»Ratte«, brachte ich heraus.
Er legte einen Arm um mich und schleppte mich die Stufen hinunter und dann weiter zu seinem Wagen. George der Gockel lag steif gefroren neben dem Holzstapel, und die Kuhe muhten. Wann hatte ich sie zuletzt gefuttert? Ich wusste es nicht.
»Sheriff, Sie mussen …«
Aber er unterbrach mich. Er glaubte, ich phantasiere, und wieso auch nicht? Er konnte spuren, dass ich im Fieber gluhte, und sah es meinem geroteten Gesicht an. Er musste das Gefuhl haben, den Arm um einen Ofen gelegt zu haben. »Sie mussen sich schonen. Und Sie sollten Arlette dankbar sein, ohne sie ware ich namlich niemals hergekommen.«
»Tot«, stie? ich hervor.
»Ja. Sie ist tot, das stimmt.«
Also erzahlte ich ihm, dass ich sie umgebracht hatte. Oh, diese Erleichterung! In meinem Kopf schien ein bisher verstopftes Rohr sich auf magische Weise geoffnet zu haben, und der infizierte Geist, der dort gefangen gewesen war, entwich endlich.
Er warf mich wie einen Mehlsack in seinen Wagen. »Uber Arlette reden wir spater. Als Erstes bringe ich Sie zu den Barmherzigen Schwestern und ware Ihnen dankbar, wenn Sie mir nicht ins Auto kotzen wurden.«
Als er vom Hof fuhr und den toten Gockel und die muhenden Kuhe zurucklie? (und die Ratten! die nicht zu
Der Arzt glaubte, der Wundbrand habe den Unterarm noch nicht erfasst, und setzte mein Leben aufs Spiel, indem er nur die linke Hand amputierte. Seine Spekulation ging auf. Funf Tage nachdem Sheriff Jones mich ins Krankenhaus zu den Barmherzigen Schwestern in Hemingford City gebracht hatte, lag ich blass und schwach in einem Krankenbett, zwanzig Pfund leichter und ohne meine linke Hand, aber lebendig.
Jones kam mich besuchen. Er hatte eine ernste Miene aufgesetzt. Ich war darauf gefasst, dass er mir mitteilen wurde, er verhafte mich wegen Mordes an meiner Frau, und meine verbliebene Hand an einen Bettpfosten ketten wurde. Stattdessen sprach er mir sein Beileid zu meinem Verlust aus. Zu meinem Verlust! Was verstand dieser Idiot
Wieso sitze ich in diesem schabigen Hotelzimmer (wenngleich nicht allein!), statt in einem Mordergrab zu liegen? Das kann ich Ihnen in drei Worten sagen: wegen meiner Mutter.
Wie Sheriff Jones hatte sie die Angewohnheit, jede Unterhaltung mit rhetorischen Fragen zu wurzen. Bei ihm
Obwohl ich an jenem Tag Ende November, als Sheriff Jones vor meiner Tur gestanden hatte, fiebrig und sehr krank gewesen war, hatte ich mich nicht im Delirium befunden. Ich erinnere mich sehr genau an unser Gesprach, so wie man sich manchmal an Bilder aus einem besonders lebhaften Albtraum erinnert.
Sheriff Jones:
Und dann hatte ich gesprochen, wie ich’s auf dem Scho? meiner Mutter gelernt hatte:
Sheriff Jones fasste den rhetorischen Kunstgriff meiner Mutter (und nicht zu vergessen seinen eigenen) als wirkliche Frage auf. Jahre spater - in der Fabrik, in der ich Arbeit gefunden hatte, nachdem ich die Farm hatte verkaufen mussen - horte ich, wie ein Vorarbeiter einen Versandarbeiter dafur ausschalt, dass er eine Lieferung statt nach
Das hei?t, bislang noch nicht.
Sie sind hier bei mir, weit mehr als zwolf, an allen Wanden entlang der Fu?bodenleiste aufgereiht, und beobachten mich mit oligen Augen. Kame ein Zimmermadchen mit frischer Bettwasche herein und sahe diese Geschworenen im Pelz, wurde sie kreischend hinauslaufen, aber hier wird kein Madchen hereinkommen; vor zwei Tagen habe ich das Schild BITTE NICHT STOREN au?en an die Turklinke gehangt, und dort baumelt es noch immer. Ich bin nicht ausgegangen. Ich konnte mir aus dem Restaurant unten auf der Stra?e Essen kommen lassen, nehme ich an, aber ich vermute, dass Essen sie provozieren wurde. Ich bin ohnehin nicht hungrig, also ist das kein gro?es Opfer. Sie sind bisher geduldig gewesen, meine Geschworenen, aber ich befurchte, dass sie das nicht mehr lange bleiben werden. Wie alle Geschworenen warten sie darauf, dass die Zeugenaussagen abgeschlossen werden, damit sie ein Urteil fallen, ihre symbolische Entschadigung kassieren (in diesem Fall in Form von Fleisch) und zu ihren Familien heimkehren konnen. Deshalb muss ich zum Ende kommen.
Das wird nicht lange dauern. Der schwierige Teil liegt hinter mir.
Als Sheriff Jones sich an mein Krankenbett setzte, sagte er: »Sie haben es vermutlich in meinem Blick gesehen. Nicht wahr?«
Ich war weiter sehr krank, aber erholt genug, um vorsichtig zu sein. »Was gesehen, Sheriff?«
»Was ich Ihnen mitteilen wollte. Sie erinnern sich nicht daran, nicht wahr? Na, das uberrascht mich nicht weiter. Sie waren schwer krank, Wilf. Ich war mir ziemlich sicher, dass Sie sterben wurden, und dachte, ich wurde Sie nicht mehr lebend in die Stadt bringen. Aber anscheinend ist Gott noch nicht mit Ihnen fertig, nicht wahr?«
»War es Henry? Sind Sie rausgekommen, um mir von Henry zu erzahlen?«
»Nein«, sagte er, »ich war wegen Arlette bei Ihnen. Eine schlimme Nachricht, die schlimmste, aber Sie durfen sich keine Vorwurfe machen. Schlie?lich haben Sie sie nicht aus dem Haus geprugelt.« Er beugte sich vor. »Sie denken vielleicht, dass ich Sie nicht mag, Wilf, aber das stimmt nicht. In unserer Gegend gibt es welche, die das tun - und wir wissen, wer sie sind, nicht wahr? -, aber Sie durfen mich nicht mit ihnen zusammenwerfen, nur weil ich ihre Interessen berucksichtigen muss. Sie haben mich ab und zu verargert, und ich glaube, Sie konnten weiter mit Harl Cotterie befreundet sein, wenn Sie Ihren Jungen straffer im Zaum gehalten hatten, aber ich habe Sie immer respektiert.«
Das bezweifelte ich, hielt aber den Mund.
»Was Arlette betrifft, will ich es wiederholen, weil es eine Wiederholung wert ist: Sie durfen sich keine Vorwurfe machen.«
Ich durfte nicht? Ich fand, selbst fur einen Gesetzeshuter, der nie mit Sherlock Holmes verwechselt werden wurde, war
»Henry ist in Schwierigkeiten, wenn auch nur einige der Berichte, die ich bekomme, wahr sind«, sagte er mit schwerer Stimme, »und er hat Shannon Cotterie mit ins hei?e Wasser reingezogen. Darin werden sie vermutlich kochen. Das bringt Ihnen Kummer genug, ohne dass Sie auch noch behaupten, fur den Tod Ihrer Frau verantwortlich zu sein. Sie brauchen nicht …«
»Erzahlen Sie’s mir einfach«, sagte ich.
Zwei Tage vor seinem Besuch - vielleicht an dem Tag, an dem die Ratte mich biss, vielleicht auch nicht, aber um diese Zeit herum - hatte ein Farmer, der eine letzte Ladung Gemuse nach Lyme Biska brachte, drei Kojoten beobachtet, die sich ungefahr zwanzig Schritte nordlich der Stra?e um etwas balgten. Er ware wohl weitergefahren, hatte er nicht im Stra?engraben einen abgewetzten Damenschuh aus Lackleder und einen rosa Schlupfer entdeckt. Er hielt an, gab einen Schuss aus seinem Gewehr ab, um die Kojoten zu vertreiben, und ging