Trapperhut tief in die Stirn gedruckt hatte. Die Mutter des Besitzers, die hinter dem Ladentisch gestanden hat, ist von dem Burschen mit irgendeinem Werkzeug bedroht worden. Vielleicht mit einer Brechstange oder einem Brecheisen, aber wer wei?? Sie geht auf die achtzig zu und ist halb blind.«

Diesmal war ich mit Schweigen an der Reihe. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Schlie?lich sagte ich: »Henry ist von der Schule aus weggefahren, Sheriff, und wie ich mich erinnere, hat er an diesem Tag ein Flanellhemd und eine Cordhose getragen. Er hat keine Kleidung mitgenommen … und besitzt gar keine Cowboysachen, wenn Sie damit Stiefel und alles meinen. Er besitzt auch keinen Trapperhut.«

»Auch diese Dinge konnte er gestohlen haben, nicht wahr?«

»Wenn Sie nicht mehr wissen, als Sie eben gesagt haben, sollten Sie lieber schweigen. Ich wei?, dass Sie mit Harlan befreundet sind …«

»Na, na, das hat nichts miteinander zu tun.«

Es hatte etwas miteinander zu tun, wie wir beide wussten, aber es gab keinen Grund, dieses Thema weiterzuverfolgen. Auch wenn meine 30 Hektar im Vergleich zu Harlan Cotteries 160 vielleicht unbedeutend waren, wurde ich mich als Grundbesitzer und Steuerzahler nicht einschuchtern lassen. Das hatte ich sagen wollen, und Sheriff Jones hatte es sehr gut verstanden.

»Mein Sohn ist kein Rauber, und er bedroht keine Frauen. So was tut er nicht, und so ist er auch nicht erzogen worden.«

Zumindest bis vor kurzem nicht, flusterte eine Stimme in meinem Kopf.

»Moglicherweise war’s auch nur ein Landstreicher, der schnell Kasse machen wollte«, sagte Jones. »Aber ich hatte das Gefuhl, die Sache ansprechen zu mussen, also hab ich’s getan. Und wir wissen nicht, was die Leute sagen werden, nicht wahr? Geruchte machen gern die Runde. Alle reden, nicht wahr? Reden ist wohlfeil. Was mich betrifft, ist der Fall erledigt - um Lyme Biska soll sich der Sheriff von Lyme County kummern, das ist mein Motto -, aber Sie sollten wissen, dass die Polizei in Omaha das Heim, in dem Shannon Cotterie ist, im Auge behalt. Das sage ich nur fur den Fall, dass Ihr Sohn von sich horen lasst, nicht wahr?«

Er strich sich das Haar zuruck und setzte seinen Hut dann zum letzten Mal gerade auf.

»Vielleicht kommt er von selbst zuruck, ohne etwas angestellt zu haben, und wir konnen das Ganze abschreiben wie … ich wei? nicht recht … wie einen faulen Kredit.«

»Einverstanden. Aber Sie durfen ihn nicht einen schlechten Sohn nennen, wenn Sie nicht bereit sind, Shannon Cotterie eine schlechte Tochter zu nennen.«

Die Art, wie seine Nasenlocher sich weiteten, zeigte mir, dass ihm das nicht sehr gefiel, aber er au?erte sich nicht

»Das tue ich naturlich.«

Er nickte und ging zu seinem Wagen zuruck. Lars hatte sich hinters Lenkrad gesetzt. Jones scheuchte ihn auf den Beifahrersitz - der Sheriff gehorte zu den Mannern, die immer selbst fuhren. Ich stand da und sah ihm nach, als er in Richtung Stadt davonbrauste. Ich musste an den jungen Mann denken, der den Laden uberfallen hatte, und redete mir ein, dass mein Henry so etwas niemals tate, und selbst wenn er sich dazu gezwungen sahe, ware er nicht raffiniert genug, Kleidung zu tragen, die er aus irgendjemands Scheune oder Schlafbaracke gestohlen hatte. Aber Henry war jetzt anders, und Morder lernen, raffiniert zu sein, oder? Nur so konnen sie uberleben. Ich dachte, vielleicht …

Aber nein. So will ich es nicht ausdrucken. Das ware zu schwach. Dies ist mein Gestandnis, mein letztes Wort zu allem, und welchen Zweck hatte es, wenn ich nicht die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen wurde? Welchen Zweck hatte da irgendetwas sonst?

Er war es gewesen. Henry war es gewesen. In Sheriff Jones’ Blick hatte ich gelesen, dass er den Raububerfall am Stadtrand nur erwahnt hatte, weil ich nicht wie erwartet vor ihm gekrochen war, aber ich glaubte es dennoch. Weil ich mehr wusste als Sheriff Jones. Was bedeutete es, ein paar Klamotten zu stehlen und vor dem Gesicht einer alten Frau ein Brecheisen zu schwenken, nachdem man seinem Vater geholfen hatte, die eigene Mutter zu ermorden? Nicht sonderlich viel. Und da er es einmal ausprobiert hatte, wurde er es noch einmal tun, sobald die 23 Dollar

Ich stieg zur Veranda hinauf, setzte mich und verbarg das Gesicht in den Handen.

Die Tage vergingen. Ich wei? nicht, wie viele, sondern nur, dass sie regnerisch waren. Hat der Herbstregen erst einmal eingesetzt, mussen die Arbeiten im Freien warten, und ich hatte nicht genug Vieh oder Nebengebaude, um mich mit sinnvollen Arbeiten unter Uberdachung zu beschaftigen. Ich versuchte zu lesen, aber die Worter schienen keine Satze bilden zu wollen, obwohl mir ab und zu einzelne kreischend ins Auge sprangen. Mord. Schuld. Verrat. Solche Worter.

Tagsuber sa? ich, gegen die feuchte Kalte in meinen Lammfellmantel gehullt, mit einem Buch auf den Knien auf der Veranda und sah zu, wie das Regenwasser vom Dachuberhang tropfte. Nachts lag ich bis in die Morgenstunden hinein wach und horchte auf den Regen auf dem Dach. Sein leises Trommeln klang, als begehrte jemand mit zaghaftem Klopfen Einlass. Ich verbrachte zu viel Zeit damit, an Arlette im Brunnen zu denken, wie sie mit ihrem seitlich verschobenen Gesicht dasa?. Ich begann mir einzubilden, sie sei weiter … zwar nicht lebendig (ich stand unter Anspannung, war aber nicht verruckt), aber sich der Ereignisse irgendwie bewusst. Irgendwie verfolgte sie die weitere Entwicklung aus dem improvisierten Grab, das sie sich mit Elpis teilte, und fand Vergnugen daran.

Gefallt es dir, wie die Dinge sich entwickelt haben, Wilf?, hatte sie gefragt, wenn sie gekonnt hatte (wozu sie in meiner Phantasie imstande war). Hat es sich gelohnt?

Und wahrend ich zusah, wie das Regenwasser vom Dachuberhang tropfte, oder darauf horchte, wie der Regen nachts Nein, naturlich nicht. Aber umkehren kann ich auch nicht mehr.

Als ich etwa eine Woche nach Sheriff Jones’ Besuch im Wohnzimmer sa? und Nathaniel Hawthornes Das Haus mit den sieben Giebeln zu lesen versuchte, schlich Arlette sich von hinten an mich heran, griff an meinem Kopf vorbei und tippte mir mit einem kalten, nassen Finger auf den Nasensattel.

Ich lie? das Buch auf den Flickenteppich fallen, schrie laut auf und sprang in die Hohe. Dabei zerfloss die kalte Fingerspitze und lief zu einem der Mundwinkel hinunter. Dann beruhrte sie mich nochmals oben am Kopf dort, wo mein Haar schutter zu werden begann. Diesmal lachte ich - ein zittriges, argerliches Lachen - und buckte mich, um das Buch aufzuheben. Dabei tippte der Finger mich zum dritten Mal an, diesmal im Nacken, als wollte meine tote Frau sagen: Beachtest du mich jetzt endlich, Wilf? Ich trat zur Seite - damit das vierte Tippen nicht ins Auge gehen wurde - und sah hinauf. Die Zimmerdecke war an einer Stelle tropfnass und verfarbt. Der Putz war noch nicht aufgewolbt, aber wenn es so weiterregnete, konnte er sogar abplatzen und in Stucken herunterfallen. Die undichte Stelle befand sich genau uber meinem Lesesessel. Wie denn auch anders. Das restliche Dach schien in Ordnung zu sein, zumindest furs Erste.

Ich dachte daran, wie Stoppenhauser gesagt hatte: Wollen Sie mir erzahlen, auf der Farm gabe es nichts zu verbessern? Ein Dach, das repariert werden musste? Und dieser schlaue Blick! Als hatte er’s gewusst. Als steckten Arlette und er irgendwie unter einer Decke.

Setz dir nicht solche Flausen in den Kopf, ermahnte ich mich selbst. Schlimm genug, dass du an sie denkst, wie sie dort unten hockt. Ob die Wurmer schon ihre Augen gefressen

Ich trat an den Tisch in der Ecke gegenuber, griff nach der dort stehenden Flasche und schenkte mir einen gro?en braunen Whiskey ein. Meine Hand zitterte, aber nur ein wenig. Den Whiskey sturzte ich mit zwei Schlucken hinunter. Ich wusste, dass es gefahrlich gewesen ware, solche Trinkerei zur Gewohnheit werden zu lassen, aber es passiert nicht jeden Abend, dass man spurt, wie einem die tote Frau an die Nase tippt. Danach fuhlte ich mich besser, mehr Herr meiner selbst. Ich brauchte keine 750-Dollar-Hypothek, um mein Dach zu reparieren; ich konnte es mit ein paar alten Brettern flicken, sobald der Regen nachlie?. Allerdings wurde das eine hassliche Reparatur werden; damit wurde das Haus heruntergekommen arm aussehen, wie meine Mutter gesagt hatte. Das war auch nicht der springende Punkt. Die Dachreparatur wurde nur ein, zwei Tage dauern. Ich brauchte etwas, was mich den ganzen Winter uber beschaftigte. Harte Arbeit wurde die Gedanken an Arlette auf ihrem Thron aus Erde, Arlette mit ihrem Haarnetz aus Sackrupfen aus meinem Kopf vertreiben. Ich brauchte Renovierungsprojekte, die mich so mude ins Bett kriechen lie?en, dass ich sofort einschlief, statt wachzuliegen, auf den Regen zu horchen und mich zu fragen, ob Henry ihm schutzlos ausgesetzt war - vielleicht hustend vor Grippe. Manchmal ist Arbeit das einzig Vernunftige, die einzige Losung.

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