waren an einen Baum gelehnt. Andererseits kam es ihm unfassbar vor. Er spielte doch nicht in einem Film mit. Hauser wurde doch eine Million Dollar verdienen. Man brachte doch nicht so einfach Menschen um - oder? »Was haben Sie vor?«

»Ein Boot zu stehlen und abzuhauen. Mich im Sumpf zu verstecken.«

»Meinen Sie jetzt?«

»Wollen Sie warten?«

»Aber die Soldaten sind doch gleich da druben. Wir kommen hier nie weg. Was haben die Soldaten gesagt, dass Sie das glauben? Vielleicht war es ja nur ein Missverstandnis.«

»Horen Sie mal, Sie Pfeife«, zischte Ocotal. »Wir haben keine Zeit. Ich haue jetzt ab. Wenn Sie mitkommen wollen, kommen Sie mit. Wenn nicht: Adios.«

Er stand lassig auf und schlenderte zum Strand, wo die Einbaume an Land lagen. Philip riss den Blick panisch von ihm los und musterte die Soldaten. Sie spielten noch immer Karten, ahnten nichts. Von dort aus, wo sie sa?en, unter einem Baum, konnten sie die Boote nicht sehen.

Was sollte er tun? Er war wie gelahmt. Man hatte ihm oh-

ne Warnung oder Vorbereitung eine monumentale Entscheidung aufgehalst. Es war verruckt. Konnte Hauser so kaltblutig sein? Oder plante Ocotal hier irgendein schrages Ding?

Ocotal ging nun am Strand entlang, wobei er einen beilau-figen Blick auf die Baume warf. Er stand an einem Boot, und es sah ganz so aus, als sei er im Begriff, es ganz lassig mit dem Knie ins Wasser zu schieben.

Es ging alles viel zu schnell. Im Grunde hing es davon ab, was fur ein Mensch Hauser war. War er wirklich zu einem Mord fahig? Na schon, besonders nett war er nicht. Irgendwas stimmte nicht mit ihm. Philip fiel plotzlich ein, mit welchem Vergnugen Hauser den Agouti gekopft hatte; das Lacheln auf seinem Gesicht beim Anblick des Blutflecks auf seinem Hemd. Wie er gesagt hatte: Das kriegen Sie noch fruh genug raus.

Ocotal hatte das Boot nun ins Wasser geschoben. Er ging mit einer geschmeidigen Bewegung an Bord, griff gleichzeitig nach der Stake und bereitete sich aufs Absto?en vor.

Philip stand auf ging schnell zum Strand hinunter. Ocotal hatte sich schon vom Ufer gelost, die Stake stand im Wasser; er war bereit, das Boot in den Seitenarm zu sto?en. Er hielt gerade so lange inne, dass Philip ins Wasser waten und an Bord klettern konnte. Dann stie? er die Stake mit einer kraftigen Anspannung seiner Muskeln in den sandigen Boden und schob sie lautlos in den Sumpf hinein.

26

Am nachsten Morgen war es mit dem schonen Wetter vorbei. Wolken sammelten sich. Ein Gewitter ruttelte die Baumwipfel. Es goss wie aus Eimern. Als Tom und die anderen aufbrachen, war die Oberflache des Flusses grau und schaumte unter der Wucht des Wolkenbruchs. Das Rauschen des auf die Vegetation fallenden Regens war ohrenbetaubend. Das Labyrinth aus Seitenarmen, dem sie folgten, schien immer schmaler und gewundener zu werden.

Tom hatte noch nie ein so dichtes und undurchdringliches Sumpfgebiet gesehen. Er konnte kaum glauben, dass Don Alfonso wusste, welchen Weg sie nehmen mussten.

Am Nachmittag horte der Regen plotzlich auf, als hatte jemand einen Hahn abgedreht. Das Wasser lief noch ein paar Minuten an den Baumstammen herab und erzeugte einen Larm wie ein Wasserfall. Der ganze Dschungel wirkte dunstig, tropfelnd und still.

»Die Insekten sind wieder da«, sagte Sally und schlug um sich.

»Jejenes, Schwarzfliegen«, sagte Don Alfonso. Er zundete seine Pfeife an und umgab sich mit einer stinkenden blauen Wolke. »Sie holen sich ein Stuck von Ihrem Fleisch. Sie bil-den sich aus dem Atem des Teufels, nachdem er einen Abend lang schlechten Aguardiente getrunken hat.«

Manchmal wurde ihr Weg von Schlingpflanzen und uber der Erde wachsenden Wurzeln blockiert, die von oben her-abwucherten und einen dichten Vorhang aus Vegetation bildeten. Sie hingen bis auf die Wasseroberflache. Pingo machte wieder die Vorhut und hackte sie mit seiner Machete ab, wahrend Chori hinten stakte. Jeder Machetenhieb lie? Schwarme von Froschen, Insekten und anderem Getier auf-und ins Wasser springen. Es war ein Festessen fur die auf sie lauernden Piranas, die sich sofort auf jedes glucklose Tier sturzten. Pingo, dessen kraftige Ruckenmuskeln heftig am Arbeiten waren, hieb nach links und rechts, dann wieder nach links und fegte die meisten Lianen und Hange-pflanzen ins Wasser. In einem besonders schmalen Seitenarm schrie Pingo, plotzlich um sich schlagend: »Heculu!«

»Avispal Wespen!«, rief Don Alfonso. Er duckte sich und setzte seine Mutze auf. »Nicht bewegen!«

Eine dichte, kochende schwarze Wolke fegte aus dem herabhangenden Geast hervor, und Tom, der sich duckte, um seinen Kopf zu schutzen, spurte auf seinem Rucken sofort einen Teppich brennender Stiche.

»Schlagen Sie nicht nach ihnen«, rief Don Afonso. »Das macht sie nur noch wutender!«

Sie konnten nur abwarten, bis die Wespen mit ihrer Stech-orgie fertig waren. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren, und Sally verarztete die Stiche mit dem Saft des Gumbo-Limbo-Baums. Dann fuhren sie weiter.

Gegen Mittag horten sie uber sich im Blatterbaldachin ein eigenartiges Gerausch. Es klang wie tausend schnalzende und schmatzende, Bonbons lutschende Kinder, blo? viel lauter. Begleitet wurde es von raschelnden Zweigen. Das Rascheln wurde immer intensiver, bis es plotzlich wie ein Wind wirkte. Schwarze Gestalten blitzten hier und da auf.

Durch die Blatter sah man sie nur schemenhaft.

Chori zog das Paddel aus dem Wasser. Schon waren ein kleiner Bogen und ein Pfeil in seinen Handen. Der Bogen wies zum Himmel. Er war gespannt und schussbereit.

»Mono chucuto«, sagte Don Alfonso leise zu Tom.

Bevor Tom noch etwas erwidern konnte, hatte Chori den Pfeil abgeschossen. Uber ihnen war plotzlich ein Tumult, dann fiel ein schwarzer Affe, noch halb lebendig, aus dem Geast. Wahrend er absturzte, versuchte er, sich in dem Blattwerk um ihn herum festzuhalten, doch landete er schlie?lich zwei Meter vor dem Einbaum im Wasser. Chori sprang auf und zog das schwarzfellige Bundel an Bord und gleich darauf lie? ein gro?er Wirbel in der Tiefe erkennen, dass etwas anderes ebenfalls auf diese Idee gekommen war.

»Ehi! Ehi!«, sagte er und grinste bis an die Ohren. »Uaka-ris! Mmmm.«

»Es sind zwei!«, sagte Don Alfonso hochst aufgeregt. »Das war ein sehr guter Schuss, Tomasito. Eine Mutter und ihr Junges.«

Ein winziges Affchen klammerte sich an seine Mutter und quiekte vor Angst.

»Ein Affe?« Sally klang schrill. »Er hat einen Affen erschossen?«

»Ja, Curandera. Haben wir nicht Gluck?«

»Gluck? Das ist abscheulich!«

Don Alfonsos Miene zeigte Enttauschung. »Mogen Sie kei-

ne Affen? Das Gehirn dieses Affen ist eine echte Delikates-se, wenn man es im Schadel leicht anbrat.«

»Wir konnen keine Affen essen!«, sagte Sally.

»Und warum nicht?«

»Weil ... es fast so was wie Kannibalismus ware.« Sally wandte sich an Tom. »Ich kann's nicht fassen, dass Sie zugelassen haben, dass er einen Affen erschie?t!«

»Ich hab doch gar nichts zugelassen.«

Chori, der kein Wort verstand und noch immer stolz grinste, warf den Affen vor sie auf den Bootsboden. Der Affe starrte zu ihnen herauf. Sein Blick verschleierte sich nun, und er streckte die Zunge ein Stuck heraus. Das Junge sprang auf den Kadaver der Mutter und duckte sich ver-schreckt, dann hob es die Hande uber den Kopf und quietschte schrill.

»Ehi! Ehi!«, sagte Chori. Er packte das Junge mit einer Hand, um ihm mit der Machete den Gnadensto? zu verset-zen.

»Nein!« Tom riss das schwarze Affchen an sich. Es schmiegte sich an ihn und horte auf zu schreien. Chori

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