ein paar saftige Ohrfeigen der kraftigen Fleischerhand hatten Frankie Herberts Zunge gelost. Jetzt mu?te er seinen Bericht dem Captain gegenuber wiederholen.

Stout horte mit wachsendem Interesse zu. Die Gedanken in seinem Kopf uberschlugen sich fast. Noch wahrend der Junge seinen umstandlichen Bericht ablieferte, versuchte der Offizier, die Sache richtig einzuschatzen.

Naturlich konnte alles ganz harmlos sein. Vielleicht war es tatsachlich nur eine Liebesbotschaft.

Aber vielleicht hatte auch John Herbert recht, der etwas von Spionen der gottverdammten Sudstaaten-Rebellen faselte.

Yeah, dachte Stout, vielleicht waren es Spione. Oder etwas in der Art.

Ein Wort geisterte durch seinen Kopf: Blockadebrecher!

Wenn es so war, wurde es dann nicht negativ auf ihn zuruckfallen, da? er die ALBANY aus dem Hafen hatte entkommen lassen?

Er hatte das Schiff sogar noch durch seine Manner bewacht! Wurde es nicht besser sein, nichts weiter zu unternehmen?

Aber gerade das war es wohl, was ihm den ungeliebten und unbedeutenden Posten weitab der Kampflinien eingetragen hatte. Immer hatte der Offizier Henry Stout zu lange gezogert. Andere hatten Entscheidungen getroffen und lobende Erwahnungen in den Personalakten gesammelt. Seine Altersgenossen aus West Point hatten viel hohere Range inne als er und befehligten gro?e Truppenteile. Sie sammelten Ruhm und Ehre im Krieg. Und er, Henry Stout, sa? hier in Fogerty und bewachte einen Hafen, fur den sich niemand interessierte als ein paar

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