und sie hatte sein Streicheln immer geliebt. Jetzt tat sie es nicht, und das lag nicht nur an den schrecklichen Entdeckungen dieser Nacht. Wie konnte ihr bisher entgangen sein, wie selbstgefallig besitzergreifend seine Beruhrung war? Du bist eine alte Hundin, aber du bist meine alte Hundin, schien sie zu sagen. Nur hast du diesmal eine Pfutze gemacht, wahrend ich weg war, und das ist schlimm. Das ist sogar gaaanz schlimm.

Sie schob seine Hand weg und setzte sich auf. »Um Himmels willen, wovon redest du? Du schleichst dich hier rein, du weckst mich auf …«

»Ja, du hast bei Licht geschlafen - das habe ich gleich gesehen, als ich in die Einfahrt eingebogen bin.« Sein Lacheln war nicht im Geringsten schuldbewusst. Auch nicht bedrohlich. Es war das gutmutige Bob-Anderson- Lacheln, das sie fast von Anfang an geliebt hatte. Einen Augenblick lang hing sie der Erinnerung nach, wie sanft er in ihrer Hochzeitsnacht gewesen war, wie er sie nicht gedrangt hatte. Wie er ihr Zeit gelassen hatte, sich an das Neue zu gewohnen.

Was er auch diesmal tun wird, dachte sie. Und sie wusste, dass ihre Vermutung zutreffen wurde.

»Du schlafst sonst nie bei Licht, Darce. Und obwohl du dein Nachthemd anhast, tragst du darunter einen Bustenhalter, was du ebenfalls nie tust. Hast einfach vergessen, ihn auszuziehen, nicht wahr? Armer Schatz. Armes mudes Madchen.«

Er beruhrte fluchtig ihre Brust, dann nahm er - Gott sei Dank - die Hand wieder weg.

»Au?erdem hast du meinen Wecker umgedreht, um die Uhrzeit nicht sehen zu mussen. Du hast einen Schock erlitten, und ich bin schuld daran. Das tut mir leid, Darce. Aus tiefster Seele leid.«

»Ich habe etwas gegessen, das mir nicht bekommen ist.« Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.

Er lachelte geduldig. »Du hast mein spezielles Versteck in der Garage gefunden.«

»Ich wei? nicht, wovon du redest.«

»Oh, du hast dich bemuht, alles so zu hinterlassen, wie du es vorgefunden hattest, aber ich bin in solchen Dingen sehr penibel, und der kleine Klebstreifen, den ich am oberen Rand der Klappe angebracht hatte, war zerrissen. Das hast du nicht gemerkt, stimmt’s? Wie denn auch? Diese Sorte Klebeband ist fest angedruckt fast unsichtbar. Und die Kassette steht zwei, drei Fingerbreit weiter links, als ich sie abgestellt habe - als ich sie immer hinstelle.«

Er streckte eine Hand aus, um abermals ihre Wange zu streicheln, und zog sie (anscheinend ohne Groll) sofort zuruck, als Darcy den Kopf wegdrehte.

»Bobby, ich merke, dass du irgendeine fixe Idee hast, aber ich wei? wirklich nicht, wovon du redest. Vielleicht bist du uberarbeitet.«

Er verzog die Lippen zu einer betrubten kleinen Grimasse, und seine Augen wurden tranenfeucht. Unglaublich. Sie musste sich beherrschen, um ihn nicht zu bemitleiden.

»Ich wei? uberhaupt nicht, wovon du redest.«

Bob seufzte. »Ich hatte auf einer langen Ruckfahrt Zeit, uber diese Sache nachzudenken, Schatz. Und je langer, je intensiver ich daruber nachgedacht habe, desto klarer ist mir geworden, dass tatsachlich nur eine einzige Frage beantwortet werden muss: WWDT.«

»Ich verstehe nicht …«

»Pst«, sagte er und legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen. Sie konnte Seife riechen. Er musste geduscht haben, bevor er das Motel verlassen hatte - etwas, was fur Bob typisch war. »Ich werde dir alles erzahlen. Ich will dir alles gestehen. Ich glaube, dass ich mir im Innersten stets gewunscht habe, alles zu bekennen.«

Und obwohl sie vielleicht noch Schlimmeres erwartete, war dies das Schrecklichste, zumindest vorerst. »Ich will nichts horen. Ich wei? nicht, welche fixe Idee dich umtreibt, aber ich will nichts davon wissen.«

»In deinem Blick lese ich etwas anderes, Schatz, und ich bin sehr gut darin geworden, die Blicke von Frauen zu deuten. Darin bin ich geradezu Experte. WWDT bedeutet: Was wurde Darcy tun? In diesem Fall: Was wurde Darcy tun, wenn sie mein spezielles Versteck und den Inhalt meiner speziellen Kassette fande? Ich habe dieses Kastchen ubrigens immer geliebt, weil du es mir geschenkt hast.«

Er beugte sich vor und druckte ihr rasch einen Kuss auf die Stirn. Seine Lippen waren feucht. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfullte diese Beruhrung ihrer Haut sie mit Abscheu, und ihr kam in den Sinn, dass sie tot sein konnte, bevor die Sonne aufging. Weil tote Frauen nichts ausplauderten. Allerdings, dachte sie, wurde er moglichst dafur sorgen, dass ich nicht »leide«.

»Als Erstes habe ich mich gefragt, ob der Name Marjorie Duvall dir etwas sagen wurde. Als Antwort auf diese Frage hatte ich mir ein gro?es altes Nein gewunscht, aber manchmal muss man Realist sein. Du bist nicht der gro?te Nachrichtenjunkie der Welt, aber ich habe lange genug mit dir zusammengelebt, um zu wissen, dass du die wichtigsten Meldungen im Fernsehen und in der Zeitung verfolgst. Ich habe angenommen, dass du den Namen oder zumindest das Fuhrerscheinfoto erkennen wurdest. Au?erdem habe ich mich gefragt: Wird sie nicht neugierig sein, wie ich zu diesen Ausweiskarten gekommen bin? Frauen sind immer neugierig. Sieh dir Pandora an.«

Oder Blaubarts Frau, dachte Darcy. Die Frau, die einen Blick in den abgesperrten Raum warf und darin die abgeschlagenen Kopfe aller ihrer Vorgangerinnen entdeckte.

»Bob, ich schwore dir, dass ich keine Ahnung habe, wovon du re…«

»Also habe ich nach meiner Ankunft als Erstes deinen Computer hochgefahren, Firefox geoffnet - das ist der Browser, den du immer benutzt - und mir den Verlauf angesehen.«

»Den was?«

Er schmunzelte, als ware ihm eine besonders witzige Pointe gelungen. »Du wei?t nicht einmal, was ich meine. Das habe ich mir gedacht, denn bei jeder Kontrolle war immer alles da. Du loschst ihn nie!« Und er schmunzelte erneut, so wie es ein Mann tat, wenn eine Frau eine Eigenschaft bewies, die er besonders liebenswert fand.

Darcy spurte die ersten schwachen Zornregungen. Unter diesen Umstanden vielleicht absurd, aber trotzdem deutlich spurbar.

»Du kontrollierst meinen Computer? Du Schnuffler! Dreckiger Schnuffler!«

»Naturlich kontrolliere ich ihn. Ich habe einen sehr bosen Freund, der sehr schlimme Dinge tut. Ein Mann in meiner Lage muss auf dem Laufenden bleiben, was seine private Umgebung betrifft. Seit die Kinder aus dem Haus sind, besteht sie nur noch aus dir.«

Ein boser Freund? Ein boser Freund, der schlimme Dinge tat? Ihr schwindelte, aber eines war ihr nur allzu klar: Weiteres Leugnen ware zwecklos gewesen. Sie wusste Bescheid, und er wusste, dass sie es wusste.

»Du hast dich nicht nur uber Marjorie Duvall informiert.« In seiner Stimme horte sie weder Schuldbewusstsein noch Rechtfertigungsversuche, sondern nur ein grausiges Bedauern daruber, dass es so weit gekommen war. »Du hast dich uber alle informiert.« Dann lachte er und sagte: »Hoppla!«

Sie setzte sich auf und lehnte sich ans Kopfende des Betts, wodurch sich der Abstand zu ihm leicht vergro?erte. Das war gut. Abstand war gut. In all diesen Jahren hatte sie Hufte an Hufte, Schenkel an Schenkel mit ihm gelegen, aber jetzt war Abstand gut.

»Welcher bose Freund? Von wem redest du uberhaupt?«

Er legte den Kopf schrag, Bobs Korpersprache fur: Du bist begriffsstutzig, aber auf niedliche Weise. »Brian.«

Anfangs hatte sie keine Ahnung, von wem er sprach, und vermutete, das musse ein Arbeitskollege sein. Vielleicht ein Komplize? Auf den ersten Blick erschien das kaum wahrscheinlich, denn sie hatte behauptet, Bob habe so wenig Talent dafur, Freunde zu gewinnen, wie sie selbst, aber Manner, die solche Verbrechen begingen, hatten manchmal Komplizen. Schlie?lich jagten auch Wolfe in Rudeln.

»Brian Delahanty«, sagte er. »Erzahl mir blo? nicht, dass du Brian vergessen hast. Ich habe dir alles uber ihn erzahlt, nachdem du mir erzahlt hast, was Brandolyn zugesto?en ist.«

Ihr stand der Mund offen. »Dein Freund aus der Highschool? Bob, der ist tot! Er ist unter einen Lastwagen geraten, als er einen Baseball fangen wollte, und jetzt ist er tot

»Nun …« Bobs Lacheln wurde zaghaft. »Ja … und nein. Ich habe ihn fast ausschlie?lich Brian genannt, als ich dir von ihm erzahlt habe, aber in der Schule habe ich ihn anders angesprochen, weil er seinen Vornamen gehasst hat. Ich habe ihn mit seinen Anfangsbuchstaben angesprochen. Ich habe ihn BD genannt.«

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