stand Ramon Gonzales, das menschliche Bindeglied zwischen dem alten lateinischen Europa und dem neuen Amerika, und starrte mit brennenden Augen aufs Meer. Auf der anderen Seite der schlafenden See standen oder sa?en drei andere Manner und starrten mit grimmigen Augen ins Nichts – Moorehead, der Amerikaner, Nasuki, der Asiate, der blonde Rasmussen aus Anglo-Skandinavien.
Ein Tag nach dem anderen verstrich, wahrend der Giftgestank aus Rios verdorrendem Hafen aufstieg, dahinzog uber die wei?en Stra?en der Stadt, wahrend , das dunkle Wasser immer tiefer sank, wahrend die jadegrunen Berge aus Schleim in der Sonne schmorten. Ein Tag nach dem anderen verstrich, wahrend die Menschen, die sich zum Beira Mar zuruckgezogen hatten, ins felsengesaumte Niteroi, wieder die kuhlen grunen Berge aufsuchten, um zu warten und zu schauen. Eine Handvoll muder Manner, in der Konigin der sudlichen Stadte. Noch eine Handvoll auf dem nackten Gipfel des Zuckerhuts und zu Fu?en des machtigen Christus vom Corcovado, der wunderbarerweise unberuhrt geblieben war vom wutenden goldenen Gott. Und uber allem das Drohnen und Kreischen der kreisenden Flugzeuge und das dumpfe Pochen der Riesenpumpen.
Die meisten Lebewesen gewohnen sich an Drogen, verlangen mehr und mehr und immer mehr, um ihren Appetit zu befriedigen. Vergiftetes Fleisch hatte das Ding eingelullt, und der Drogenregen, der von den Flugzeugen herabfiel, hatte es betaubt, das langsame Platschern der Wellen an seinen schleimigen Flanken wiegte es in sanfte Traume von kunftigen Orgien.
Und jetzt, als das Wasser gesunken war und die Sonne herabbrannte auf seinen nackten Leib, erhob sich das riesige Ding. Wie eine gro?e grune Schnecke kroch es uber das wei?e Band des Beira Mar, in die Juwelenstadt. Gebaude sturzten ein unter seinem Gewicht, Wande brachen zusammen unter dem fragenden Druck der Pseudofu?e. Es kroch uber die zerbrochene Stadt in die Taler zwischen den Bergen, und auf dem Gipfel des Zuckerhuts setzte hektische Aktivitat ein. Nicholas Svadin hob die blauliche dicke Hand, und wahrend er noch gestikulierte, loderte ein Feuerwall in den Stra?en Rios auf, versperrte den Zugang zum Meer. Langsam kroch die Flammenmauer ins Landesinnere, und das Ding aus dem Meer wich zuruck vor ihrer sengenden Hitze, zermalmte immer mehr Hauser unter seiner schleimigen Masse. Seine schwerfalligen Bewegungen wurden rascher, wutender, und allmahlich stieg Furcht in ihm auf, in diesem Wesen, das bisher keine Furcht gekannt hatte. Es furchtete sich vor den winzigen Menschen, die es mit ihren unbedeutenden Waffen angriffen. Und es lag da wie eine glasige Decke uber den zertrummerten Stra?en von Rio, ein Knoten aus zuckenden Schlangenleibern, der sich nach der kuhlen, nassen Schwarze der Tiefsee sehnte. Erwachender Zorn wurde die Hafenmauer zerbrechen wie ein Zweig unter einer Lawine. Aber es erreichte die Mauer nicht. Seine bebenden Tentakel stocherten im salzverkrusteten Schlamm, der alles war, was die Pumpen in der Bucht von Rio ubriggelassen hatten, und in wenigen Minuten waren auch die letzten Tropfen in der gierigen Masse des Dings verschwunden. Und dann schlug Svadin zu.
Ich stand mit meiner Kamera unter dem Christus vom Corcovado. Die Sonne ging unter. Und als der Schatten der westlichen Berge uber die Ruinen von Rio kroch, bereitete sich das Ding aus dem Meer auf den Sprung vor, der es uber den Zuckerhut tragen wurde, uber den von Menschen geschaffenen Wall, in den ersehnten Atlantik.
Dann funkelten im Norden, wo die Sonne noch schien, metallische Mucken im wolkenlosen Himmel, summende Maschinen trieben sie der wachsenden Dammerung entgegen. Eine Rakete erhob sich vom Zuckerhut und explodierte, ein blasser Stern uber dem Meer, lie? glitzernde Flammen herabregnen, und die Luft war erfullt vom Donnern der Luftwaffe – von Bombern, Flugzeugen in allen Gro?en, aus allen Nationen, eine Monsterflotte, deren Schatten wie eine dunkle Wolke uber der See lag.
Sie setzten zum Tiefflug uber der Stadt an, und ein wei?er Regen von Geschossen prasselte herab, die winzig wirkten vor der Gro?e der Berge ringsum. Wie Hagelkorner fielen sie herab, und dann kam ein zweiter Schauer, ein dritter, wahrend die Luftflotte uber Rio drohnte.
Und dann traf die erste Bombe.
Ein Feuerball explodierte im Dammerlicht des Abends, goldene Flammenfontanen schossen himmelwarts, ergossen sich dann auf die nackte Oberflache des Dings. Tausende von Feuerpunkten umflogen die grune Masse, Kaskaden verzehrender Flammen – bis das Ding aus dem Meer aufloderte in einer riesigen, strahlend hellen Feuergarbe, die am dunklen Firmament leckte, wo die todliche Armee der Menschheit immer noch drohnte, wo morderischer Regen herabfiel wie ein wei?er Vorhang.
Und dann sah ich es, wie der alte Heinrich Sturm es Monate und Jahre zuvor gesehen hatte, wie Nicholas Svadin es gesehen hatte, als er seinen kolossalen Plan begann, um das Ding in den eingemauerten Hafen von Rio de Janeiro zu locken. Flammen, die toten konnten, wo keine andere Waffe der Menschheit Nutzen brachte. Grune Flammen, die den erdgeborenen goldenen Gott verzehrten, seine kristallischen Muskeln zerfra?en, sein goldenes Gehirn verschlangen. Gelbe Flammen, die den grunen Schleim des Dinges vernichteten, das im Meer entstanden war. Gift, das das Wasser, den Lebensborn des Dings, in einen morderischen Feind verwandelt hatte.
Und als die kolossale goldene Fackel uber den Ruinen von Rio himmelwarts stieg, sah ich den grunen Berg des Dings schrumpfen, zu milchigen Klumpchen gerinnen, verkrustet von verbranntem Alkali. Wasser drang heraus wie aus zusammengepre?tem Kase, gelbe Flammen leckten daran, saugten die Tropfchen auf. Der schwarze Schleim im Hafen trocknete unter der Hitze. Die Palmen, die immer noch am wei?en Strand standen, bogen sich, knisterten in roten Flammen, und die Brise trug den Gestank gekochten Fleisches in unsere Nasen.
Das Stimmengewirr hinter mir war verstummt. Ich wandte mich um. Die Menschenmenge wich eingeschuchtert zur Seite, und eine kleine Schar kam auf mich zu, vom Gipfel des Zuckerhuts von der unertraglichen Hitze vertrieben, die das brennende Ding verstromte. Donegan, mit rotem Haar und roter Nase, bahnte einen Weg fur sich und seine Begleiter. Heinrich Sturm folgte ihm auf den Fersen, grauhaarig und gebeugt. Und hinter ihm, umgeben von Mannern in reich geschmuckten Uniformen, kam die leichenwei?e Gestalt Nicholas Svadins.
Ich machte ihnen nicht Platz. Ich stand zu Fu?en der Christus-Statue und erwiderte ihre Blicke. Ich starrte auf den roten Jim Donegan, auf den Zoologen Heinrich Sturm, und ich starrte auf das dicke, mi?gestaltete Wesen, das sich zum Herrscher der Welt aufgeschwungen hatte.
Ich hatte ihn nicht gesehen seit jenem Abend in Oaxaca vor drei Jahren. Er war schon damals ekelerregend gewesen, aber nun hafteten ihm Geruch und Gestalt des Todes an, wie Lazarus, als er mit leerem Blick aus dem Grab gestiegen war. Ein grauer Umhang hing von seinen Schultern, fiel in dichten Falten um einen Korper, der so verformt und aufgeblaht war, da? er nichts Menschliches mehr an sich hatte. Glanzende Fettwulste klebten an seinen Wangen. Seine Finger waren gelbe Klumpen aus krankem Fleisch mit blauen Flecken, seine Beine plumpe Saulen. In seinem bleichen Gesicht gluhten zwei helle Augen, wie glasige Rosinen in Sauerteig. Der Gestank der Einbalsamierung vergiftete die Luft rings um ihn. Nicholas Svadin! Der lebende Tote – der Herrscher der Welt!
Ich kannte Donegan von Oaxaca her. Er erzahlte mir, was ich bereits erraten hatte. Die Forschungen des alten Sturm, die er an Hand von Schleimfragmenten des Dings, von freiwilligen Soldaten abgehauen, angestellt hatte, waren sehr aufschlu?reich gewesen. Sie hatten ergeben, da? sich das Ding aus Molekulen kolloidalen Wassers zusammensetzte. Eine Lebensform, protoplasma-ahnlich, hatte sich entwickelt, ein Fleischfresser, der sich von lebendem Fleisch nahrte und Elemente brauchte, die das Wasser ihm nicht geben konnte. Und nun war das Ding vernichtet worden, von zersetzenden Kraften, die das Wasser nicht besiegen konnte, von Natriumbomben, die die kolloidale Struktur des wassrigen Fleisches zerrissen, in Flammen brennenden Wasserstoffs und verkrustetes Alkali aufgelost hatten. Ein chemisches Feuer, das sich selbst auffra?.
Ich kannte auch Ramon Gonzales. Ich hatte ihn gesehen, als er unter der Sonne von Budapest neben Svadins Bahre gestanden hatte – als Svadin ihm die vereinigten lateinischen Staaten zweier Kontinente uberantwortete – als er knocheltief im grunen Schleim stand, den das Ding aus dem Meer auf den Stra?en von Rio hinterlassen hatte.
Und ich sah ihn jetzt, das dunkle Gesicht im gelben Schein verzerrt, wahrend er dem unbewegten Teiggesicht Nicholas Svadins Anklagen entgegenschleuderte. Die Knopfaugen flackerten kaum, als sie Gonzales beobachteten. Die formlose Gestalt zog den Umhang enger um sich. Immer lauter schwoll Gonzales’ hysterische Stimme an, verfluchte Svadin um des Verderbens willen, das er uber Rio gebracht hatte, verfluchte ihn fur das Ding, das er als, Mensch gewesen war, fur das Ding, das er jetzt war.
Kein Zeichen des Begreifens zeigte sich auf dem gedunsenen Gesicht, kein Anzeichen menschlicher Gefuhle. Ich spurte die Spannung, die in der Luft lag, spurte, da? es zur Explosion kommen wurde. Meine Kamera knipste uber Jim Donegans Schulter hinweg Gonzales’ Gesicht, wahrend dieser sein Schwert zog und es durch Svadins hochgeschleuderten Arm stie?. Es bohrte sich tief in die Seite des Herrschers, versank bis zum Heft im Fleisch. Ich sah die Schwertspitze aus dem Rucken ragen, sah Jim Donegans Revolver vor der Kameralinse aufblitzen, als er