- Nein, eine Depesche, die mir mein Korrespondent Herr Balfour geschickt hat. Sie meldet, daß in Wellington gestern ein von Kerawara kommendes Schiff eingelaufen sei, das den Bismarck- Archipel zehn Tage nach dem 'James-Cook' verlassen und einen Brief von Herrn Zieger mitgebracht hätte. Balfour hat mir dessen Inhalt sofort telegraphiert, und diese Depesche hab' ich heute früh erhalten.
- Und was sagt Herr Zieger bezüglich der Nachforschung nach den Tätern? fragte Karl Kip.
- Nichts, antwortete Nat Gibson, gar nichts. Die Mörder sind auch bis jetzt noch nicht entdeckt.
- Das ist leider nur zu wahr, setzte Hawkins hinzu. Die Herren Zieger und Hamburg haben sich unablässig darum bemüht, ohne einen Erfolg zu erzielen.
- Sie haben auch keine einzige Spur gefunden, die es ermöglichte, die Nachforschungen mit einiger Aussicht fortzusetzen? sagte Pieter Kip.
- Nein, erwiderte Hawkins, man hat bisher auf niemand Verdacht. Allem Anscheine nach ist das Verbrechen von Eingebornen begangen worden, die Zeit genug fanden, nach der Insel York zu flüchten, wo es natürlich sehr schwer werden würde, sie herauszufinden.
- Immerhin braucht Herr Gibson noch nicht alle Hoffnung aufzugeben, erklärte Karl Kip. Die gestohlenen Papiere könnten ja vernichtet worden sein, doch das Geld. die Piaster, sind jedenfalls nicht verschwunden, und wenn die Mordgesellen diese Goldstücke umsetzen wollen, hält man sie gewiß dabei an.
- Ich werde nach Kerawara zurückkehren, rief Nat Gibson, ja. ja, ich gehe noch einmal dahin!«
Dem jungen Mann war wohl zuzutrauen, daß er diese Absicht ausführte.
Das Gespräch verstummte beim Eintreten der Mitglieder des Seegerichts, die auf einem etwas erhöhten Teile des Saales Platz nahmen. eines Kommodore, eines Kapitäns und eines Leutnants, nebst dem Referendar, der die Anklageschrift aufgesetzt hatte.
Die Verhandlung wurde eröffnet, und der Vorsitzende gab Auftrag, die Angeklagten hereinzuführen.
In der Mitte zweier Gerichtsdiener erschienen Flig Balt und Len Cannon, denen eine Bank links von der Richtertafel angewiesen wurde.
Der Bootsmann schien seiner Sache ganz sicher zu sein; er sah gleichgültig und kühl aus und blickte ziemlich sorglos umher. Wenn es ihm aber auch gelang, die Gefühle, die ihn jetzt gewiß erregten, zu unterdrücken, so machte seine ganze Erscheinung doch den Eindruck eines hinterlistigen Sünders.
Über Hawkins kam es bei seinem Anblick wie eine verspätete Erleuchtung. Es schien ihm, als sähe er Flig Balt zum ersten Male so, wie er wirklich war. O, wie hatten der Kapitän Gibson und er nur so verblendet sein können, diesem Menschen ihr Vertrauen zu schenken, sich von dem scheinheiligen Benehmen des Schurken täuschen zu lassen!
Was jetzt aber Hawkins Verwunderung erregte, das konnte die Gebrüder Kip nicht in gleicher Weise berühren. Der Bootsmann hatte auf sie ja von Anfang an einen recht verdächtigen Eindruck gemacht, und Flig Balt hatte das auch selbst bemerken müssen.
Was Len Cannon betraf, sprach dessen Haltung gewiß nicht zu seinen Gunsten. Er schleuderte tückische Blicke nach links und nach rechts, bald auf Vin Mod, bald auf Sexton oder auf Bryce, denn er mochte sich wohl fragen, warum diese nicht ebenfalls auf der Anklagebank säßen, da sie doch ebensoviel auf dem Kerbholz hätten, wie er.
Wenn Len Cannon - so war der Gedankengang Vin Mods -nicht ebenso siegesgewiß auftrat, wie Flig Balt, kam das offenbar daher, daß Flig Balt ihm nichts davon gesagt hatte, was Kyle ihm in seinem Auftrage mitgeteilt hatte. Doch war das überhaupt geschehen oder wußte Flig Balt bis jetzt noch nichts? Die Ungewißheit machte Vin Mod doch ziemlich ängstlich.
Kyle hatte sich jedoch seines Auftrages entledigt. Flig Balt und er waren noch am heutigen Morgen zusammengetroffen. Der Bootsmann konnte als Ankläger auftreten. Auf einen fragenden Blick, den Vin Mod ihm zuwarf, antwortete er durch eine kaum bemerkbare Handbewegung, die über ihre Bedeutung keinen Zweifel übrig ließ.
»Nun glimmt ja die Lunte, murmelte er für sich, nun mag die Bombe platzen!«
Der Vorsitzende erteilte das Wort dem Referendar, und dessen Bericht schilderte in knappen Zügen die ganze Angelegenheit. Er wies darauf hin, unter welchen Umständen Flig Balt den Befehl über den »James-Cook« erhalten und unter welchen anderen Umständen man ihm diesen wieder hatte abnehmen müssen; wie Flig Balt wegen seiner offenkundigen Unfähigkeit durch den holländischen Seemann Karl Kip, einen Passagier des Schiffes, ersetzt worden war, ferner wie der Bootsmann die Auflehnung gegen den neuen Kapitän geschürt und sich - offenbar in der Absicht, das Schiff in seine Hand zu bekommen - an die Spitze der Meuterer gestellt hatte.
Daß Len Cannon ebenso schuldbelastet sei wie Flig Balt, war gar nicht zu bezweifeln und wurde durch das jetzige Verhalten des Mannes nur bestätigt. Offenbar hatte er bei dem Einflusse, den er auf seine in Dunedin angemusterten Kameraden ausübte, diese zu dem schweren Vergehen überredet. Gleich beim Ausbruch der Meuterei tat er sich ja auch durch seine Hetzrufe und Gewalttätigkeiten hervor. Mit einem Messer in der Hand war er auf Karl Kip eingedrungen und erst zurückgewichen, als ihm dieser den Revolver auf die Brust setzte. Seine Mitschuld und Verantwortlichkeit lag also klar zutage.
Als der Referendar seinen Vortrag beendigt hatte, beantragte er die höchste zulässige Strafe für die Meuterer.
Der Vorsitzende wendete sich nun an Flig Balt mit der Frage, ob er bezüglich der gegen ihn erhobenen Beschuldigung etwas einzuwenden habe.
»Nichts, erklärte einfach der Bootsmann.
- Sie erkennen also die in dem Berichte erwähnten Tatsachen an?
- Ja wohl. vollkommen.«
Diese wenigen Worte brachte er mit so klarer, ruhiger Stimme hervor, daß es die Verwunderung der Zuhörer erregte.
»Sie haben zu Ihrer Verteidigung nichts hinzuzufügen? fragte der Vorsitzende nochmals.
- Nicht ein Wort,« erklärte Flig Balt, der sich wieder setzte, da er sein Verhör für beendet ansah.
Vin Mod sah ihn scharf, doch mit einiger Besorgnis an.
Hatte Flig Balt nicht den rechten Augenblick verpaßt, alles zu sagen? Und hatte er, Vin Mod, sich doch nicht vielleicht über das Zeichen getäuscht, das der Bootsmann ihm gemacht hatte? Sollte dieser die kurze Mitteilung Kyles etwa nicht verstanden oder vielleicht überhaupt nicht erhalten haben?
Immerhin, das sollte nichts ausmachen. Wenn Flig Balt nicht sprach, würde Vin Mod sprechen, sobald er zu seiner Aussage aufgerufen wurde.
Auf die an ihn gerichteten Fragen gab Len Cannon nur ausweichende Antworten, wobei er sich stellte, als ob er den Vorsitzenden nicht recht verstände, und jedenfalls hatte Flig Balt ihm empfohlen, so wenig nie möglich zu sprechen.
Vin Mod kam daher auf den Gedanken, dem Bootsmanne passe es, daß die Verhandlung erst weiter fortschreite, und daß die Zeugenaussagen, darunter vorzüglich die Karl Kips, zu Protokoll genommen worden seien. Wegen der Anschuldigung, die er gegen die Brüder erheben wollte, erschien es besser, daß diese sich vorher dem Gerichte gegenüber ausgesprochen
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