sein konnte als am Tage zuvor. Selbst wenn alles gut ginge, wie lange mu?te man auf die Ergebnisse dieser neuen Evolution warten? Doch nicht nur Tage und Wochen. Sollten sie etwa um die Regis kreisen wie auf einem Karussell, ein Jahr, zwei oder gar zehn Jahre? All das hatte keinen Sinn.
Rohan merkte, da? er die Klimaanlage zu weit aufgedreht hatte: Wieder war es zu hei? geworden. Er schleuderte die Decke weg, stand auf, wusch sich, kleidete sich rasch an und verlie? die Kabine.
Der Fahrstuhl war nicht da. Er druckte auf den Knopf, und wahrend er in dem Halbdunkel wartete, das nur die hupfenden Lichter des Indikators erhellten, horchte er, die dumpfe Last durchwachter Nachte und angespannter Tage im Schadel, mit hammernden Schlafen in die nachtliche Stille hinein, die uber dem Raumschiff lag. Manchmal blubberte es in unsichtbaren Leitungen, aus den unteren Stockwerken drang das gedampfte Murmeln der leerlaufenden Triebwerke herauf, die dauernd startbereit waren. Ein trockener, metallisch riechender Lufthauch wehte aus den vertikalen Schachten neben der Plattform, auf der er stand.
Die Tur schob sich zur Seite, er betrat den Fahrstuhl. Im achten Stock stieg er aus. Hier bog der Korridor ab und fuhrte am Hauptpanzer entlang, von einer Kette blauer Lampchen beleuchtet. Er ging, ohne zu wissen, wohin. Unwillkurlich hob er die Fu?e an den richtigen Stellen, um uber die hohen Schwellen der hermetischen Trennwande zu steigen, bis er die Schatten des Bedienungspersonals am Hauptreaktor erblickte. Der Raum war dunkel, nur ein paar Dutzend Zeiger blinkten an den Tafeln. Darunter, in den vorgezogenen Sesseln, sa?en die Manner.
„Die leben nicht mehr“, sagte einer. Rohan konnte nicht erkennen, wer es war.
„Wetten? Im Umkreis von funf Meilen waren tausend Rontgen. Die leben nicht mehr, darauf kannst du dich verlassen.“
„Wozu sitzen wir dann noch hier herum?“ brummte ein zweiter. Nicht die Stimme, sondern der Platz, den er einnahm — er sa? an der gravimetrischen Kontrollapparatur — verriet Rohan, da? es Bootsmann Blank war.
„Weil der Alte nicht umkehren will.“
„Und du, wurdest du's tun?“
„Was bleibt uns ubrig?“
In dem Raum war es warm, und in der Luft lag der eigenartige, kunstliche Fichtennadelduft, durch den die Klimaanlagen den Geruch zu mildern suchten, den die bei der Arbeit des Reaktors erhitzten Plastteile und Bleche des Gehauses ausstromten. Am Ende entstand daraus ein Gemisch, das nur hier im achten Stock zu finden war.
Rohan hatte sich, fur die Manner in den Sesseln unsichtbar, mit dem Rucken gegen die Schaumgummiverkleidung derTrennwand gelehnt. Nicht da? er sich absichtlich verbarg, er wollte einfach nicht an diesem Gesprach teilnehmen.
„Gleich hat er uns erreicht“, fuhr ein anderer nach kurzem Schweigen fort. Der Mann beugte sich vor, und augenblickslang war sein Gesicht zu sehen, halb rosa, halb gelb vom Schein der Kontrollampchen, mit denen die Reaktorwand die davor hockenden Manner anzustarren schien. Wie alle, erfa?te Rohan sofort, von wem die Rede war.
„Wir haben das Feld und das Radargerat“, knurrte der Bootsmann unwillig.
„Das Feld nutzt gerade was, wenn er auf ein Billierg Beschu? herankommt!“
„Der Radar la?t ihn nicht ran.“
„Wem sagst du das? Ich kenne ihn doch wie meine Westentasche.“
„Na und?“
„Er hat immerhin einen Antiradar. Storsysteme…“
„Aber er ist doch vollig durcheinander, ein elektronischer Geistesgestorter.“
„Ein schoner Geistesgestorter. Warst du in der Steuerzentrale?“
„Nein, hier.“
„Aber ich. Schade, da? du nicht gesehen hast, wie er unsere Sonden zertrummert hat.“
„Soll das vielleicht hei?en, da? sie ihn umprogrammiert haben, da? er bereits unter ihrer Kontrolle steht?“
Alle sagen „sie“, dachte Rohan, als waren es wirklich vernunftbegabte Lebewesen.
„Wer wei?. Angeblich ist nur die Verbindung gestort.“
„Warum sollte er also auf uns feuern?“
Wieder trat Stille ein.
„Steht denn nicht fest, wo er ist?“ fragte der Mann, der nicht in der Steuerzentrale gewesen war.
„Nein. Die letzte Meldung ist um elf eingetroffen. Kralik hat es mir gesagt. Sie haben ihn gesehen, als er sich durch die Wuste trollte.“
„Weit von hier?“
„Dir geht wohl die Duse? Neunzig Meilen. Fur ihn ist das eine knappe Stunde. Oder weniger.“
„Jetzt habt ihr aber genug leeres Stroh gedroschen!“ fuhr Bootsmann Blank, dessen scharfes Profil sich von dem bunten Flackern der Lampchen abhob, argerlich dazwischen.
Die Manner verstummten, Rohan drehte sich langsam um und entfernte sich ebenso leise, wie er gekommen war.
Sein Weg fuhrte ihn an beiden Laboratorien vorbei; im gro?en waren die Lampen geloscht, im kleinen brannte Licht. Er sah den Schein der Deckenleuchten auf den Gang fallen. Rohan warf einen Blick hinein. An dem runden Tisch, sa?en nur Kybernetiker und Physiker — Jazon, Kronotos, Sarner, Liwin, Saurahan und einer, der den anderen den Rucken zuwandte und im Schatten der schragen Trennwand ein gro?es Elektronengehirn programmierte.
„Es gibt zwei Eskalationslosungen. Annihilation oder Selbstvernichtung. Alles andere lauft auf veranderte Existenzbedingungen der Wolke hinaus“, sagte Saurahan. Rohau ruhrte sich nicht von der Stelle. Wieder einmal stand er da und lauschte.
„Die erste beruht darauf, einen Lawinenproze? auszulosen.
Dazu braucht man einen Antimateriewerfer, der in die Schlucht fahrt und dort bleibt.“
„Einer war schon dort“, sagte jemand.
„Wenn er kein Elektronengehirn hat, dann ist er selbst bei Temperaturen von mehr als einer Million Grad noch aktionsfahig. Einen Plasmawerfer braucht man dazu.
Plasma ist unempfindlich gegen Sterntemperaturen. Die Wolke wird sich genauso verhalten wie fruher — sie wird versuchen, ihn abzuwurgen, Resonanz zu finden in den Steuerstromkreisen, aber Stromkreise werden nicht da sein.
Nichts wird sich abspielen au?er einer unterschwelligen Kernreaktion. Je mehr Materie in die Reaktion einbezogen wird, um so heftiger wird sie sein. Auf diese Weise kann man die ganze Nekrosphare des Planeten an einer Stelle zusammenfassen und annihilieren…“
Nekrosphare, dachte Rohan. Ach so, weil diese winzigen Kristalle leblos sind. Nein, diese Wissenschaftler! Die finden doch immer einen hubschen, neuen Namen.
„Am besten gefallt mir die Variante der Selbstvernichtung“, sagte Jazon. „Aber wie stellen Sie sich das vor?“
„Na, sie beruht darauf, da? man zunachst eine getrennte Konsolidierung zweier gro?er ›Wolkengehirne‹ herbeifuhrt und sie dann zusammensto?en la?t. Damit soll erreicht werden, da? jede Wolke die andere fur einen Konkurrenten im Existenzkampf halt.“
„Schon. Aber wie wollen Sie das anfangen?“
„Es ist nicht einfach, aber immerhin moglich, sofern die Wolke nur ein Pseudogehirn ist, also unfahig, logisch zu folgern.“
„Das sicherste ist trotzdem die Veranderung der Existenzbedingungen uber die Senkung der durchschnittlichen Strahlungsintensitat“, sagte Sarner. „Vier Wasserstoffentladungen von funfzig bis hundert Megatonnen pro Hemisphare, insgesamt knapp achthundert, genugen. Das Wasser der Ozeane verdampft und verdichtet die Wolkendecke, die Albedo wachst, und die Symbionten am Boden konnen nicht mehr das zu ihrer Vermehrung notwendige Energieminimum an sie abgeben.“
„Diese Rechnung geht nicht auf“, wandte Jazon ein. Als Rohan sah, da? gleich ein fachlicher Streit ausbrechen wurde, trat er von der Tur zuruck und ging weiter.
Statt mit dem Fahrstuhl kehrte er uber eine stahlerne Wendeltreppe zuruck, die sonst kaum benutzt wurde. Ein Stockwerk nach dem anderen blieb unter ihm. Er sah in der Reparaturhalle des Vries' Manner mit spruhenden