»Verdammt, was wollen Sie mitten in der Nacht?« blies einer der beiden dem Zimmermann eine dicke Schnapsfahne ins Gesicht.
Aus der Gesprachigkeit des Mannes schlo? Jacob, da? es sich um Bruder Bartly handelte.
»Erkennen Sie mich nicht, Mr. Connor?«
Die Rechte des Iren kratzte durch das nach allen Seiten abstehende rostbraune Haar, die Linke uber das schmutzige, lochrige Unterhemd fast gleicher Farbgebung unter der rechten Achsel. Dieses Verhalten sollte anscheinend die Gehirntatigkeit von Bartly Connor ankurbeln.
Plotzlich aber begann er zu schwanken, eine Auswirkung der Schlaf- oder Alkoholtrunkenheit - oder von beidem. Er brauchte beide Hande, um sich am Turrahmen festzuhalten. Jacob hatte den Eindruck, da? dadurch die ganze Hutte wackelte.
»Beim Heiligen Patrick, das ist der Dutch von gestern!« trompetete Bartly Connor das Ergebnis seiner geistigen Bemuhungen hinaus, und Bruder Gypo nickte bestatigend.
Jacob trat einen halben Schritt zuruck, um der Gefahr zu entgehen, sich durch das blo?e Einatmen von Bartly Connors Ausdunstungen einen Vollrausch einzuhandeln. Au?erdem vermischte sich der Schnapsdunst trotz seiner Starke mit korperlichen Geruchen, die den Verdacht nahrten, Bartly Connor hatte das in billigen Fusel umgesetzte Geld lieber in ein gutes Stuck Seife investieren sollen.
»Wecken Sie Ihre Schwester und Ihren Neffen, Mr. Connor«, sagte der Deutsche. »In nicht ganz drei Stunden verla?t die ALBANY Fogerty in Richtung San Francisco.«
Die schlafrigen Augen des Iren zogen sich skeptisch zusammen.
»Was hat das mit uns zu tun?«
»Wir sind alle an Bord«, lachelte Jacob.
»Verdammter Hund!« brullte Bartly Connor und sturzte sich mit ausgestreckten Armen auf den morgendlichen Besucher, die gro?en Hande zu gefahrlichen Klauen geformt.
Der Ire war nicht langsam, aber seine alkoholbedingte schlechte korperliche Verfassung machte seine Bewegungen fahrig und vorhersehbar.
Jacob tauchte unter seinen Armen weg und machte einen Ausweichschritt zur Seite.
Bartly Connor streifte ihn nicht einmal. Der kraftige Ire torkelte an dem gro?en Deutschen vorbei und wurde von seinem eigenen Schwung in den Schmutz der breiigen braunen Masse gerissen, die nur unter gro?zugigster Verwendung des Begriffes als Stra?e zu bezeichnen war. Nachtlicher Regen hatte sie zusatzlich aufgeweicht.
Ein wenig mitleidig sah Jacob zu ihm hinab und wollte gerade seine Hand ausstrecken, um dem Gesturzten aufzuhelfen. Da verlor der Zimmermann den festen Boden unter den Fu?en. Gleichzeitig hatte er das Gefuhl, sein Oberkorper wurde zerquetscht.
Gypo Connor war in stummer Entschlossenheit hinter den Deutschen getreten, hatte seinen Rumpf mit beiden Armen umschlungen, ihn vom Boden aufgehoben und versuchte nun, ihm samtliche Rippen oder gar das Ruckgrat zu brechen.
Jacob wehrte sich mit kraftigen Hieben gegen Kopf und Leib des Iren, aber seine ungluckliche Stellung erlaubte keinen entscheidenden Treffer. Au?erdem schien Gypo Connor ungefahr so schmerzempfindlich zu sein wie die Panzerplatte eines Kriegsschiffes.
Der schlammbesudelte Bruder Bartly stand achzend auf und wankte mit geballten Fausten auf Jacob zu.
»La? mir noch was von dem Dutch ubrig, Gypo«, knurrte er mit zorngerotetem Gesicht. »Ich will ihm mal kraftig die Nase in sein hubsches Gesicht drucken!«
Schon holte Bartlys Rechte zum Schlag auf, da keifte eine Frauenstimme:
»Schwager Bartly, Schwager Gypo, was stellt ihr schon wieder an?«
Die Witwe O'Faolain stand in der Turoffnung, die Hande in der schon bekannten Weise in die breiten Huften gestutzt, und blickte die drei Manner in einer Mischung aus Mi?fallen und Verwunderung an.
»Mr. Adler«, sagte sie dann, als sie den Deutschen erkannte. »Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches?«
Der Druck durch Gypos Arme war so fest, da? Jacob kaum noch atmen konnte.
»Runterlassen«, keuchte er.
»Gypo, stell Mr. Adler sofort wieder hin!« befahl die stammige Frau, die in etwas Wollenes gehullt war, das man irgendwo zwischen Schlafrock und Decke ansiedeln mu?te.
Der kraftige Ire gehorchte und gab in einem Anfall unerwarteter Gesprachigkeit einen Grunzlaut von sich. Jacob nahm an, da? es eine Mi?fallensbekundung war. Vielleicht aber wollte der Mann sich auch bei seiner Schwagerin oder gar bei dem Deutschen entschuldigen.
Jacob war es letztlich gleich. Hauptsache, er konnte wieder frei atmen.
Vornubergebeugt, mit auf die Knie gestutzten Handen, stand er da und sog die frische Morgenluft in tiefen Zugen in sich hinein. Dann richtete er sich langsam auf und betastete seinen Oberkorper, um zu prufen, ob noch alle Knochen heil waren.
»Gypo hat Ihnen doch nicht weh getan, Mr. Adler?« fragte die Witwe O'Faolain besorgt.
»Wie kommen Sie darauf?« meinte Jacob und stellte erleichtert fest, da? trotz heftiger Schmerzen in seinem Brustkorb noch alles heil zu sein schien.
»Dann ist es ja nicht so schlimm«, befand die Frau und sah ihre Schwager strafend an. »Trotzdem mu? ich mich fur euch wohl schamen, Schwager Bartly und Schwager Gypo. Wie konnt ihr den armen Mr. Adler nur so erschrecken?«
»Der Dutch wollte uns verhohnen«, rief Bartly mit offener Emporung und schuttelte drohend seine noch immer zur Faust geballte Rechte in Jacobs Richtung. »Er sagte mir ins Gesicht, die ALBANY wurde bald auslaufen und wir sollten uns deshalb beeilen.«
Katie O'Faolains Gesicht zeigte weiterhin Verargerung. Aber jetzt schien sie Jacob zu gelten.
»Das ist wirklich kein feiner Zug von Ihnen, Mr. Adler«, sagte sie kopfschuttelnd. »Das hatte ich von Ihnen nicht gedacht. Dabei machen Sie einen so hoflichen Eindruck.«
»Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte Jacob. »Was habe ich getan?«
»Wir haben gestern abend bei der Auslosung keine Platze auf der ALBANY erwischt«, erklarte die Frau. »Und jetzt kommen Sie und verspotten uns auch noch. Ich kann Schwager Bartly nur recht geben, das ist kein feiner Zug!«
»Ich verspotte Sie keineswegs«, lachelte Jacob, erleichtert daruber, da? er endlich die Beweggrunde der Iren verstand. »Ich habe mit dem Kapitan des Schiffes gesprochen. Er ist ein alter Bekannter und hat uns einen Kajutenplatz auf der ALBANY zugesichert.«
»Und?« fragte die Witwe O'Faolain scharf. »Gluck fur Sie, Mr. Adler. Was hat das mit uns zu tun?«
»Eine Kajute ist fur Mi? Sommer und mich allein viel zu gro?. Ich wollte Sie deshalb fragen, ob Sie die Kajute wahrend der Fahrt nach San Francisco mit uns teilen mochten.«
Katie O'Faolain starrte den Deutschen fur eine halbe Minute an, als sei er eins der sieben Weltwunder. Dann sturzte sie auf ihn zu, schlang ihre Arme um ihn und uberschuttete ihn mit einer Kanonade saftiger, schmatzender Kusse.
»Mr. Adler«, keuchte sie, als sie endlich von ihm ablie?. »Sie sind der beste, freundlichste, hoflichste Deutsche in den ganzen Vereinigten Staaten. Ich konnte Sie auf der Stelle heiraten!«
»Hm, vielen Dank«, brummte Jacob. »Aber ich schatze, dazu ist keine Zeit. Die ALBANY wird nicht auf uns warten.«
Dann verabschiedete er sich schnell auf spater an Bord, bevor der Witwe O'Faolain einfallen konnte, da? auch Schiffskapitane Trauungen vornehmen konnten.
*
Die Witwe O'Faolain und ihre Familie kamen ebenso punktlich an Bord wie Jacob, Irene und Jamie.
Auch die Glucklichen, die das Losverfahren zu Zwischendeckpassagieren bestimmt hatte, drangten sich, mit ihrer Habe bepackt, rechtzeitig uber die Planken auf den Dreimaster. Die Goldfelder Kaliforniens lockten und vertrieben jeden Mu?iggang.
Jeder, der an Bord kam, mu?te seinen Namen nennen. Der Zweite Steuermann, ein gedrungener Deutsch- Amerikaner namens Joe Weisman, strich den betreffenden Namen auf seiner Liste durch. Dann erst gaben ein paar kraftige, mit Knuppeln bewaffnete Seeleute den Weg zu den Decksaufbauten frei, wo die Treppe zum Zwischendeck hinunterfuhrte.