Tom einen einzelnen Schuss aus Sallys Waffe. Er hatte die ersehnte Wirkung: Die beiden Boote bogen panisch ab, um am Flussufer Deckung zu suchen. Sally lie? sich neben Tom fallen.
Don Alfonso steuerte das Boot unter den Uferdamm. Die Schraube traf Gestein und heulte auf, als sie aus dem Wasser gerissen wurde. Weitere Kugeln pfiffen uber sie hinweg, dann ertonte ein dumpfes metallisches Scheppern. Eine Kugel hatte den Motor getroffen. Die Maschine spuckte, dann folgte ein Zischen. Als sie Feuer fing, geriet das Boot mit der Breitseite in die trage Stromung. Das Feuer breitete sich mit unglaublicher Schnelligkeit aus. Die Flammen zungelten von den schmelzenden Gummibenzinleitungen hoch. Der Bug von Pingos und Vernons Boot knallte von hinten gegen den ihren. Der Einbaum verkantete sich, als das brennende Benzin sich auf dem Boden des ersten Bootes zu verbreiten begann und rings um die Benzintanks leckte.
»Raus!«, schrie Tom. »Sie werden gleich in die Luft fliegen! Schnappt euch, was ihr konnt!«
Sie sprangen uber Bord in das seichte Wasser am Ufer.
Vernon und Chori packten Pingo und trugen ihn den Damm hinauf. Wieder knallte uber ihren Kopfen eine Salve ins Ufer und spritzte ihnen Erde und Gestein entgegen. Sallys Schuss hatte die Soldaten allerdings vorsichtig gemacht, deswegen hielten sie Abstand. Die Fluchtlinge krabbelten den erdigen Hang hinauf, nahmen unter uberhangendem Dickicht Deckung und rangen nach Atem.
»Hier konnen wir nicht bleiben«, sagte Tom.
An der hochsten Stelle des Uferdamms schaute er nur einmal zuruck. Er sah, dass ihre Boote flussabwarts trieben.
Die Flammen schlugen hoch in den Himmel. Als ein Treib-stoffbehalter in die Luft flog, gab es eine dumpfe Explosion, die einen Feuerball aufsteigen lie?. Dahinter steuerten die Boote mit den Soldaten vorsichtig ans Ufer. Sally, noch immer mit Choris Gewehr bewaffnet, kniete sich hin und feuerte einen Schuss durch die sie abschirmende Vegetation.
Sie zogen sich tiefer in den Dschungel zuruck, wechselten sich beim Tragen von Pingo ab und bahnten sich einen Weg durch den dichten Urwald. Hinter ihnen horte Tom Geschrei, dann knallten mehrere willkurliche Schusse durch den Wald. Darauf ertonte das dumpfe Krachen des nachsten explodierenden Tanks. Die Angreifer hatten ihre Boote offenbar ans Ufer gesteuert und nahmen nun halbherzig die Verfolgung auf. Doch je tiefer die Fluchtenden in den Wald vordrangen, desto leiser wurde hinter ihnen das sporadi-sche Gewehrfeuer, bis es schlie?lich vollends verstummte.
Sie hielten auf einer kleinen grasbewachsenen Lichtung an. Tom und Vernon legten Pingo auf den Boden. Tom beugte sich uber ihn und tastete verzweifelt seinen Puls. Er fand ihn nicht. Dann begutachtete er die Wunde. Sie sah grauenhaft aus. Ein Hohlspitzgeschoss hatte Pingo in den Rucken - zwischen die Schulterblatter - getroffen. Es war mit Brachialgewalt aus seinem Brustkorb ausgetreten, in dem sich nun ein klaffendes Loch von fast funfzehn Zentimetern im Durchmesser befand. Die Kugel war genau durchs Herz gegangen. Es war kaum zu glauben, dass er nach einer solchen Verwundung auch nur noch Sekunden gelebt hatte.
Tom schaute zu Chori auf. Der Gesichtsausdruck des Mannes war absolut kalt. »Tut mir Leid.«
»Wir haben keine Zeit zu trauern. Wir mussen weiter.«
»Sollen wir ihn hier liegen lassen?« »Chori wird bei ihm bleiben.« »Aber die Soldaten kommen bestimmt ...« Don Alfonso fiel ihm ins Wort. »Ja. Und Chori muss tun, was er tun muss.« Er wandte sich an Sally. »Behalten Sie sein Gewehr und die Munition. Wir werden Chori nicht wiedersehen. Gehen wir.«
»Aber wir konnen ihn doch nicht hier lassen!«, sagte Tom protestierend.
Don Alfonso packte Tom an den Schultern. Seine Hande waren uberraschend kraftig, wie Klammern aus Stahl. Er sprach leise, aber eindringlich: »Chori hat mit den Mordern seines Bruders noch eine Rechnung zu begleichen.«
»Ohne Schie?eisen?«, fragte Sally, als Chori eine zerbeulte Munitionsschachtel aus seinem Beutel zog und ihr reichte.
»Lautlose Pfeile sind im Dschungel wirkungsvoller. Er wird so viele dieser Leute toten, dass er in Ehren sterben kann. So ist unsere Tradition. Mischt euch da nicht ein.«
Don Alfonso drehte sich um, ohne einen Blick zuruckzuwerfen, dann drosch er mit seiner Machete auf eine Wand aus Pflanzenwerk ein und sprang durch die Offnung. Tom, Sally und Vernon folgten ihm. Sie hatten Muhe, mit dem Greis Schritt zu halten, der sich mit der Schnelligkeit und Lautlosigkeit einer Fledermaus bewegte. Tom hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Sie marschierten stundenlang durch Schluchten, wateten durch rei?ende Bache und mussten sich manchmal den Weg durch dichte Bambus-und Farnhecken schlagen. Bei?lustige Ameisen regneten auf sie herab und krabbelten ihnen uber die Hemden. Don Alfonso spie?te mit seiner Machete mehrmals kleine Schlangen auf und schleuderte sie beiseite. Dann regnete es kurz. Sie wurden klitschnass. Als anschlie?end die Sonne herauskam, dampften sie. Insektenschwarme verfolgten sie und stachen boshaft zu. Niemand sprach ein Wort. Niemand konnte sprechen, denn sie mussten ja irgendwie auf den Beinen bleiben.
Stunden spater, als das Licht in den Baumwipfeln allmahlich erstarb, hielt Don Alfonso an. Er setzte sich wortlos auf den Stamm eines umgesturzten Baumes, zog seine Pfeife hervor und zundete sie an. Tom betrachtete das aufflak-kernde Zundholz. Er fragte sich, wie viele sie wohl noch hatten. Als die Boote in Flammen aufgegangen waren, hatten sie fast alles verloren.
»Was jetzt?«, fragte Vernon.
»Wir schlagen ein Lager auf«, sagte Don Alfonso. Er schwenkte seine Machete. »Entzundet ein Feuer. Dort.«
Vernon machte sich an die Arbeit. Tom half ihm dabei.
Don Alfonso deutete mit der Machete auf Sally. »Sie gehen jagen. Sie mogen vielleicht eine Frau sein, aber Sie schie?en wie ein Mann und haben auch den Mut eines Mannes.«
Tom betrachtete Sally. Ihr Gesicht war schmutzig. Ihre langen blonden Haare waren zerzaust, das Gewehr hing uber ihrer Schulter. Ihr Gesicht zeigte ihm all das, was er personlich empfand: den Schreck und die Uberraschung des Angriffs, das Entsetzen uber Pingos Tod, den Frust wegen des Verlusts ihrer Ausrustung - und die Entschlossen-heit zu uberleben. Sally nickte und machte sich auf in den Wald.
Don Alfonso schaute Tom an. »Wir beide bauen einen Unterstand.«
Eine Stunde spater war es dunkel. Sie sa?en um das Feuer herum und a?en den Eintopf, den sie aus Sallys Beute, einem gro?en Nagetier, zubereitet hatten. In der Nahe stand eine kleine Schilfhutte. Don Alfonso sa? vor einem Stapel Palmwedel, riss sie in Streifen und flocht sie zu Hangematten zusammen. Von den Anweisungen, die er erteilt hatte, einmal abgesehen, war er bisher schweigsam gewesen.
»Was waren das fur Soldaten?«, fragte Tom.
Don Alfonso stellte seine Tatigkeit an den Hangematten nicht ein. »Es waren die Soldaten, die mit Ihrem Bruder Philip den Fluss heraufgekommen sind.«
»Philip wurde nie zulassen, dass man uns angreift«, sagte Vernon.
»Nein«, sagte Tom. Er hatte plotzlich ein mulmiges Gefuhl in der Magengrube. Vielleicht war es in Philips Expedition zu einer Meuterei gekommen oder es war sonst was passiert. Jedenfalls musste Philip ernstlich in Gefahr sein - falls er uberhaupt noch lebte. Der unbekannte Feind konnte kein anderer sein als Hauser. Er hatte die beiden Polizisten in Santa Fe getotet und fur ihre Festnahme in Brus gesorgt. Er steckte sicher auch hinter dem gerade erfolgten Angriff.
»Die Frage ist nur«, sagte Sally, »ob wir weitergehen oder umkehren.«
Tom nickte.
»Es ware Selbstmord, wenn wir weitergingen«, meinte Vernon. »Wir haben doch nichts mehr - keinen Proviant, keine Kleidung, keine Zelte, keine Schlafsacke.«
»Philip ist vor uns«, sagte Tom. »Und er ist in Schwierigkeiten. Es durfte wohl klar sein, dass Hauser es war, der die Morde an den beiden Polizisten in Santa Fe veranlasst hat.«
Stille.
»Vielleicht sollten wir umkehren und mit neuer Ausrustung zuruckkommen. So, wie es jetzt aussieht, konnen wir ihm nicht helfen, Tom.«
Tom musterte Don Alfonso, der sich konzentriert als Flechter betatigte. Die aufgesetzt neutrale Miene des Greises sagte ihm, dass er eine Meinung zu dieser Frage hatte.
Er sah immer so aus, wenn er mit etwas nicht einverstanden war. »Don Alfonso?«
»Ja?«
»Was sagen Sie dazu?«
Don Alfonso legte die Hangematte nieder und rieb sich die Hande. Dann blickte er Tom in die Augen. »Dazu