Ordnung sei. »In der Schule macht eine … eine Magenverstimmung die Runde«, sagte sie. »Ich frage mich, ob er sich wohl vielleicht angesteckt hat. Er ist ganz plotzlich hinausgesturmt.«

»Er leidet tatsachlich«, sagte ich, »aber er ist liebeskrank statt magenkrank. Er ist weggelaufen, Mrs. McReady.«

Unerwartete Tranen, brennend und hei?, stiegen mir in die Augen. Ich zog mein Taschentuch aus der Brusttasche meiner Latzhose, aber ein paar liefen mir ubers Gesicht, bevor ich sie wegwischen konnte.

Als ich wieder klar sehen konnte, erkannte ich, dass Mrs. McReady, die es mit allen Kindern - auch den schwierigen - gut meinte, selbst den Tranen nahe war. Sie musste geahnt haben, worunter Henry wirklich litt.

»Keine Angst, er kommt wieder, Mr. James. Ich habe so was schon mehrfach erlebt und rechne damit, es noch ein-, zweimal zu erleben, bevor ich pensioniert werde, obwohl dieser Zeitpunkt nicht mehr so fern ist, wie er fruher war.« Sie senkte die Stimme, als befurchtete sie, George der Gockel oder jemand in seinem gefiederten Harem konnte ein Spion sein. »In Acht nehmen sollten Sie sich vor ihrem Vater. Er ist ein harter, unbeugsamer Mensch. Kein schlechter Mensch, aber hart.«

»Ich wei?«, sagte ich. »Und ich vermute mal, dass Sie wissen, wo seine Tochter jetzt ist.«

Sie senkte den Blick. Das war Antwort genug.

»Danke, dass Sie herausgekommen sind, Mrs. McReady. Darf ich Sie bitten, das alles fur sich zu behalten?«

»Ja, naturlich … aber die Kinder tuscheln schon. Seien Sie also gewarnt.«

Ja. Naturlich taten sie das.

»Haben Sie einen Telephonapparat, Mr. James?« Sie sah sich nach einer Leitung um. »Wie ich sehe, haben Sie keinen. Macht nichts. Wenn ich etwas hore, komme ich vorbei und sage es Ihnen.«

»Wenn Sie irgendwas fruher als Harlan Cotterie oder Sheriff Jones horen, meinen Sie.«

»Gott wird fur Ihren Sohn sorgen. Auch fur Shannon. Was waren die beiden doch fur ein reizendes Paar; das haben alle gesagt. Manchmal reift die Frucht zu fruh, und ein Frost lasst sie welken. Wirklich ein Jammer. Traurig und jammerschade.«

Sie schuttelte mir die Hand - mit einem kraftigen Druck wie dem eines Mannes -, und fuhr dann mit ihrem billigen kleinen Auto davon. Ich glaube nicht, dass ihr bewusst gewesen war, dass sie von Shannon und meinem Sohn zuletzt in der Vergangenheitsform gesprochen hatte.

Am Freitag kam Sheriff Jones in seinem Maxwell mit dem goldenen Stern auf der Tur heraus. Und er war nicht allein. Hinter ihm fuhr mein Lastwagen her. Bei diesem Anblick schlug mein Herz hoher, sank aber sofort wieder, als ich sah, wer am Steuer sa?: Lars Olsen.

Ich bemuhte mich, ruhig zu warten, wahrend Jones sein Ankunftsritual zelebrierte: Gurtel ruckartig hochziehen, Stirn abwischen (obwohl der Tag kuhl und bewolkt war), sich ubers Haar fahren. Aber ich schaffte es nicht. »Alles in Ordnung mit ihm? Haben Sie ihn gefunden?«

»Nein, konnen wir leider nicht behaupten.« Er kam die Verandatreppe herauf. »Ein Storungssucher fur die Uberlandleitungen

»Ich habe gehofft, er wurde von selbst zuruckkommen«, sagte ich bedruckt. »Er ist nach Omaha unterwegs. Ich wei? nicht, wie viel ich Ihnen erzahlen muss, Sheriff …«

Lars Olsen, der interessiert die Ohren spitzte, war unauffallig auf Horweite herangeschlendert. »Gehen Sie schon mal zu meinem Wagen, Olsen«, sagte Jones. »Das hier ist ein Privatgesprach.«

Lars, eine sanftmutige Seele, huschte davon, ohne Einwande zu erheben. Jones wandte sich wieder an mich. Er war weit weniger freundlich als beim ersten Besuch und hatte auch alle scheinbare Unbeholfenheit abgelegt.

»Ich wei? langst genug, nicht wahr? Dass Ihr Junge dafur gesorgt hat, dass Harl Cotteries Tochter in anderen Umstanden ist, und vermutlich nach Omaha abgehauen ist. Als er gemerkt hat, dass der Tank bald leer sein wurde, hat er den Wagen in ein Feld mit hohem Gras gefahren. Das war clever. Hat er diese Cleverness von Ihnen? Oder von Arlette?«

Ich sagte nichts, aber er hatte mich auf eine Idee gebracht. Nur eine kleine, die sich aber als nutzlich erweisen konnte.

»Ich will Ihnen das Einzige erzahlen, wofur wir ihm dankbar sind«, sagte Jones. »Was sogar dazu fuhren kann, dass er nicht hinter Gitter kommt. Bevor er weitergezogen ist, hat er alles Gras unter dem Truck ausgerissen. Damit der Auspuff es nicht in Brand setzt, nicht wahr? Ein gro?er Prariebrand, der ein paar Tausend Hektar erfasst, konnte ein Gericht ziemlich aufbringen, nicht wahr? Selbst wenn der Verursacher erst funfzehn oder so ware.«

»Das ist ja nun nicht passiert, Sheriff - er hat das Richtige getan -, was fuhrt Sie also zu mir?« Die Antwort darauf wusste ich naturlich. Sheriff Jones waren Leute wie Andrew Lester, Rechtsanwalt, vermutlich schei?egal, aber er war gut mit Harl Cotterie befreundet. Beide gehorten der neu gegrundeten »Elks Lodge« an, und Harl hatte es auf meinen Sohn abgesehen.

»Bisschen empfindlich, nicht wahr?« Er fuhr sich nochmals uber die Stirn und setzte dann den Stetson wieder auf. »Tja, ich ware vielleicht auch empfindlich, wenn er mein Sohn ware. Und wissen Sie was? Ware er mein Sohn und Harl Cotterie mein Nachbar - mein guter Nachbar -, ware ich vielleicht zu ihm rubergefahren und hatte gesagt: ›Harl? Wei?t du was? Ich glaube, mein Sohn konnte versuchen, an deine Tochter ranzukommen. Willst du nicht jemand auffordern, auf ihn zu achten?‹ Aber auch das haben Sie nicht getan, nicht wahr?«

Die Idee, auf die er mich gebracht hatte, sah immer besser aus, und es wurde allmahlich Zeit, ihn damit zu uberraschen.

»Er ist nicht aufgetaucht, wo immer sie ist, oder?«

»Noch nicht, nein, vielleicht sucht er noch.«

»Ich glaube nicht, dass er weggelaufen ist, um Shannon zu besuchen«, sagte ich.

»Wozu sonst? Gibt’s druben in Omaha etwa bessere Eiscreme? Dorthin war er namlich unterwegs, jede Wette.«

»Ich vermute, dass er auf der Suche nach seiner Mutter ist. Ich glaube, dass sie sich mit ihm in Verbindung gesetzt hat.«

Das machte ihn gut zehn Sekunden lang sprachlos - lange genug, um sich die Stirn abzuwischen und sich ubers Haar zu fahren. Dann fragte er: »Wie hatte sie das anstellen sollen?«

»Ich tippe auf einen Brief.« Das Lebensmittelgeschaft in Hemingford Home diente auch als unser Postamt, wo man

»Sie sollten sich schamen, so uber ein nettes Madchen zu reden!«

»Vielleicht ja, vielleicht nein, aber das Ganze hat mich ebenso uberrascht wie die Cotteries, und nun ist mein Junge fort. Die wissen wenigstens, wo ihre Tochter ist.«

Wieder war er ratlos. Dann zog er ein kleines Notizbuch aus der Hufttasche und kritzelte etwas hinein. Er steckte es wieder weg und fragte: »Aber Sie wissen nicht bestimmt, dass Ihre Frau sich mit dem Jungen in Verbindung gesetzt hat - wollen Sie das sagen? Dass alles nur eine Vermutung ist?«

»Ich wei?, dass er nach dem Weggang seiner Mutter oft von ihr gesprochen hat, bis damit plotzlich Schluss war. Und ich wei?, dass er nicht in diesem Heim, in das Harlan und seine Frau Shannon gesteckt haben, aufgekreuzt ist.« Daruber war ich ebenso verblufft wie Sheriff Jones … aber schrecklich dankbar. »Was kommt heraus, wenn man diese Tatsachen kombiniert?«

»Wei? ich nicht«, sagte Jones stirnrunzelnd. »Wei? ich ehrlich nicht. Ich dachte, ich hatte den Durchblick, aber ich hab mich gelegentlich schon geirrt, nicht wahr? Ja, und das kann auch in Zukunft passieren. Wir sind alle im Irrtum befangen, so steht’s in der Bibel. Aber, gro?er Gott, die jungen Leute machen mir das Leben schwer! Wenn Sie von Ihrem Sohn horen, Wilfred, sagen Sie ihm, er soll zusehen, dass er seinen mageren Hintern nach Hause bewegt und von Shannon Cotterie wegbleibt, falls er wei?, wo sie ist.

»Nein«, sagte ich grimmig, »von mir bekamen Sie nie eine Anzeige.«

»Aber.« Er hob den Zeigefinger, was mich an Mr. Stoppenhauser in der Bank erinnerte. »Vor drei Tagen hat jemand in Lyme Biska - nicht allzu weit von der Stelle entfernt, an der Ihr Lastwagen aufgefunden wurde - den Lebensmittelmarkt mit Athyltankstelle am Stadtrand uberfallen. Den mit dem Blue Bonnet Girl auf dem Dach, nicht wahr? Hat 23 Dollar erbeutet. Die Meldung liegt auf meinem Schreibtisch. Der Tater war ein junger Mann in alten Cowboysachen, der das Halstuch bis zur Nase hochgezogen und seinen

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