Gro?wesir zu sich, den klugsten Mann in seinem Reich.
>Was soll ich tun, um zu verhindern, dass meine Grabkammer geplundert wird?<, fragte er den Wesir.
Der Wesir dachte lange daruber nach, und schlie?lich fiel ihm eine Antwort ein. Er erklarte sie Dschingis Khan, und der Herrscher war zufrieden. Als Dschingis starb, fuhrte der Wesir den Plan aus. Er schickte zehntausend Arbeiter in das abgelegene Altai-Gebirge, wo sie eine riesige Grabkammer aus dem Fels schlugen und mit Gold, Edelsteinen, Wein, Seide, Elfenbein, Sandelholz und Weihrauch fullten.
Uber tausend schone Jungfrauen und tausend Pferde wurden zur Lust des gro?en Khans dem Jenseits geopfert. Es gab eine gewaltige Bestattungszeremonie und ein rauschendes Fest fur die Arbeiter, dann wurde Dschingis Khans Leiche in die Grabkammer eingeschlossen und die Tur sorgfaltig getarnt. Das ganze Gebiet wurde mit Erde bedeckt, dann ritten tausend Reiter durch das Tal, um samtliche Spuren ihrer Arbeit zu tilgen.
Als die Arbeiter und Reiter zuruckkehrten, kam der Wesir ihnen mit dem Heer des Khans entgegen und lie? sie bis auf den letzten Mann niedermachen.«
»Wie scheu?lich.«
»Danach beging der Wesir Selbstmord.«
»Was fur ein Blodmann. Er hatte reich werden konnen.«
Hauser kicherte. »Ja. Aber er war seinem Herrn treu ergeben. Er wusste, dass man sogar ihm, dem vertrauenswur-digsten aller Menschen, ein solches Geheimnis nicht anver-trauen konnte. Vielleicht hatte er im Schlaf gesprochen.
Vielleicht hatte man es ihm unter der Folter abgepresst.
Auch hatte seine Gier ihn uberwaltigen konnen. Er war das schwache Glied in der Kette. Deswegen musste auch er sterben.«
Philip horte ein Hacken, und als er den Blick hob, sah er, wie die Jager die Beute mit Macheten zerlegten. Die Innereien klatschten mit einem feuchten Schmatzen auf den Boden. Philip zuckte zusammen und wandte sich ab. Irgendwie, wurde ihm bewusst, hatte das Vegetariertum doch etwas fur sich.
»Und hier haben wir den Haken, die Schwache im Plan des Wesirs: Auch ein Mann wie Dschingis Khan musste sich hinsichtlich seines Geheimnisses letztlich auf einen anderen Menschen verlassen.« Hauser stie? eine bei?ende Rauchwolke aus. »Und deswegen frage ich Sie, Philip:
Es war eine gute Frage. Philip dachte schon seit geraumer Zeit daruber nach. »Es war keine Freundin oder Ex-Frau.
Uber seine Arzte und Anwalte hat er pausenlos nur gela-stert. Seine Sekretarinnen haben immer von sich aus gekundigt. Er hatte keine echten Freunde. Der einzige Mensch, dem er vertraute, war sein Pilot.«
»Und ich habe bereits in Erfahrung gebracht, dass er nichts uber die Sache wei?.« Hauser hielt die Zigarre in einem steilen Winkel an seine Lippen. »Genau da liegt der Haken, Philip. Hat Ihr Vater vielleicht ein Doppelleben gefuhrt? Hatte er ein heimliches Verhaltnis? Hat er moglicherweise einen unehelichen Sohn, den er Ihnen und Ihren Brudern vorgezogen hat?«
Allein die Andeutung lie? Philip frosteln. »Ich habe keine Ahnung.«
Hauser schwenkte die Zigarre. »Das stimmt einen nachdenklich, was, Philip?«
Er verfiel in Schweigen. Die Vertraulichkeit ermutigte Philip, eine Frage zu stellen, die ihm schon seit geraumer Zeit am Herzen lag. »Was ist zwischen meinem Vater und Ihnen vorgefallen?«
»Wussten Sie, dass wir schon in unserer Kindheit befreun-
det waren?«
»Ja.«
»Wir sind zusammen in Erie aufgewachsen. In der Stra?e, in der wir lebten, haben wir Stickball miteinander gespielt.
Wir sind zusammen zur Schule gegangen und waren gemeinsam das erste Mal in einem Puff. Wir glaubten, wir wurden uns sehr gut kennen. Doch wenn man in den Dschungel vorsto?t, wenn's ums Uberleben geht, erfahrt man noch ein paar andere Dinge uber sich. Dann entdeckt man an sich selbst Sachen, von denen man nie etwas geahnt hat. Man erfahrt, wer man wirklich ist. Und genau das ist uns passiert. Wir sa?en mitten im Dschungel fest, hatten uns verirrt, waren von Insekten zerstochen, hatten nichts zu essen und waren halb tot vor Fieber. Und da haben wir festgestellt, wer wir wirklich sind. Wissen Sie, was ich entdeckt habe? Ich habe entdeckt, dass ich Ihren Vater verachte.«
Philip schaute Hauser an. Der Mann wich seinem Blick nicht aus. Sein Gesicht war ruhig, glatt und undurchdringlich wie immer. Er spurte, dass es ihm kalt uber den Rucken lief. »Und was haben Sie uber sich selbst erfahren, Hauser?«, fragte er.
Er sah, dass die Frage sein Gegenuber verbluffte. Hauser uberging sie mit einem Lachen. Dann warf er den Zigarrenstummel ins Feuer und stand auf. »Das kriegen Sie noch fruh genug raus.«
24
Der Einbaum schob sich durch das dicke schwarze Wasser.
Der Motor heulte angestrengt. Der Fluss hatte sich geteilt und war zu einem Labyrinth aus Seitenarmen und riesigen stillen Teichen voll von offen liegendem, schwarzem, stin-kendem, schauerlich aussehendem Schlamm geworden.
Wohin Tom auch blickte, sah er wirbelnde Insektenschwarme. Pingo stand mit freiem Oberkorper am Bug und schwenkte eine riesige Machete, mit der er hin und wieder auf Schlingpflanzen einhieb, die ubers Wasser hingen. Die Seitenarme waren oft zu seicht, um den Motor zum Einsatz zu bringen. In solchen Fallen holte Chori ihn ein und stakte.
Don Alfonso blieb auf seinem ublichen Platz, dem von einer Leinwandplane bedeckten Ausrustungsstapel. Er sa? mit verschrankten Beinen da, mimte den Weisen, paffte hektisch seine Pfeife und lugte nach vorn. Pingo war schon mehrmals von Bord gegangen, um halb versunkene Baumstamme zu zerlegen, damit sie weiterfahren konnten.
»Was sind das fur teuflische Insekten?«, rief Sally und schlug wild um sich.
»Tapirfliegen«, sagte Don Alfonso. Er griff in die Tasche und hielt ihr eine geschwarzte Maiskolbenpfeife hin. »Sie sollten vielleicht mit dem Rauchen anfangen, Senorita; das ist den Insekten lastig.«
»Nein, danke. Rauchen erzeugt Krebs.«
»Ganz im Gegenteil. Rauchen ist sehr gesund. Es fuhrt zu einer guten Verdauung und einem langen Leben.«
»Schon.«
Als sie tiefer in den Sumpf vorstie?en, schien sich die Vegetation von allen Seiten an sie zu drangen und bildete mauerartige Schichten aus glanzenden Blattern, Farnen und Schlingpflanzen. Die Luft war tot und dick und roch nach Methan. Das Boot schob sich wie durch hei?e Suppe voran.
»Woher wissen Sie, dass dies der Weg ist, den mein Vater genommen hat?«, fragte Tom.
»Im Meambar-Sumpf gibt es viele Pfade«, sagte Don Alfonso, »aber nur einen, der hindurchfuhrt. Ich, Don Alfonso, kenne diesen Weg, und Ihr Vater hat ihn auch gekannt.
Ich kann die Zeichen lesen.«
»Und was besagen sie?«
»Dass drei Reisegruppen vor uns sind. Die erste kam vor einem Monat hier durch. Die zweite und die dritte sind nur wenige Tage voneinander getrennt. Sie waren vor etwa einer Woche hier.«
»Woran konnen Sie das alles erkennen?«, fragte Sally.
»Ich lese es im Wasser. Ich sehe eine Kerbe an einem versunkenen Baumstamm. Ich sehe einen Schnitt in einer Schlingpflanze. Ich sehe eine Stakenmarkierung auf einer Unterwassersandbank oder eine Rinne, die ein Kiel an einer seichten schlammigen Stelle hinterlassen hat. In diesem toten Wasser erhalten sich Markierungen dieser Art wochenlang. «
Sally deutete auf einen Baum. »Schauen Sie mal, da druben steht ein Gumbo-Limbo-Baum -