Am anderen Ende wurde abgenommen, und Tess erkannte die Stimme aus dem Horer sofort.
»Hallo, hier ist der Anschluss von Betsy, aber ich kann gerade nicht ans Telefon kommen. Jetzt folgt ein Piepston, und ihr wisst, was ihr dann tun konnt. Schonen Tag noch.«
Der Piepston kam, und Tess horte sich sprechen, bevor sie uberhaupt wusste, dass sie das wollte. »Hallo, Ms. Neal, hier ist Tessa Jean - die Willow-Grove-Lady? Wir haben uns im Stagger Inn kennengelernt. Sie haben mir mein TomTom zuruckgegeben und mich um ein Autogramm fur Ihre Oma gebeten. Sie haben gesehen, wie ich zugerichtet war, und ich habe Ihnen ein paar Lugen erzahlt. Es war nicht mein Freund, Ms. Neal.« Tess begann rascher zu sprechen, weil sie furchtete, das Tonband konnte zu Ende sein, bevor sie alles erzahlt hatte … und entdeckte, dass sie unbedingt alles erzahlen wollte. »Ich bin vergewaltigt worden, und das war schlimm, aber dann wollte ich mich dafur rachen und … Ich … ich muss mit Ihnen daruber reden, weil …«
Ein Klicken in der Leitung, dann horte Tess Betsy Neals Stimme. »Fangen Sie noch mal von vorn an«, sagte sie, »aber reden Sie langsam. Ich schlafe noch halb.«
47
Sie trafen sich zum Lunch im Stadtpark von Colewich. Dort sa?en sie auf einer Bank in der Nahe des Musikpodiums. Tess glaubte, nicht hungrig zu sein, aber Betsy Neal drangte ihr ein Sandwich auf, und Tess merkte uberrascht, dass sie es mit gro?en Bissen a?, die sie daran erinnerten, wie Goober Lester Strehlkes Hackfleisch verschlungen hatte.
»Fangen Sie vorn an«, sagte Betsy. Sie war ruhig, fand Tess - fast unnaturlich ruhig. »Fangen Sie vorn an, und erzahlen Sie mir alles.«
Tess begann mit der Einladung von Books & Brown Baggers. Betsy Neal sagte wenig und warf nur ab und zu ein »Mhm« oder »Okay« ein, damit Tess wusste, dass sie weiter
Als sie fertig war, war es kurz nach eins. Die wenigen Leute, die in den Park gekommen waren, um hier ihre Mittagspause zu machen, waren wieder fort. Zwei junge Mutter schoben Kinderwagen vor sich her, aber sie waren ziemlich weit entfernt.
»Mal sehen, ob ich alles richtig verstanden habe«, sagte Betsy Neal. »Sie wollten sich erschie?en, aber dann hat Ihnen eine Phantomstimme geraten, stattdessen zu Alvin Strehlkes Haus zuruckzufahren.«
»Ja«, bestatigte Tess. »Wo ich erst meine Handtasche gefunden habe. Und dann die Pluschente mit dem Blut am Schnabel.«
»Ihren Slip haben Sie im Haus des jungeren Bruders gefunden.«
»In Little Drivers Haus, ja. Er liegt in meinem Expedition. Die Handtasche auch. Wollen Sie sie sehen?«
»Nein. Was ist mit dem Revolver?«
»Der liegt auch in meinem Wagen. Noch mit einer Patrone geladen.« Sie musterte Neal neugierig und dachte wieder:
»Wir sind in einem offentlichen Park. Au?erdem habe ich zu Hause auf meinem Anrufbeantworter Ihr ziemlich ausfuhrliches Gestandnis.«
Tess blinzelte. Noch etwas, woran sie nicht gedacht hatte.
»Selbst wenn Sie es irgendwie schaffen wurden, mich umzulegen, ohne dass die beiden jungen Mutter dort druben etwas merken …«
»Ich bin zu erledigt, um noch jemanden umzubringen. Weder hier noch sonst wo.«
»Freut mich, das zu horen. Wenn Sie es namlich taten - und auch wenn Sie meinen Anrufbeantworter verschwinden lie?en -, wurde fruher oder spater jemand den Taxifahrer finden, der Sie am Samstagmorgen zum Stagger Inn hinausgebracht hat. Und wenn die Polizei dann zu Ihnen kame, wurde sie auf Ihrem Gesicht eine Menge belastender Spuren finden.«
»Ja«, sagte Tess und beruhrte die schlimmsten Prellungen. »Das ist wahr. Und wie geht’s jetzt weiter?«
»Zum einen glaube ich, dass Sie gut beraten waren, sich moglichst wenig sehen zu lassen, bis Ihr hubsches Gesicht wieder hubsch aussieht.«
»Da kann mir nichts passieren, denke ich«, sagte Tess und erzahlte Betsy die Geschichte, die sie sich fur Patsy McClain ausgedacht hatte.
»Gut. Das ist gut.«
»Ms. Neal … Betsy … glauben Sie mir?«
»O ja«, sagte sie fast geistesabwesend. »Passen Sie jetzt auf. Horen Sie mir zu?«
Tess nickte.
»Wir sind zwei Frauen, die ein kleines Picknick im Park machen, und das ist okay. Aber nach dem heutigen Tag sehen wir uns nie wieder. Richtig?«
»Wenn Sie meinen«, sagte Tess. Ihr Gehirn fuhlte sich an wie ihr Kiefer, wenn ihr Zahnarzt ihr eine ordentliche Dosis Novocain gespritzt hatte.
»Das tue ich. Und Sie mussen sich eine weitere Geschichte fur den Fall zurechtlegen, dass die Polizei mit dem Limo-Fahrer redet, der Sie heimgefahren hat …«
»Manuel. Er hat Manuel gehei?en.«
»… oder mit dem Taxifahrer, der Sie am Samstagmorgen zum Stagger Inn rausgefahren hat. Ich glaube nicht, dass jemand Sie mit den Strehlkes in Verbindung bringt, solange keine Ihrer Karten auftaucht, aber wenn die Story bekanntwird,
Nein. Das hatte sie absolut nicht.
»Was konnten Sie den Cops erzahlen, Schatzchen? Eine gute Story, in der ich nicht vorkomme. Also los, Sie sind die Autorin!«
Tess uberlegte eine volle Minute. Betsy lie? sie in Ruhe nachdenken.
»Ich wurde sagen, dass Ramona Norville mir nach meinem Vortrag von der Abkurzung uber die Stagg Road erzahlt hat - was ubrigens stimmt - und ich das Stagger Inn im Vorbeifahren gesehen habe. Ich wurde sagen, dass ich ein paar Meilen weiter zu Abend gegessen und dann beschlossen habe, zuruckzufahren und mir ein paar Drinks zu genehmigen. Und der Band zuzuhoren.«
»Das ist gut. Sie hei?t …«
»Ich wei?, wie sie hei?t«, sagte Tess. Vielleicht klang die Wirkung des Novocains ab. »Ich wurde sagen, dass ich ein paar Manner kennengelernt, etwas zu viel getrunken und dann gemerkt habe, dass ich nicht mehr fahrtuchtig war.
»Okay, das reicht«, sagte Betsy. »Wenn Sie erst mal in Fahrt kommen, sind Sie ziemlich gut. Schmucken Sie die Story blo? nicht zu sehr aus.«
»Das tue ich nicht«, sagte Tess. »Moglicherweise ist es ja auch eine Story, die ich nie erzahlen muss. Sobald die Cops die Strehlkes und ihre Opfer gefunden haben, werden sie nach einem ganz anderen Tater fahnden als nach einer Bucher schreibenden kleinen Lady wie mir.«
Betsy Neal lachelte. »Bucher schreibende kleine Lady, dass ich nicht lache! Sie sind ein ubles Weibsbild.« Dann sah sie offenbar den plotzlich besorgten Ausdruck auf Tess’ Gesicht. »Was? Was gibt’s denn jetzt wieder?«
»Sie
»Hat er einen Gummi ubergestreift, bevor er Sie vergewaltigt hat?«
»Nein. Gott, nein. Sein Zeug war noch an meinen Schenkeln, als ich heimgekommen bin. Und in mir.«
»Dann hat er es bei den anderen auch ohne gemacht. Reichlich Beweismaterial. Daraus ziehen die Ermittler bestimmt die richtigen Schlusse. Wenn die Kerle den Inhalt Ihrer Handtasche wirklich vernichtet haben, durfte Ihnen nichts passieren. Und es hat keinen Zweck, sich wegen etwas Sorgen zu machen, was man nicht beeinflussen kann, stimmt’s?«
»Ja.«