Kindertagen eine Menge Arger bekommen hat.
»Und? Was hast du also vor?«, fragte ich. »Ich bezweifle, dass du die Fahrt hierher nur unternommen hast, um mir
Er schien mir nicht zugehort zu haben. Er blickte uber die Felder zu der Stelle hinaus, wo sein neuer Silo am Horizont aufragte. Etwas Schwermutiges und Trauriges lag in seiner Miene, aber ich habe zu viel durchgemacht und zu viel geschrieben, um zu lugen: Dieser Ausdruck bewegte mich nicht sonderlich. 1922 war das schlimmste Jahr meines Lebens gewesen, eines, das mich in einen Menschen verwandelt hatte, den ich nicht mehr kannte, und Harlan Cotterie war nur ein weiteres Schlagloch auf einem steinigen, erbarmlichen Stra?enstuck.
»Sie hat Kopfchen«, sagte Harlan. »Mrs. McReady in der Schule sagt, dass Shan die intelligenteste Schulerin ist, die sie in ihrer ganzen Laufbahn unterrichtet hat - und die reicht fast vierzig Jahre zuruck. Sie ist in Englisch gut und in Mathe sogar noch besser - was bei Madchen selten vorkommt, sagt Mrs. McReady. Sie kann Triggerometrie, Wilf. Hast du das gewusst? Selbst Mrs. McReady kann keine Triggerometrie.«
Nein, das hatte ich nicht gewusst, aber ich wusste, wie man Trigonometrie aussprach. Ich spurte jedoch, dass dies vielleicht nicht der richtige Augenblick war, die Aussprache meines Nachbarn zu korrigieren.
»Sallie wollte sie aufs normale College in Omaha schicken. Dort nehmen sie seit 1918 au?er Jungen auch Madchen auf, obwohl bisher noch kein Madchen den Abschluss geschafft hat.« Er bedachte mich mit einem Blick, der schwer zu ertragen war: eine Mischung aus Abscheu und Feindseligkeit. »Die Madchen wollen namlich immer blo?
Er seufzte.
»Shan konnte die Erste sein. Sie hat die Begabung und das Kopfchen dafur. Das hast du nicht gewusst, stimmt’s?«
Nein, tatsachlich nicht. Ich hatte einfach angenommen - eine meiner vielen Annahmen, die sich als falsch erwiesen haben -, sie eigne sich zur Farmersfrau, aber nicht zu mehr.
»Sie konnte sogar spater am College unterrichten. Wir hatten vor, sie dorthin zu schicken, sobald sie siebzehn ist.«
»Shan war einverstanden, und das Geld habe ich auf die Seite gelegt. Alles war arrangiert.« Als er sich mir zuwandte, horte ich seine Halswirbel knarren. »Es ist
»Was habt ihr also beschlossen, Harl? Au?er dass ihr eure Tochter in eine Art … ich wei? nicht … Waisenhaus schicken wollt?«
Er reagierte ungehalten. »Das ist kein Waisenhaus, sondern eine saubere, erbauliche, tuchtige Einrichtung. Das habe ich mir erzahlen lassen. Ich habe mit dem Fernsprecher herumgefragt und uberall nur Gutes gehort. Sie bekommt dort Aufgaben, sie bekommt ihren Unterricht, und in weiteren vier Monaten bekommt sie ihr Baby. Gleich danach wird das Kleine zur Adoption freigegeben. Dafur sorgen
»Und welche Rolle spiele ich dabei? Ich habe eine, sonst warst du wohl nicht hier.«
»Verschei?erst du mich, Wilf? Ich wei?, dass du ein schwieriges Jahr hinter dir hast, aber ich lasse mich trotzdem nicht von dir verschei?ern.«
»Ich verschei?ere dich nicht, aber du musst erkennen, dass du nicht als Einziger aufgebracht und beschamt bist. Sag mir einfach, was du willst, dann konnen wir vielleicht Freunde bleiben.«
Das einzigartig kalte Lacheln, mit dem er darauf reagierte - nur ein Zucken der Lippen und fluchtig auftauchende Grubchen in den Mundwinkeln -, sagte sehr viel daruber aus, wie wenig Hoffnung er
»Ich wei?, dass du nicht reich bist, aber du musst trotzdem vortreten und deinen Teil der Verantwortung ubernehmen. Ihre Zeit im Heim - die Schwestern nennen sie Geburtsvorbereitung - wird mich 300 Dollar kosten. Schwester Camilla hat am Telephon von einer Spende gesprochen, aber ich erkenne eine Gebuhr, wenn ich von einer hore.«
»Wenn du vorschlagen willst, halbe-halbe zu machen…«
»Ich wei?, dass du keine 150 Dollar aufbringen kannst, aber du wirst hoffentlich die 75 aufbringen konnen, die eine Privatlehrerin kostet. So eine soll Shan helfen, schulisch auf dem Laufenden zu bleiben.«
»Das kann ich nicht. Arlette hat jeden Cent mitgenommen, als sie abgehauen ist.« Aber ich fragte mich erstmals, ob sie nicht vielleicht irgendwo ein paar Scheine versteckt hatte. Diese Sache mit den 200 Dollar, mit denen sie durchgebrannt sein sollte, war eine reine Luge gewesen, aber sogar etwas Nadelgeld ware in dieser Situation hilfreich gewesen.
»Nimm wieder einen Kurzkredit bei der Bank auf«, sagte er. »Wie ich hore, hast du den letzten bereits ganz zuruckgezahlt.«
Naturlich hatte er das gehort. An sich fallen solche Dinge zwar unters Bankgeheimnis, aber Manner wie Harlan Cotterie haben lange Ohren. Ich fuhlte eine Woge des Widerwillens gegen ihn. Er hatte mir fur die Maisernte seinen Mahdrescher geliehen und nur 20 Dollar dafur genommen? Na und? Er verlangte diesen Betrag und noch mehr, als hatte seine kostbare Tochter nie die Beine breit gemacht und gesagt:
»Ich hatte Erntegeld, um ihn zuruckzuzahlen«, sagte ich. »Das habe ich jetzt nicht mehr. Ich habe mein Land und mein Haus, aber das ist so ziemlich alles.«
»Lass dir was einfallen«, sagte er. »Nimm eine Hypothek auf das Haus auf, wenn’s sein muss. 75 Dollar sind dein Anteil, und wenn dein Junge dafur nicht mit funfzehn Windeln wechseln muss, kommst du billig davon, finde ich.«
Er stand auf. Ich ebenfalls. »Und wenn mir nichts einfallt? Was dann, Harl? Schickst du dann den Sheriff her?«
Er verzog die Lippen zu einem verachtlichen Ausdruck, der meinen Widerwillen gegen ihn in Hass verwandelte. Das Ganze geschah sekundenschnell, und ich spure diesen Hass noch heute, wo so viele andere Gefuhle aus meinem Herzen ausgebrannt worden sind. »Wegen einer Sache wie dieser wurde ich nie zur Justiz gehen. Aber wenn du dich davor druckst, deinen Teil der Verantwortung zu ubernehmen, sind wir geschiedene Leute.« Er blinzelte ins abnehmende Tageslicht. »Ich fahre jetzt. Das sollte ich auch, wenn ich noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein
In Gedanken stie? ich ihn von der Veranda und sprang mit beiden Beinen auf seinen harten gewolbten Bauch, wahrend er sich aufzurappeln versuchte. Dann holte ich meine Sichel aus der Scheune und stach ihm damit ein Auge aus. In Wirklichkeit blieb ich mit einer Hand auf dem Gelander stehen und sah zu, wie er die Stufen hinunterstapfte.
»Willst du nicht mit Henry reden?«, fragte ich. »Ich kann ihn rufen. Ihm tut das Ganze so leid wie mir.«
Harlan kam nicht aus dem Tritt. »Sie war rein, und dein Junge hat sie beschmutzt. Wurdest du ihn herholen, wurde ich ihn vielleicht niederschlagen. Ich konnte mich vielleicht nicht beherrschen.«
Da hatte ich so meine Zweifel. Henry war fast ausgewachsen, er war stark, und vor allem wusste er, wie man mordet. Und davon hatte Harl Cotterie nicht die geringste Ahnung.
Er brauchte den Nash nicht anzukurbeln, sondern musste nur auf einen Knopf drucken. Wohlhabend zu sein war auf alle mogliche Arten angenehm. »75 brauche ich, um diese Sache zum Abschluss zu bringen!«, rief er laut, um das Hammern und Knattern des Motors zu ubertonen. Dann beschrieb er einen engen Kreis um den Hackklotz, trieb George und seinen Harem in die Flucht und fuhr auf seine Farm mit dem gro?en Stromgenerator und dem flie?enden Wasser zuruck.
Als ich mich umdrehte, stand Henry blass und zornig neben mir. »Sie durfen sie nicht einfach so wegschicken!«
Er hatte also gelauscht. Ich kann nicht behaupten, dass mich das uberraschte.
»Sie konnen und werden es tun«, sagte ich. »Und wenn du jetzt unbesonnen etwas Dummes tust, machst du eine schlimme Situation nur noch schlimmer.«