Papiermesser vom Toilettentisch genommen und hielt es mit der Spitze gerade uber seinem Herzen. Als der kleine Mann mit mir fertig war, gesellte er sich zu dem anderen, und sie zwangen meinen Gatten, sich zu erheben und sie in den Ankleideraum nebenan zu begleiten. Vor Schrecken war ich einer Ohnmacht nahe, lauschte aber verzweiflungsvoll ...

Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten; sie sprachen zu leise. Aber ich erkannte ihre Sprache, einen spanischen Dialekt, wie er in einzelnen Teilen Sudamerikas gesprochen wird. Es schien, als verlangten sie etwas von meinem Gatten, und plotzlich wurden sie laut und sprachen mit erhobener Stimme weiter. Ich glaube, der gro?e Mann sagte: ,Sie wissen, was wir wollen? Das - hier verstand ich wieder nicht - ,Wo ist es?' Ich wei? nicht, was mein Mann darauf erwiderte, aber der andere fuhr grimmig fort: ,Sie lugen! Wir wissen, da? es in Ihrem Besitz ist. Wo haben Sie Ihre Schlussel?' Dann horte ich, wie Schubladen herausgezogen wurden. In der Wand des Ankleidezimmers meines Mannes befindet sich ein Safe, in dem er immer eine gro?ere Summe verfugbaren Geldes aufbewahrt., Leonie sagt mir, er sei erbrochen und das Geld gestohlen worden, aber augenscheinlich war das, was sie suchten, nicht dort, denn plotzlich horte ich, da? der Gro?e mit einem Fluch meinem Mann befahl, sich anzukleiden. Bald darauf, es mu?te sie wohl ein Gerausch im Hause gestort haben, drangten sie meinen Mann halbbekleidet von dort in mein Zimmer.«

»Pardon«, unterbrach Poirot, »gibt es denn keinen anderen Ausgang aus dem Ankleidezimmer?«

»Nein, Monsieur, es gibt nur eine Verbindungstur in mein Zimmer. Sie eilten mit meinem Mann an mir vorbei, der Kleine voraus, der Gro?e, noch immer mit dem Dolch in der Hand, hinter ihm. Paul versuchte zu fliehen und zu mir zu kommen. Ich sah seine todangstlichen Augen. Er wandte sich an seine Verfolger. ,Ich mu? mit ihr sprechen', bat er. Dann trat er an mein Bett. ,Es ist alles in Ordnung, Eloise', sagte er. ,Furchte nichts. Vor Tagesanbruch bin ich wieder zuruck!' Aber obwohl er versuchte, einen zuversichtlichen Ton in seine Stimme zu legen, sah ich die schreckliche Angst in seinem Blick. Dann drangten sie ihn zur Tur hinaus und der Gro?e sagte: ,Ein Laut - und Sie sind ein toter Mann, vergessen Sie das nicht!'«

»Dann«, fuhr Mme. Renauld fort, »mu? ich das Bewu?tsein verloren haben. Das nachste, woran ich mich erinnere, ist, da? Leonie meine Handgelenke rieb und mir Brandy einflo?te.«

»Madame Renauld«, sagte der Richter, »haben Sie eine Ahnung, wonach die Morder suchten?«

»Nein, Monsieur.«

»War Ihnen bekannt, da? Ihr Gatte etwas befurchtete?«

»Ja. Ich habe eine Veranderung an ihm bemerkt.«

»Seit wann?«

Madame Renauld dachte nach.

»Seit zehn Tagen.«

»Nicht langer?«

»Moglich, doch ich merkte es erst damals.«

»Fragten Sie Ihren Mann nach der Ursache?«

»Einmal. Doch er wich mir aus. Aber ich war uberzeugt, da? irgend etwas ihn schwer bedruckte. Da er augenscheinlich diese Tatsache vor mir verbergen wollte, versuchte ich, so zu tun, als bemerke ich nichts.«

»Wu?ten Sie, da? er die Hilfe eines Detektivs anrief?«

»Eines Detektivs?« rief Mme. Renauld erstaunt.

»Ja, dieses Herrn - Monsieur Hercule Poirot.«

Poirot verbeugte sich. »Er traf heute auf die Berufung Ihres Mannes hier ein.« Und er nahm den von M. Renauld geschriebenen Brief aus der Tasche und reichte ihn der Dame. Sie las ihn mit offenbar echtem Staunen.

»Davon hatte ich keine Ahnung. Anscheinend war er sich der Gefahr voll bewu?t.«

»Nun, Madame, mochte ich Sie bitten, vollig aufrichtig zu mir zu sein. Gibt es irgendein Ereignis im vergangenen Leben Ihres Gatten in Sudamerika, das Licht in diese Mordaffare bringen konnte?«

Mme. Renauld dachte nach und schuttelte endlich den Kopf. »Ich kann mich an nichts erinnern. Gewi? hatte mein Mann viele Feinde, Leute, die er auf irgendeine Weise uberflugelt hatte, aber mir ist kein einzelner Fall gegenwartig. Ich sage nicht, da? es keinen solchen gibt - nur bin ich mir dessen nicht bewu?t.«

Enttauscht fuhr sich der Untersuchungsrichter durch den Bart.

»Und konnen Sie die Zeit des Attentats angeben?«

»Ja, ich erinnere mich deutlich, da? die Uhr auf dem Kamin zwei schlug.« Sie wies auf eine Reiseuhr mit Achttagewerk, die in einem Lederetui auf dem Kamin stand.

Poirot erhob sich von seinem Sitz und untersuchte die Uhr sorgfaltig, dann nickte er zufrieden.

»Und hier ist auch eine Armbanduhr«, rief Monsieur Bex, »die von den Attentatern zweifellos vom Toilettentisch heruntergerissen wurde. Das Glas ist zersplittert.«

Vorsichtig schob er die Glasscherben beiseite. Plotzlich spiegelte sich gro?te Verbluffung in seinem Gesicht.

»Mon Dieu!« rief er aus.

»Was gibt es?«

»Die Zeiger der Uhr stehen auf sieben Uhr!«

»Was?« rief der Untersuchungsrichter erstaunt.

Aber Poirot, flink wie immer, nahm dem erstaunten Kommissar die Uhr aus der Hand und hielt sie ans Ohr. Dann lachelte er.

»Das Glas ist zwar zerbrochen, aber die Uhr geht noch immer.«

Die Erklarung dieses Ratsels wurde mit einem Lacheln der Erleichterung zur Kenntnis genommen. Doch der Richter gab sich nicht zufrieden.

»Aber es kann doch jetzt nicht sieben Uhr sein?«

»Nein«, stimmte Poirot bei, »es ist wenige Minuten nach Funf. Vielleicht geht die Uhr vor, Madame?«

Mme. Renauld runzelte erstaunt die Stirn. »Sie geht etwas vor«, gab sie zu. »Aber ich wu?te nicht, da? der Unterschied so gro? ist.«

Mit einer ungeduldigen Bewegung lie? der Richter dies Thema fallen und setzte sein Verhor fort.

»Madame, der Haupteingang wurde halb offen gefunden. Es scheint fast sicher, da? die Morder auf diesem Wege hereinkamen, und zwar, ohne Gewalt anwenden zu mussen. Konnten Sie dafur eine Erklarung finden?«

»Moglicherweise ging mein Mann noch ein wenig spazieren und verga? dann, als er hereinkam, die Tur zu versperren.«

»Konnte ihm so etwas passieren?«

»Sehr leicht. Mein Mann war einer der zerstreutesten Menschen.« Sie runzelte ein wenig die Brauen, als sie dies sagte, als ob dieser Charakterzug des Verstorbenen ihr ofters Anla? zur Krankung gegeben hatte.

»Dies ist ein Punkt, den wir, wie ich glaube, ubergehen konnten«, bemerkte plotzlich der Kommissar. »Da die Manner darauf bestanden, da? Monsieur Renauld sich anzog, hat es den Anschein, als ob der Ort, zu dem sie ihn fuhrten, der Ort, wo ,es' verborgen war, weit entfernt lag.«

Der Richter nickte. »Ja, weit, aber nicht zu weit, da er doch davon sprach, bald wieder zuruck zu sein.«

»Wann geht denn der letzte Zug von Merlinville ab?« fragte Poirot.

»Um 11 Uhr 50 nach der einen Richtung, um 12 Uhr 17 nach der anderen, aber es ist wahrscheinlicher, da? ein Auto sie erwartete.«

»Naturlich«, stimmte Poirot zu und sah ein wenig niedergeschlagen aus.

»Das konnte allerdings ein Fingerzeig zu ihrer Verfolgung sein«, fuhr der Richter erleichtert fort. Ein Auto mit zwei fremden Insassen ist wahrscheinlich nicht unbemerkt geblieben. Das ist ein ausgezeichneter Anhaltspunkt, Monsieur Bex.«

Plotzlich wieder ernst werdend, wandte er sich an Madame Renauld: »Noch eine Frage. Ist Ihnen jemand namens ,Duveen' bekannt?« .

»Duveen?« erwiderte Madame Renauld nachdenklich. »Ich kann mich nicht erinnern ... «

»Kennen Sie jemanden mit dem Taufnamen Bella?« Wahrend er sprach, behielt er Madame Renauld fest im Auge, aber sie schuttelte nur ganz unbefangen den Kopf. Er fuhr fort: »Ist Ihnen bekannt, da? Ihr Gatte gestern abend einen Besuch empfing?«

Nun sah er, wie ein leichtes Rot in ihre Wangen stieg, doch sie antwortete gefa?t: »Nein, wer war es?«

»Eine Dame.«

»Wirklich?«

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