lag. »Ich nehme dein Hackfleisch mit, Lester, aber sei mir deswegen nicht bose. Ich tue dir sogar einen Gefallen. Es riecht schlecht, fast schon verdorben.«

»Eine Morderin und eine Diebin dazu«, sagte Little Driver mit seiner eintonigen Totenstimme. »Ist das nicht nett?«

»Schnauze, Les«, sagte sie und ging.

43

Wieso denkst du nicht selbst nach, bevor du dich erschie?t?

Das versuchte sie zu tun, als sie mit dem alten Pick-up wieder auf der windigen Stra?e zu Al Strehlkes Haus unterwegs war. Allmahlich begann sie zu glauben, Tom - selbst wenn er nicht bei ihr im Auto war - sei ein besserer Detektiv als Doreen Marquis in Bestform.

»Ich will es kurz machen«, sagte Tom. »Wenn du nicht glaubst, dass Al Strehlke an allem beteiligt war - und nicht nur am Rande, meine ich -, bist du verruckt.«

»Naturlich bin ich verruckt«, antwortete sie. »Weshalb wurde ich mir sonst einzureden versuchen, dass ich nicht den falschen Mann erschossen habe, obwohl ich wei?, dass ich’s getan habe?«

»Aus dir spricht Schuldbewusstsein, nicht Logik«, widersprach Tom. Das klang argerlich selbstgefallig. »Er war kein Unschuldslammchen, nicht mal ein nur halb schwarzes Schaf. Wach auf, Tessa Jean. Die beiden waren nicht nur Bruder, sie waren Partner.«

»Geschaftspartner.«

»Bruder sind nie nur Geschaftspartner. Ihr Verhaltnis ist immer komplizierter. Vor allem wenn man eine Frau wie Ramona als Mutter hat.«

Tess bog auf Al Strehlkes glatt asphaltierte Zufahrt ab. Vermutlich hatte Tom mit seiner Behauptung recht. Eines stand jedenfalls fest: Doreen und ihren Freundinnen aus dem Strickclub war nie eine Frau wie Ramona Norville begegnet.

Die Scheinwerfer auf dem Lichtmast flammten auf. Der Hund begann zu klaffen: jark-jark, jarkjarkjark. Tess wartete darauf, dass das Licht ausgehen und der Koter verstummen wurde.

»Aber das kann ich niemals mit Sicherheit feststellen, Tom.«

»Richtig, das kannst du nicht, wenn du nicht nachsiehst.«

»Selbst wenn er es gewusst hat, war er nicht der Kerl, der mich vergewaltigt hat

Tom schwieg einen Augenblick lang. Sie glaubte schon, er habe aufgegeben. Dann sagte er: »Wenn jemand etwas Boses tut, und ein anderer wei? davon, ohne es zu unterbinden, sind beide gleich schuldig.«

»In den Augen des Gesetzes?«

»Auch in meinen Augen. Nehmen wir mal an, nur Lester habe gejagt, vergewaltigt und gemordet. Dass es so war, glaube ich nicht, aber nehmen wir das mal an. Wenn der gro?e Bruder alles gewusst, aber nichts gesagt hat, dann hat er dafur den Tod verdient. Ich wurde sogar sagen, dass Kugeln zu gut fur ihn waren. Ihn mit einem gluhenden Schureisen zu pfahlen ware gerechter gewesen.«

Tess schuttelte mude den Kopf und beruhrte den Revolver auf dem rechten Sitz. Nur noch ein Schuss ubrig. Wenn sie damit den Hund erlegen musste (und was war unter Freunden schon ein weiterer Todesschuss?), wurde sie sich eine andere Waffe besorgen mussen, au?er sie versuchte, sich aufzuhangen oder sonst was. Aber Kerle wie die Bruder Strehlke hatten meistens Schusswaffen. Das war das Schone daran, wie Ramona gesagt hatte.

»Wenn er es gewusst hatte, ja. Aber fur ein so gro?es Wenn hat er keine Kugel in den Kopf verdient. Bei seiner Mutter war das anders - in ihrem Fall waren die Ohrringe Beweis genug. Aber hier gibt es keinen Beweis.«

»Wirklich nicht?« Toms Stimme war fast unhorbar leise. »Sieh doch mal nach.«

44

Der Hund bellte nicht, als Tess die Stufen hinaufpolterte, aber sie konnte sich vorstellen, wie er mit gesenktem Kopf und gefletschten Zahnen gleich hinter der Haustur stand.

»Goober?« Hol’s der Teufel, fur einen Landhund war das ein ebenso guter Name wie jeder andere. »Mein Name ist Tess. Ich habe etwas Hackfleisch fur dich. Ich habe auch

Noch immer kein Bellen. Reagierte er vielleicht nur auf die Scheinwerfer auf dem Lichtmast? Oder auch auf leckere Einbrecherinnen? Tess versuchte es mit einem Schlussel, dann mit einem weiteren. Ohne Erfolg. Sie passten vermutlich fur Turen des Firmengebaudes. Der dritte lie? sich im Schloss drehen, und sie stie? rasch die Haustur auf, bevor der Mut sie verlie?. Sie hatte sich eine Bulldogge oder einen Rottweiler oder Pitbull mit roten Augen und sabbernden Lefzen vorgestellt. Vor ihr sa? ein Jack-Russell-Terrier, der hoffnungsfreudig zu ihr aufsah und mit dem Schwanz auf den Fu?boden klopfte.

Tess steckte den Revolver in eine Jackentasche und tatschelte dem Hund den Kopf. »Meine Gute«, sagte sie. »Wenn ich mir vorstelle, dass ich schreckliche Angst vor dir hatte.«

»Nicht notig«, sagte Goober. »Hor mal, wo ist Al?«

»Frag lieber nicht«, sagte sie. »Mochtest du etwas Hackfleisch? Aber ich muss dich warnen, es konnte schon fast hinuber sein.«

»Nur her damit, Baby«, sagte Goober.

Tess futterte ihn mit einem Brocken Hackfleisch, dann kam sie herein, schloss die Haustur und machte Licht. Wieso auch nicht? Schlie?lich war sie mit Goober allein im Haus.

Alvin Strehlkes Haus war ordentlicher als das seines jungeren Bruders. Die Boden und Wande waren sauber, es gab keine Stapel von Onkel Henry’s Tauschfuhrer, und in den Regalen standen sogar ein paar Bucher. Auffallig waren auch mehrere Gruppen von Hummel-Figuren und ein gro?es gerahmtes Foto von Mamazilla an der Wand. Tess fand das irgendwie vielsagend, aber es war noch langst kein unwiderlegbarer Hinge hier ein Foto von Richard Widmark in seiner beruhmten Rolle als Tommy Udo, ware das etwas anderes.

»Woruber lachelst du?«, fragte Goober. »Willst du’s mir nicht verraten?«

»Eher nicht«, sagte Tess. »Wo sollen wir anfangen?«

»Keine Ahnung«, sagte Goober. »Ich bin nur der Hund. Wie war’s mit etwas mehr von dieser schmackhaften Kuh?«

Tess gab ihm einen weiteren Brocken Hackfleisch. Goober stellte sich auf die Hinterbeine und drehte sich zweimal um sich selbst. Tess fragte sich, ob er dabei war, durchzudrehen.

»Tom? Hast du irgendwas zu sagen?«

»Deinen Slip hast du im Haus des anderen Bruders gefunden, stimmt’s?«

»Ja, und ich habe ihn mitgenommen. Er ist zerrissen - und ich wurde ihn nie mehr tragen wollen, selbst wenn er das nicht ware -, aber er gehort mir

»Und was hast du noch gefunden?«

»Was meinst du mit ›was noch‹?«

Aber das brauchte Tom ihr nicht zu sagen. Es ging nicht darum, was sie gefunden hatte; viel wichtiger war, was sie nicht gefunden hatte: keine Handtasche, keine Schlussel. Ihre Schlussel hatte Lester Strehlke vermutlich in den Wald geworfen. Das hatte Tess an seiner Stelle getan. Aber die Handtasche war etwas anderes. Sie war ein sundteures Modell von Kate Spade mit einem eingenahten Seidenstreifen, auf dem der Name seiner Besitzerin stand. Wenn die Handtasche - und ihr Inhalt - nicht in Lesters Haus war und er sie nicht mit ihren Schlusseln in den Wald geworfen hatte … wo war sie dann?

»Ich pladiere fur hier«, sagte Tom. »Sehen wir uns doch mal um.«

»Fleisch!«, rief Goober und drehte eine weitere Pirouette.

45

Wo sollte sie anfangen?

»Das wei?t du genau«, sagte Tom. »Manner bewahren ihre Geheimnisse immer an einem von zwei Orten auf: Arbeitszimmer oder Schlafzimmer. Doreen wei? das vielleicht nicht, du schon. Und

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