stierte ihn mit halb erhobener Machete uberrascht an.
Don Alfonso beugte sich vor. »Ich verstehe nicht. Was war das mit Kannibalismus?«
»Don Alfonso«, sagte Tom, »bei uns gelten Affen fast als menschlich.«
Don Alfonso sagte jah etwas zu Chori, dessen Grinsen verschwand und einer enttauschten Miene Platz machte. Don Alfonso wandte sich wieder Tom und Sally zu. »Ich habe nicht gewusst, dass Affen in Nordamerika heilig sind. Es stimmt, dass sie fast menschlich sind - nur hat Gott ihnen anstelle von Handen zwei Paar Fu?e gegeben. Tut mir Leid.
Wenn ich es gewusst hatte, hatte ich nicht zugelassen, dass er getotet wird.« Er sagte etwas zu Chori, und das Boot fuhr weiter. Schlie?lich hob er den Kadaver des Muttertiers auf und warf ihn uber Bord. Das Wasser wirbelte auf, dann war er verschwunden.
Tom bemerkte, dass das Affchen sich nun energischer in seine Armbeuge schmiegte. Es jaulte und wollte sich in seiner Warme vergraben. Tom schaute hinab. Ein kleines schwarzes Gesicht blickte mit gro?en Augen zu ihm auf.
Ein winziges Handchen streckte sich ihm entgegen. Das Affchen war klein, es ma? kaum mehr als zwanzig Zentimeter und wog hochstens drei Pfund. Sein Haar war weich und kurz. Es hatte gro?e braune Augen und vier Miniatur-pfoten mit Fingerchen, die so dunn waren wie Zahnstocher.
Tom fiel auf, dass Sally ihn mit einem Lacheln musterte.
»Was ist denn?«
»Sieht so aus, als hatten Sie einen neuen Freund gewonnen.«
»Oh, nein.«
»Oh, doch.«
Das Affchen hatte sich von seinem Schrecken erholt. Es krabbelte auf Toms Arm und tastete seinen Brustkorb ab.
Seine schwarzen Pfotchen huschten uber seine Kleidung und zupften daran. Dabei machte es Gerausche, die wie ein Zungenschnalzen klangen.
»Er striegelt Sie«, sagte Sally. »Er sucht nach Lausen.«
»Kann ich blo? hoffen, dass er keine findet.«
»Tja, Tomas«, sagte Don Alfonso. »Er halt Sie fur seine Mutter.«
»Wie kann man so su?e Geschopfe nur essen?«, fragte Sally.
Don Alfonso zuckte die Achseln. »Alle Geschopfe des Waldes sind schon, Curandera.«
Tom spurte, wie das Affchen an seinem Hemd herum-zupfte. Es kletterte an ihm herum, verwendete seine Knopfe als Haltegriffe und hob die Klappe der riesigen Westentasche an. Es kramte mit der Hand darin herum, machte ein schnalzendes Gerausch, kletterte hinein und machte es sich bequem. Es sa? da, die Arme verschrankt, schaute sich um und hob das Naschen in die Luft.
Sally klatschte lachend in die Hande. »Ach, Tom, jetzt kann er sie
»Was essen diese Affchen eigentlich?«, erkundigte Tom sich bei Don Alfonso.
»Alles. Insekten, Blatter, Larven. Sie werden keine Probleme haben, Ihren neuen Freund zu futtern.«
»Wer sagt denn, dass ich ihm verpflichtet bin?«
»Er hat Sie auserwahlt, Tomasito. Sie gehoren jetzt ihm.«
Tom schaute auf das Affchen hinab, das sein Reich nun wie ein Miniaturfurst betrachtete.
»Was fur ein haariger kleiner Knilch«, sagte Sally auf Englisch.
»Haariger Knilch. So werden wir ihn nennen.«
An diesem Nachmittag hielt Don Alfonso das Boot an einem besonders windungsreichen Irrgarten an und brachte mehr als drei Minuten mit der Untersuchung des Wassers zu. Er kostete es, spuckte hinein und schaute zu, wie seine Spucke auf den Grund sank. Schlie?lich setzte er sich hin.
»Wir haben ein Problem.«
»Haben wir uns verirrt?«, fragte Tom.
»Nein.
»Wer?«
»Einer Ihrer Bruder. Sie haben den Arm links von uns genommen, der zur Plaza Negra fuhrt - zum Schwarzen Platz, in das verdorbene Herz des Sumpfes, in dem die Damonen hausen.«
Der Flussarm wand sich zwischen gewaltigen Baumstammen und Unmengen Hangelianen dahin. Eine Schicht grun-lichen Nebels hing genau uber der schwarzen Wasseroberflache. Es sah aus wie ein Weg, der geradewegs in die Holle fuhrt.
»Mindestens eine Woche.«
»Gibt es in der Nahe einen Ort, an dem man lagern kann?«
»Eine kleine Insel. Sie liegt ein paar hundert Meter weiter.«
»Dann rasten wir dort und laden aus«, sagte Tom. »Wir lassen Pingo und Sally im Lager und suchen mit dem Ein-
baum nach meinem Bruder. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Wahrend der Regen mit der Heftigkeit eines Wasserfalls auf sie herabrauschte, gingen sie auf einer aufgeweichten Schlamminsel an Land. Don Alfonso gab lauthals gestikulierend Anweisungen und uberwachte das Festmachen und Entladen des Bootes. Jene Vorrate, die sie fur die Suche brauchten, hielt er zuruck.
»Es kann sein, dass wir zwei oder drei Tage weg sind«, sagte er. »Wir mussen darauf gefasst sein, einige Nachte im Einbaum zu verbringen. Es konnte auch regnen.«
»Machen Sie keine Witze«, sagte Sally.
Tom reichte Sally das Affchen. »Kummern Sie sich um ihn, solange ich weg bin, ja?«
»Naturlich.«
Das Boot legte ab. Tom beobachtete Sally im rauschenden Regen - eine nur schwach erkennbare Gestalt, die immer mehr verschwamm. »Bitte, passen Sie auf sich auf, Tom«, rief sie, bevor sie unsichtbar wurde.
Chori stakte kraftig durch den Seitenarm. Nun, da das Boot entlastet war, kamen sie rascher voran. Funf Minuten spater horte Tom ein Kreischen uber sich im Geast, dann fegte ein kleiner schwarzer Ball von Ast zu Ast, schoss schlie?lich aus einem Baum uber ihm hervor, landete auf seinem Kopf und quietschte wie eine verlorene Seele. Es war Knilch.
»Du Lausebengel«, sagte Tom. »Da hast du ja nicht lange mit dem Abhauen gewartet.« Er schob das winzige Affchen in seine Hemdtasche zuruck, wo es sich einkuschelte und in Schweigen verfiel.
Der Einbaum glitt tiefer in den vom Regen verfaulten Sumpf hinein.
27
Als der Einbaum sich in dem Seitenarm befand, der zur Plaza Negra fuhrte, erreichte das Gewitter den Hohepunkt seiner Wut. Es blitzte. Donnerschlage gellten wie Artillerie-feuer durch den Wald, manchmal nur Sekunden voneinander getrennt. Die siebzig Meter uber ihnen aufragenden Baumwipfel wankten und schwankten heftig hin und her.
Der Seitenarm teilte sich kurz darauf in ein Labyrinth seichter Wasserwege auf, in denen sich glanzende Flachen stinkenden Schlamms ausdehnten. Don Alfonso lie? von Zeit zu Zeit anhalten, um auf dem seichten Flussboden nach Stakenmarkierungen Ausschau zu halten. Der alles durchnassende Regen fiel ohne Unterlass, und die Nacht kam so behabig daher, dass es Tom uberraschte, als Don Alfonso zum Anhalten rief.
»Wir mussen wie die Wilden im Einbaum schlafen«, sagte Don Alfonso. »Hier ist ein guter Rastplatz, denn uber uns sind keine dicken Aste. Ich mochte namlich nicht vom fauli-gen Atem eines Jaguars geweckt werden. Wir mussen darauf achten, dass wir hier nicht sterben, Tomasito, denn in einem solchen Fall finden unsere Seelen nie wieder den Ruckweg.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
Tom hullte sich in sein Moskitonetz, suchte sich im Ausrustungsstapel einen Platz und versuchte zu schlafen.