Schwei?brennern an den dunklen, reglosen gro?en Arctanen arbeiten.
Von weitem bemerkte er die Bullaugen des Lazaretts, die ein gedampftes lila Licht verbreiteten. Ein Arzt in wei?em Kittel lief lautlos den Korridor entlang; ihm folgte ein kleiner Automat, der einen Satz blitzender Instrumente trug. Rohan lie? die Messen hinter sich, die leer und dunkel waren, die Klubraume, die Bibliothek, und langte schlie?lich in seinem Stockwerk an. Vor der Kabine des Astrogators verlangsamte er den Schritt; als wollte er auch hier lauschen; aber durch die glatte Turflache drang kein Laut, kein Lichtstrahl, und die Bullaugen waren mit Kupfermuttern fest verschlossen. Erst in der Kabine spurte er wieder, wie mude er war. Gefuhllos hingen ihm die Arme am Korper herab, er lie? sich schwer auf die Koje fallen, streifte die Schuhe von den Fu?en und faltete die Hande im Nakken.
So blieb er sitzen und sah zu der niedrigen, vom Nachtlampchen nur sparlich beleuchteten, blaulackierten Decke auf, die in der Mitte einen Ri? hatte.
Weder Pflichtgefuhl noch Neugier auf die Gesprache und das Privatleben der anderen hatten ihn durch das Raumschiff getrieben. Er furchtete sich einfach vor den einsamen Nachtstunden, denn dann suchten ihn Bilder heim, die er gerne vergessen hatte. Am schlimmsten verfolgte ihn die Erinnerung an den Mann, den er mit einem Nahschu? getotet hatte, damit er nicht die anderen umbrachte. Er hatte es tun mussen, aber das machte es ihm nicht leichter. Er wu?te, wenn er jetzt das Licht loschte, dann mu?te er jene Szene von neuem erleben, dann sahe er wieder den Mann vor sich, der mit mattem, gedankenverlorenem Lacheln dem schwankenden Weyr-Werfer in seiner Hand gehorchte und uber den Toten hinwegstieg, der mit abgerissenem Arm auf den Steinen lag.
Dieser Tote ware Jarg, der zuruckgekehrt und nun, nachdem er wie durch ein Wunder davongekommen war, so sinnlos starb. Sekunden spater wurde der andere mit in Brusthohe zerfetztem, qualmendem Schutzanzug uber dem Leichnam zusammenbrechen. Vergebens wurde er sich bemuhen, die Bilder zu verdrangen, die ihm immer wieder gegen seinen Willen vor Augen traten — er spurte geradezu den scharfen Ozongeruch, den hei?en Rucksto? des Kolbens, den er mit schwitzenden Fingern umkrampfte, und er vernahm das Winseln der Manner, die er kurz darauf hetzend und keuchend einen nach dem anderen herbeischleppte und wie Garben band, und jedesmal lie? ihn die verzwei— felte Hilflosigkeit der vertrauten, jetzt gleichsam erblindeten Gesichter bis ins Innerste erschauern.
Ein dumpfes Klappen — das Buch, das er noch in der Raumstation angefangen hatte, war heruntergefallen. Als Lesezeichen hatte er ein wei?es Blatt hineingelegt, aber er hatte nicht eine Zeile gelesen, wann sollte er auch. Er streckte sich auf der Koje aus und dachte an die Strategen, die jetzt beisammensa?en und Plane fur die Vernichtung der Wolke schmiedeten, und sein Mund verzog sich zu einem geringschatzigen Lacheln. Hat ja alles keinen Sinn, dachte er. Sie wollen vernichten, wir auch, wir alle wollen jenes Etwas vernichten, aber damit retten wir niemanden. Die Regis ist unbewohnt, der Mensch hat auf ihr nichts zu suchen.
Wozu also diese halsstarrige Verbissenheit? Es ist doch nicht anders, als waren die Manner bei einem Gewitter oder einem Erdbeben ums Leben gekommen. Niemandes bewu?te Absicht, kein feindlich gesinnter Wille ist uns entgegengetreten. Ein lebloser Selbstorganisierungsproze?… Lohnt es denn, die ganze Kraft und Energie daran zu verschwenden, ihn zu zerstoren, und nur, weil wir ihn von vornherein fur einen lauernden Feind gehalten haben, der erst den „Kondor“ und dann uns aus dem Hinterhalt angefallen hat? Wie viele unheimliche, menschlichen Begriffen fremde Erscheinungen mag der Kosmos in sich bergen?
Sollen wir uberall mit unseren Raumschiffen landen, Vernichtungswaffen an Bord, um all das, was unser Fassungsvermogen ubersteigt, zu zerschlagen? Wie haben sie es kurzerhand genannt? Nekrosphare. Folglich auch Nekroevolution.
Entwicklung toter Materie. Vielleicht konnten die Bewohner der Leier hier mitreden, die Regis ui gehorte zu ihrem Bereich. Moglich, da? sie sich auf ihr ansiedeln wollten, denn als ihre Astrophysiker die Verwandlung ihrer Sonne in eine Nova.ankundigten, war das vielleicht ihre letzte Hoffnung. Wenn wir in einer solchen Lage waren, dann wurden wir selbstverstandlich kampfen und die schwarze Kristallbrut ausrotten. Aber so? Ein Parsek von der Raumstation entfernt, die wieder so viele Lichtjahre von der Erde entfernt ist… Wem zuliebe hocken wir eigentlich hier und verlieren unsere Leute, weshalb suchen die Strategen nachtelang nach der besten Annihilationsmethode?
Von Rache kann doch nicht die Rede sein.
Wenn Horpach jetzt vor ihm stande, wurde er ihm all das sagen. Wie tollkuhn und lacherlich zugleich dieses „Siegen um jeden Preis“ sei, dieses „heldenhafte Ausharren des Menschen“, diese Sucht nach Vergeltung fur den Tod der Gefahrten, die doch umgekommen waren, weil man selbst sie in den Tod geschickt hatte… Wir sind einfach unvorsichtig gewesen, haben zu fest auf unsere Werfer und Indikatoren gebaut. Wir haben Fehler begangen, und nun haben wir die Folgen zu tragen. Einzig und allein uns trifft die Schuld.
All das dachte er beim schwachen Schein der Lampe mit geschlossenen Augen, die ihm brannten, als hatte sich unter den Lidern Sand angesammelt. Der Mensch — das erkannte er in diesem Augenblick — hatte die wahren Hohen noch nicht erreicht, er hatte sich die so schon bezeichnete, seit alters gepriesene galaktozentrische Idee noch nicht zu eigen gemacht, deren Sinn nicht darin bestehen konnte, nur ahnliche Wesen zu suchen und zu begreifen, sondern darin, sich nicht in fremde, au?ermenschliche Angelegenheiten einzumischen.
Die Leere erobern, naturlich, warum nicht. Aber nicht das angreifen, was existiert, was sich in Jahrmillionen ein eigenes, unabhangiges, au?er den Kraften der Strahlung und der Materie niemandem und nichts unterworfenes Gleichgewicht seiner Existenz geschaffen hat, einer tatigen Existenz, die weder besser noch schlechter ist als die Existenz der Eiwei?verbindungen, die Tier oder Mensch genannt werden.
Rohan schwelgte in dem Gedanken an diese erhabene Idee, war von Verstandnis fur jede existierende Form erfullt, da traf ihn wie ein spitzer Pfeil das hohe, entnervende, anhaltende Heulen der Alarmsirenen.
Alles, was er eben noch gedacht hatte, war mit einemmal verschwunden, wie weggeblasen von dem aufdringlichen Larm, der sich in allen Stockwerken breitmachte. Schon sturzte er auf den Gang hinaus und lief zusammen mit den anderen in warmem, menschlichem Atem in schwerem, mudem Trab dahin. Aber noch ehe er den Fahrstuhl erreichte, spurte er — nicht mit einem bestimmten Sinnesorgan, ja uberhaupt nicht mit seinem Korper, sondern wie mit dem Leib des Raumschiffs, von dem er jetzt ein Teilchen war — einen Sto?, der zwar sehr weit entfernt und schwach war, aber doch den Rumpf des Raumkreuzers von den Heckstutzen bis zum Bug durchfuhr. Es war ein Schlag von ungeheurer Heftigkeit, den — auch das spurte er — etwas Gro?eres als der „Unbesiegbare“ entgegennahm und geschickt parierte.
„Das ist er! Das ist er!“ schrien die vorwartssturmenden Manner. Einer nach dem anderen verschwand im Fahrstuhl, zischend schlossen sich die Turen. Andere Besatzungsmitglieder polterten die Wendeltreppe hinunter, weil sie nicht warten wollten, bis sie an der Reihe waren. Da bohrte sich durch das Stimmengewirr, durch die Rufe, die Pfiffe der Bootsleute, durch das anhaltende Sirenengeheul und das aus den oberen Stockwerken dringende Getrappel die zweite, lautlose, dafur um so heftigere Erschutterung des nachsten Treffers. Die Ganglichter flackerten und wurden wieder hell.
Niemals hatte Rohan geglaubt, da? ein Fahrstuhl so langsam sein konnte. Er merkte nicht einmal, da? er noch immer mit aller Kraft auf den Knopf druckte. Nur ein Mann stand noch neben ihm, der Kybernetiker Liwin. Der Fahrstuhl hielt, und Rohan horte beim Aussteigen ein Pfeifen, wie man es sich feiner nicht vorstellen kann und dessen hohe Tone, wie er ebenfalls wu?te, fur das menschliche Ohr nicht mehr wahrnehmbar waren. Es war, als stohnten alle Titanverbindungen des Raumkreuzers zugleich auf. Er erreichte die Tur der Steuerzentrale und begriff, da? der „Unbesiegbare“ Feuer mit Feuer beantwortet hatte.
Damit war das Gefecht eigentlich schon zu Ende. Vor dem flammenden Hintergrund des Bildschirms stand schwarz und gro? der Astrogator. Die Deckenbeleuchtung war, vielleicht absichtlich, ausgeschaltet, und durch die Streifen, die von oben nach unten uber den Bildschirm rieselten und das ganze Blickfeld verschwimmen lie?en, schimmerte ein gigantischer, bauchiger Explosionspilz, der mit dem Fu? am Boden haftete, seine blasigen Knauel in alle Himmelsrichtungen ausstreckte und scheinbar vollig reglos war. Diese Explosion hatte den Zyklopen vernichtet, in seine Atome aufgelost, und hinterlie? in der Luft ein furchtbares, glasiges Zittern, durch das man die monotone Stimme des Technikers vernahm: „Zwanzig Strich sechshundert im Nullpunkt. Neun Strich achthundert im Umkreis. Eins Strich vier zweiundzwanzig im Feld.“
Wir haben 1420 Rontgen im Feld, das bedeutet, da? die Strahlung die Barriere des Kraftfeldes durchbrochen hat, uberlegte Rohan. Er hatte nicht gewu?t, da? so etwas moglich war. Aber als er auf die Skala des Hauptleistungsverteilers blickte, sah er, welch starke Ladung der Astrogator eingesetzt hatte. Mit dieser Energie konnte man ein Binnenmeer mittlerer Gro?e zum Sieden bringen. Nun, Horpach hatte kein weiteres Feuergefecht riskieren wollen.
Vielleicht war er dabei zu weit gegangen, jedenfalls aber hatten sie jetzt wieder nur einen Gegner.