28

Marcus Aurelius Hauser untersuchte die wei?e Vorderseite seines Hemdes und entdeckte einen kleinen Kafer, der sich muhsam hinaufkampfte. Er zupfte ihn ab, zerquetschte ihn mit einem ihn zufriedenstellenden Knacken des Chitin-panzers zwischen Daumen und Zeigefinger und warf ihn weg. Dann fiel seine Aufmerksamkeit auf Philip Broadbent.

Von seiner Durchtriebenheit und Blasiertheit war nichts mehr ubrig. Philip hockte, an Handen und Fu?en gefesselt, am Boden. Er war verdreckt, von Mucken zerstochen und unrasiert. Es war einfach nicht zu fassen, wie manche Menschen ihre Hygiene im Dschungel vernachlassigten.

Hauser warf einen Blick an die Stelle, an der drei seiner Soldaten den Fuhrer Orlando Ocotal festhielten. Ocotal hatte ihm betrachtlichen Arger bereitet. Beinahe ware ihm die Flucht gelungen. Hauser hatte das nur mit einer au?erst hartnackigen Verfolgung verhindert. Sie hatten einen ganzen Tag vergeudet. Ocotals fataler Fehler hatte darin bestanden, einem Gringo, einem Yanqui, nicht zuzutrauen, dass er ihn im Sumpf aufspuren konne. Wahrscheinlich hatte er von Vietnam noch nie etwas gehort.

Umso besser. Nun war es heraus. Der Sumpf lag ohnehin fast hinter ihnen. Ocotals Nutzlichkeit hatte sich erschopft.

Die Lektion, die er ihm erteilen wollte, wurde sich auch gut auf Philip auswirken.

Hauser inhalierte die faulige Dschungelluft. »Erinnern Sie sich noch an den Tag, an dem wir die Boote beladen haben, Philip? Sie wollten wissen, wofur wir die Handschellen und Ketten brauchen.«

Philip antwortete nicht.

Hauser fiel ein, was er ihm erklart hatte: dass die Handschellen ein wichtiges psychologisches Werkzeug seien, um die Soldaten zu disziplinieren - eine Art tragbarer Knast.

Naturlich, hatte er behauptet, wolle er sie nicht wirklich einsetzen. »Nun wissen Sie«, sagte er, »fur wen sie bestimmt waren.«

»Warum bringen Sie mich nicht einfach um, damit Sie es hinter sich haben?«

»Alles zu seiner Zeit. Man totet den letzten Angehorigen einer Familie nicht leichten Herzens.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Wie schon, dass Sie sich danach erkundigen. In Kurze werde ich mich Ihrer beiden Bruder annehmen, die hinter uns durch den Sumpf kommen. Wenn der Letzte der Broadbent-Dynastie ausgestorben ist, nehme ich mir, was mir gehort.«

»Sie sind ein Psychopath.«

»Ich bin ein vernunftiger Mensch und spiele auf ein gro?es Unrecht an, das mir einst zugefugt wurde.«

»Und was war das fur ein Unrecht?«

»Ihr Vater und ich waren Partner. Er hat mir meinen Anteil an der Beute seines ersten gro?en Fundes vorenthal-ten.«

»Das war vor vierzig Jahren.«

»Was das Verbrechen nur verschlimmert. Wahrend ich mich vierzig Jahre lang abstrampeln musste, um uber die Runden zu kommen, hat Ihr Vater im Luxus geschwelgt.«

Philip wand sich und rasselte mit seinen Ketten.

»Wie schon es doch ist, wenn sich das Blatt wendet. Vor vierzig Jahren hat Ihr Vater mich um ein Vermogen betro-gen. Wahrend er seinen Reichtum verwaltete, ging ich in ein herrliches Land namens Vietnam. Nun kann ich mir alles und noch mehr zuruckholen. Welch kostliche Ironie!

Ich glaube, Philip, Sie haben mir alles auf einem Silberteller serviert.«

Philip sagte nichts.

Hauser atmete erneut ein. Er liebte die Hitze und die Luft.

Er hatte sich nie gesunder und lebendiger gefuhlt als im Dschungel. Es fehlte nur noch der schwache Wohlgeruch von Napalm.

Er wandte sich einem Soldaten zu: »Jetzt nehmen wir uns Ocotal vor. Kommen Sie, Philip, das wollen Sie doch bestimmt nicht verpassen.«

Die beiden Einbaume waren schon beladen. Die Soldaten schoben Ocotal und Philip in ein Boot. Dann warfen sie die Motoren an und fuhren in das Labyrinth aus Teichen und Seitenkanalen am anderen Ende des Sees. Hauser stand am Bug und hielt die Augen auf.

»Dort entlang.«

Die Boote knatterten weiter, bis sie einen stillen Tumpel erreichten, den das sinkende Wasser vom Hauptkanal getrennt hatte. Hauser wusste, dass der Tumpel von Piranas nur so wimmelte. Sie hatten langst alle hier vorhandene Nahrung verzehrt und fra?en sich nun gegenseitig auf. Jedes Tier, das in eines dieser stehenden Gewasser stolperte, konnte einem nur Leid tun.

»Motor abstellen. Anker werfen.«

Die Motoren kamen spuckend zum Stillstand. Die nachfol-gende Stille wurde durch das zweifache Aufklatschen der Steinanker durchbrochen.

Hauser wandte sich um und schaute Ocotal an. Es wurde bestimmt interessant werden.

»Richtet ihn auf.«

Die Soldaten zogen Ocotal auf die Beine. Hauser machte einen Schritt nach vorn und blickte dem Mann ins Gesicht.

Der Indianer trug ein westliches Hemd und Hosen und wirkte kuhl und gelassen. Sein Blick zeigte weder Furcht noch Hass. Ocotal hatte sich als einer jener ungluckseligen Menschen erwiesen, die sich von ubertriebenen Ehr- und Loyalitatsgefuhlen motivieren lie?en.

Hauser konnte Typen seiner Art nicht ausstehen. Sie waren unzuverlassig und inflexibel. Auch Max hatte sich als solcher Mensch erwiesen.

»Tja, Don Orlando«, sagte er, wobei er den Ehrentitel ironisch betonte. »Haben Sie noch etwas in Ihrer Sache zu sagen?«

Der Indianer schaute ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken.

Hauser zog sein Taschenmesser. »Haltet ihn gut fest.«

Die Soldaten packten Ocotal. Man hatte ihm die Hande auf den Rucken gefesselt und die Beine locker zusammengebunden.

Hauser klappte das kleine Messer auf und scharfte die Klinge mit einem schnellen ssing, sssing an einem Wetz-stein. Dann prufte er sie an seinem Daumen und lachelte.

Schlie?lich streckte er den Arm aus und ritzte einen langen Schnitt in Ocotals Brustkorb. Er durchschnitt den Stoff seines Hemdes ebenso wie die darunter liegende Haut. Der Schnitt war nicht tief, doch das Blut fing schon an zu flie?en und farbte den Khakistoff schwarz.

Der Indianer zuckte nicht einmal zusammen.

Hauser verpasste ihm einige leichte Schnitte an den Schultern, dann zwei weitere auf den Armen und dem Rucken.

Der Indianer ruhrte sich noch immer nicht. Hauser war beeindruckt. Seit er gefangene Vietcong verhort hatte, war ihm ein solches Durchhaltevermogen nicht mehr untergekommen.

»Das Blut soll ruhig eine Weile flie?en«, sagte er zu den Soldaten.

Sie warteten ab. Ocotals Hemd wurde dunkel vom Blut.

Irgendwo zwischen den Baumen krahte ein Vogel.

»Werft ihn rein.«

Die drei Soldaten gaben Ocotal einen Schubs, und er ging uber Bord. Nach dem Aufklatschen entstand ein Moment der Ruhe, dann schaumte das Wasser auf. Zuerst langsam, dann mit zunehmender Erregung, bis der Tumpel formlich kochte. In dem braunen Wasser wimmelte es von wie Sil-bermunzen schimmernden Fischen. Dann bildete sich eine rote Wolke und machte es undurchsichtig. Khakifetzen und Fleischstreifen stiegen an die Oberflache hinauf und dum-pelten auf dem aufgewuhlten Nass.

Das Blubbern dauerte gute funf Minuten, dann lie? es nach. Hauser war erfreut. Er wandte sich um, um Philips Reaktion zu sehen und sich an ihr zu ergotzen.

Er wurde nicht enttauscht.

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