auf das Feld, um zu sehen, worum sie sich gebalgt hatten. Was er fand, war das Skelett einer Frau, an dem in den Uberresten eines Kleides noch einige Fleischfetzen hafteten. Was von ihrem Haar ubrig war, war mattbraun - eine Farbe, die Arlettes rotlich braunes Haar nach Monaten in Wind und Wetter angenommen haben konnte.
»Zwei Backenzahne haben gefehlt«, sagte Jones. »Haben Arlette ein paar Backenzahne gefehlt?«
»Ja«, log ich. »Die hat sie wegen einer Zahnfleischentzundung verloren.«
»Als ich damals bei Ihnen war, kurz nachdem sie abgehauen war, hat Ihr Junge gesagt, dass sie ihren guten Schmuck mitgenommen hat.«
»Ja.« Der Schmuck, der jetzt in dem Brunnen lag.
»Als ich gefragt habe, ob sie vielleicht Geld mitgenommen hat, haben Sie 200 Dollar erwahnt. Richtig?«
Ah, ganz recht. Die fiktiven 200 Dollar, die Arlette angeblich aus meiner Kommode genommen hatte. »Ja, das stimmt.«
Jones nickte. »Nun, da haben wir’s, da haben wir’s. Etwas Schmuck und etwas Geld. Das erklart alles, nicht wahr?«
»Ich verstehe nicht, was …«
»Weil Sie die Sache nicht aus dem Blickwinkel eines Polizeibeamten betrachten. Sie ist auf der Stra?e ausgeraubt worden, das ist alles. Irgendein Schuft hat eine Frau gesehen, die zwischen Hemingford und Lyme Biska als Anhalterin unterwegs war, sie ermordet, ihr das Geld und den Schmuck geraubt und die Leiche dann aufs nachste Feld geschleppt, damit sie von der Stra?e aus nicht zu sehen sein wurde.« Sein langes Gesicht zeigte, dass er glaubte, sie sei wahrscheinlich nicht nur beraubt, sondern auch vergewaltigt worden, und es sei vermutlich ein Gluck, dass nicht genug von ihr ubrig war, um diesen Verdacht zu bestatigen.
»So durfte es gewesen sein«, sagte ich und schaffte es irgendwie, ernst zu bleiben, bis er gegangen war. Dann walzte ich mich auf die Seite, und obwohl ich mir dabei den Armstumpf schmerzhaft anstie?, lachte ich los. Ich vergrub das Gesicht im Kopfkissen, aber nicht einmal das konnte das Gerausch wirklich dampfen. Als die Krankenschwester - ein hasslicher alter Drachen - hereinkam und mein tranenuberstromtes Gesicht sah, nahm sie an (Annahmen machen Sie
Und wissen Sie, warum ich lachte? Uber Jones wohlmeinende Dummheit? Das gluckliche Auftauchen einer toten Landstreicherin, die vielleicht von ihrem Begleiter umgebracht wurde, als beide betrunken waren? Ich lachte uber beides, aber vor allem uber den Schuh. Der Farmer hatte nur angehalten, um festzustellen, worum die Kojoten sich balgten, weil er im Stra?engraben einen Frauenschuh aus Lackleder hatte liegen sehen. Aber als Sheriff Jones sich an jenem Tag im vergangenen Sommer bei mir nach Schuhwerk erkundigt hatte, hatte ich ihm erklart, Arlette habe ihre
Und es fiel ihm auch nie wieder ein.
Als ich auf die Farm zuruckkam, war fast alles Vieh verendet. Die einzige Uberlebende war Achelois, die mich mit vorwurfsvollem Hungerblick betrachtete und klagend muhte. Ich futterte sie so liebevoll, wie man nur ein Haustier futtern wurde, und mehr war sie eigentlich auch nicht. Wie sonst wurde man ein Tier bezeichnen, das nicht langer zum Lebensunterhalt der Familie beitragen kann?
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Harlan sich mit Hilfe seiner Frau um meine Farm gekummert hatte, wahrend ich im Krankenhaus war; bei uns im Mittleren Westen war das unter Nachbarn ublich. Aber sogar als das klagende Muhen meiner verendenden Kuhe uber die Felder an sein Ohr gedrungen sein musste, wenn er sich zum Abendessen setzte, blieb er weg. Ich an seiner Stelle hatte vielleicht genauso gehandelt. In Harlan Cotteries Augen (und denen der Welt) hatte mein Sohn sich nicht damit begnugt, seine Tochter nur zu ruinieren; er war ihr an den Ort gefolgt, an dem sie Zuflucht hatte finden sollen, hatte sie entfuhrt und zu einem Verbrecherdasein gezwungen. Wie das Gerede von den »Sweetheart Bandits« sich in sein Herz eingefressen haben musste! Wie Saure!
In der folgenden Woche - ungefahr zu der Zeit, als Farmhauser und die Main Street in Hemingford Home weihnachtlich geschmuckt wurden - kam Sheriff Jones wieder zu mir auf die Farm heraus. Ein Blick auf sein Gesicht genugte, um mir zu zeigen, mit welcher Nachricht er kam, und ich schuttelte unwirsch den Kopf. »Nein. Nicht noch mehr. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Verschwinden Sie!«
Ich fluchtete ins Haus und hielt die Tur zu, aber ich war einarmig und schwach, und er konnte sich muhelos Zutritt verschaffen. »Rei?en Sie sich zusammen, Wilf«, sagte er. »Ich wei?, dass Sie das durchstehen konnen.« Als ob er wusste, wovon er redete.
Jones sah in den Schrank, auf dem der Zierbierkrug stand, fand meine traurig leere Flasche Whiskey, kippte den letzten Fingerbreit in den Krug und gab ihn mir. »Der Doktor ware dagegen«, sagte er, »aber er ist nicht hier, und Sie werden ihn brauchen.«
Die Sweetheart Bandits waren in ihrem letzten Versteck aufgefunden worden: Shannon an der Kugel des Thekenmanns gestorben, Henry an einer, die er sich selbst in den Kopf gejagt hatte. Die Toten waren vorlaufig nach Elko ins Leichenhaus gebracht worden. Harlan Cotterie wurde seine Tochter heimholen, aber mit meinem Sohn wollte er nichts zu schaffen haben. Naturlich nicht. Ich kummerte mich selbst darum. Henry traf am 18. Dezember mit dem Zug in Hemingford ein, und ich war mit einer schwarzen Leichenkutsche des Bestattungsunternehmens Castings Brothers am Bahnhof. Ich wurde mehrmals photographiert. Man stellte mir Fragen, die ich nicht einmal zu beantworten versuchte. Die Schlagzeilen des
Hatten die Reporter mich jedoch in der Leichenhalle gesehen, als der billige Fichtensarg geoffnet wurde, hatten sie
»Richten Sie ihn her«, wies ich Herbert Castings an, als ich wieder vernunftig reden konnte.
»Mr. James … Sir … die Schaden sind so …«
»Ich sehe, wie schlimm die Schaden sind. Richten Sie ihn her. Und holen Sie ihn aus dieser schei? Kiste. Legen Sie ihn in den besten Sarg, den Sie haben. Was das kostet, ist mir egal. Ich habe Geld.« Ich beugte mich uber ihn und kusste die zerfetzte Wange. Kein Vater sollte seinen Sohn zum letzten Mal kussen mussen, aber wenn irgendein Vater jemals dieses Los verdient hatte, war ich es.
Shannon und Henry wurden beide von der Glory of God Methodist Church in Hemingford aus beigesetzt, Shannon am 22. Dezember und Henry am Heiligabend. Bei Shannon war die Kirche voll, und das Weinen war fast laut genug, um die Mauern zum Beben zu bringen. Das wei? ich, weil ich dort war, zumindest eine Zeit lang. Ich stand unbeachtet ganz hinten und schlich mich nach der Halfte der Trauerrede von Reverend Thursby hinaus. Rev. Thursby bestattete auch Henry, aber ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass die Trauergemeinde viel kleiner war. Thursby sah nur mich, aber ich war dennoch nicht der einzige Gottesdienstbesucher. Auch Arlette war da und
Zahlte man alles zusammen - Trauergottesdienst, Grabmiete, Bestattungsunternehmen und Heimtransport der Leiche -, kostete die Beisetzung der sterblichen Uberreste meines Sohnes etwas uber 300 Dollar. Die bezahlte ich von meiner Hypothek. Woher hatte ich das Geld sonst nehmen sollen? Nach der Beerdigung fuhr ich heim in mein leeres Haus. Aber zuvor kaufte ich mir eine neue Flasche Whiskey.
1922 hatte noch eine weitere Uberraschung parat. Einen Tag nach Weihnachten kam ein gewaltiger Blizzard aus den Rockies herangerohrt und uberfiel uns mit 30 Zentimeter Schnee und Wind in Sturmstarke. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde der Schnee erst zu Schneeregen, dann zu peitschendem Regen. Gegen Mitternacht, als ich in dem dusteren Wohnzimmer sa? und meinen pochenden Armstumpf mit kleinen Schlucken Whiskey zu beruhigen versuchte, kam von der Ruckseite des Hauses ein gewaltiges Knirschen und Krachen. Das war das Dach, das teilweise einsturzte - genau der Teil, fur dessen Ausbesserung die aufgenommene Hypothek unter anderem hatte dienen sollen. Ich hob mein Glas zu einem ironischen Toast und nahm noch einen Schluck. Als kalter Wind um meine Schultern zu wehen begann, stand ich auf, holte meinen Mantel von seinem Haken im Vorraum und zog ihn an. Dann setzte ich mich wieder und trank noch etwas Whiskey. Irgendwann doste ich ein. Gegen drei Uhr weckte mich ein weiteres knirschendes Krachen. Diesmal war es die vordere Halfte des Stalls, die eingesturzt war. Achelois uberlebte auch dieses Mal, und am folgenden Tag holte ich sie
Am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags (den ich damit verbrachte, in meinem kalten Wohnzimmer kleine Schlucke Whiskey zu trinken, wobei mir meine uberlebende Kuh Gesellschaft leistete) zahlte ich das noch ubrige Hypothekengeld und erkannte, dass es nicht einmal fur eine notdurftige Ausbesserung der Sturmschaden reichen wurde. Das storte mich aber nicht besonders, weil ich den Geschmack am Farmerleben verloren hatte,