Zeitsegmente ab. Von der Stra?e drang - erheblich lauter - das Knattern eines Motors herein. Es verstummte, danach folgte eine Pause, bevor ein weiterer Motor ansprang. War das mein Sohn, der erst mit dem Model T ankam und dann meinen Lastwagen klaute? Das lasst sich im Nachhinein nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich glaube, dass es so war.

»Wilf«, sagte Mr. Stoppenhauser, »Sie haben etwas Zeit gehabt, daruber hinwegzukommen, dass Ihre Frau sich heimlich davongemacht hat - entschuldigen Sie, dass ich ein schmerzhaftes Thema anspreche, aber es scheint relevant zu sein, und au?erdem ist das Buro eines Bankiers ein bisschen wie ein Beichtstuhl -, deshalb will ich Ihnen wie ein guter Onkel ernsthaft ins Gewissen reden.«

Diese Redewendung kannte ich - wie wohl die meisten seiner Kunden -, und ich reagierte mit dem pflichtbewussten Lacheln, das sie hervorrufen sollte.

»Leiht die Home Bank & Trust Ihnen 35 Dollar? Aber sicher! Ich ware versucht, die Sache unter uns zu regeln und Ihnen den Betrag personlich zu leihen, aber ich habe nie mehr Bargeld in der Tasche, als ich furs Mittagessen im Aber!« Er hob den Zeigefinger. »Sie brauchen keine 35 Dollar.«

»Leider doch.« Ich fragte mich, ob er wusste, wofur. Das war immerhin denkbar; er war wirklich ein listiger alter Kauz. Aber das war Harl Cotterie auch, und Harl war in diesem Herbst zudem ein beschamter alter Kauz.

»Nein, die brauchen Sie nicht. Sie brauchen 750, so viel brauchen Sie, und die konnten Sie auf der Stelle haben. Als Kontogutschrift oder in der Tasche, wenn Sie hinausgehen, mir ist eines so recht wie das andere. Die Hypothek auf Ihre Farm haben Sie vor 3 Jahren getilgt. Sie sind schuldenfrei. Also gibt’s absolut keinen Grund, weshalb Sie nicht zu uns kommen und eine neue Hypothek aufnehmen sollten. Es gibt keinen Grund, eine zweite aufzunehmen, wenn die erste restlos getilgt ist, sagen Sie? Das wird dauernd gemacht, mein Junge, und von den besten Leuten. Sie wurden staunen, wer alles in unseren Buchern steht. Wirklich die besten Leute. Jawohl.«

»Ich danke Ihnen sehr, Mr. Stoppenhauser, aber das mochte ich lieber nicht. Diese Hypothek hat die ganze Zeit wie eine graue Wolke uber mir gehangen, und…«

»Wilf, das ist der springende Punkt!« Der Zeigefinger kam wieder hoch. Diesmal bewegte er sich hin und her wie das Pendel der Standuhr. »Genau das ist der entscheidende Punkt! Es sind die Leute, die eine Hypothek aufnehmen und dann das Gefuhl haben, standig im Sonnenschein zu spazieren, die zuletzt in Verzug geraten und ihren wertvollen Besitz verlieren! Leute wie Sie, die solche Bankschulden wie eine Ladung Steine an einem truben Tag herumschleppen, das sind die Leute, die immer punktlich tilgen. Und wollen Sie mir etwa erzahlen, auf der Farm gabe es nichts

Ich dachte daruber nach. Schlie?lich sagte ich: »Die Versuchung ist sehr gro?, Sir. Das will ich nicht leugnen…«

»Ist auch nicht notig. Ein Bankiersburo, der Beichtstuhl eines Geistlichen - sehr wenig Unterschied. Die besten Manner dieser County haben auf diesem Stuhl gesessen, Wilf. Die allerbesten.«

»Aber ich bin nur wegen eines Kurzkredits hier - den Sie mir freundlicherweise gewahrt haben -, und uber diesen neuen Vorschlag muss ich erst ein bisschen nachdenken.« Dann kam mir eine neue Idee, die uberraschend erfreulich war. »Und ich sollte ihn mit meinem Jungen besprechen, mit Henry … oder Hank, wie er jetzt genannt werden will. Er kommt in das Alter, in dem er einbezogen werden muss, weil er eines Tages erben wird, was jetzt mir gehort.«

»Verstanden, vollig verstanden. Aber Sie konnen nichts Besseres tun, glauben Sie mir.« Er stand auf und streckte mir die Hand hin. Ich stand ebenfalls auf und schuttelte sie. »Sie sind hergekommen, um einen Fisch zu kaufen, Wilf. Ich bin bereit, Ihnen eine Angelrute zu verkaufen. Ein weit besserer Deal.«

»Danke.« Und als ich die Bank verlie?, dachte ich: Ich werde es mit meinem Sohn besprechen. Das war ein guter Gedanke. Ein warmer Gedanke fur ein Herz, dem seit Monaten frostelte.

Der Verstand ist ein komisches Ding, nicht wahr? Ich war in Gedanken so mit der Hypothek beschaftigt, die Mr. Stoppenhauser

Ich blieb einen Augenblick so stehen: halb in dem T, halb drau?en, eine Hand am Rahmen der Windschutzscheibe, die andere unter dem Sitz, unter dem ich die Kurbel aufbewahrte. Ich wusste vermutlich, warum Henry die Schule geschwanzt und diesen Tausch vorgenommen hatte, noch bevor ich seine Mitteilung unter dem improvisierten Briefbeschwerer herauszog und den Zettel auseinanderfaltete. Auf langeren Strecken war der Lastwagen zuverlassiger. Zum Beispiel auf einer Fahrt nach Omaha.

Papa,

ich habe den Lastwagen genommen. Du wei?t wahrscheinlich, wohin ich will. Lass mich in Ruhe.

Ich wei?, dass du mich von Sheriff Jones zuruckholen lassen kannst, aber wenn du das tust, erzahle ich alles. Du denkst vielleicht, dass ich mir die Sache anders uberlegen werde, weil ich »nur ein Kind« bin, ABER DAS TU ICH NICHT. Ohne Shan ist mir alles egal. Ich hab dich lieb, Papa, auch wenn ich nicht wei?, wieso, nachdem alles, was wir getan haben, mir nur Ehlend gebracht hat.

Dein dich liebender Sohn

Henry »Hank« James

Ich fuhr wie benommen zur Farm zuruck. Ich glaube, einige Leute winkten mir unterwegs zu - sogar Sallie Cotterie, die an ihrem Stra?enstrand Gemuse verkaufte, winkte mir zu, glaube ich -, und ich erwiderte ihr Winken vermutlich, aber ich habe keine Erinnerung daran. Zum ersten Mal, seit Sheriff Jones auf die Farm gekommen war und seine freundlichen, keine Antworten erfordernden Fragen gestellt und alles mit seinen kalt forschenden Augen betrachtet hatte, erschien mir der elektrische Stuhl als reale Moglichkeit - so real, dass ich beinahe die Schnallen auf der Haut spuren konnte, wahrend die Lederriemen um meine Handgelenke und Oberarme angezogen wurden.

Ich wurde geschnappt werden, ob ich nun den Mund hielt oder nicht. Das erschien mir unvermeidlich. Er hatte kein Geld, nicht mal sechs Dollar, um den Lastwagen vollzutanken, also wurde er marschieren mussen, lange bevor er auch nur Elkhorn erreichte. Wenn es ihm gluckte, irgendwo Benzin zu stehlen, wurde er gefasst werden, sobald er sich dem Heim naherte, in dem sie jetzt lebte (als Gefangene, wie Henry vermutete; sein unreifer Verstand war nie auf den Gedanken gekommen, sie konnte dort freiwillig zu Gast sein). Bestimmt hatte Harlan der Leiterin - Schwester Camilla - Henrys Personenbeschreibung gegeben. Selbst wenn er die Moglichkeit, der emporte Liebhaber konnte aufkreuzen, wo seine Geliebte hinter Schloss und Riegel sa?, nie in Betracht gezogen hatte, wurde Schwester Camilla daran gedacht haben. In ihrer Tatigkeit hatte sie bestimmt schon so einige Erfahrungen mit emporten Liebhabern gesammelt.

Meine einzige Hoffnung war, dass Henry, wenn er in die Fange der Justiz geriet, so lange schweigen wurde, bis er erkannte, dass er nicht auf meine Veranlassung hin, sondern wegen seiner toricht romantischen Vorstellungen geschnappt worden war. Darauf zu hoffen, dass ein Heranwachsender

Als ich auf den Hof fuhr, schoss mir ein verruckter Gedanke durch den Kopf: den Motor laufen lassen, eine Reisetasche packen und nach Colorado weiterfahren. Diese Idee hielt nur zwei Sekunden lang vor. Ich hatte zwar Geld - namlich 75 Dollar -, aber der T wurde liegenbleiben, lange bevor ich bei Julesburg die Staatsgrenze erreichte. Aber das war nicht das Entscheidende; ware es das gewesen, hatte ich nach Lincoln fahren und dort den T und 60 meiner Dollar gegen einen zuverlassigeren Wagen eintauschen konnen. Nein, entscheidend war die Farm. Die Heimstatte. Meine Heimstatte. Ich hatte meine Frau ermordet, um sie zu behalten, und wurde sie jetzt nicht verlassen, nur weil mein torichter, unreifer Komplize es sich in den Kopf gesetzt hatte, zu einem romantischen Ritterzug aufzubrechen. Wenn ich die Farm verlie?, wurde es nicht in Richtung Colorado, sondern ins Staatsgefangnis gehen. Wo man mich in Ketten halten wurde.

Das Ganze war am Montag vorgefallen. Weder am Dienstag noch am Mittwoch gab es Neuigkeiten. Sheriff Jones kam nicht, um mir mitzuteilen, Henry sei auf dem Highway von Lincoln nach Omaha als Anhalter aufgegriffen worden, und Harl Cotterie kam nicht, um mir (zweifellos mit puritanischer Befriedigung) zu erzahlen, die Polizei in Omaha habe Henry auf Schwester Camillas Ersuchen verhaftet und er sitze jetzt im Knast und erzahle wilde Geschichten von Messern und Brunnen und Rupfensacken. Auf der Farm blieb alles ruhig. Ich arbeitete im Garten, ich reparierte einen Zaun, ich lud Scheffelkorbe mit Gemuse auf einen Hanger, den der T ziehen konnte, ich molk die Kuhe, ich futterte die Huhner - und tat alles wie benommen. Irgendwie glaubte ich, ziemlich fest sogar, dass alles

Am Donnerstag kam dann Mrs. McReady - die liebenswerte, fullige Witwe, die an der Hemingford School allgemeinbildende Facher unterrichtete - mit ihrem eigenen Model T vorbei, um zu fragen, ob mit Henry alles in

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