»Einen Augenblick, Mademoiselle. Wo ist der Untersuchungsrichter?«

»Er ging mit dem andern Herrn zur Garage hinaus, um sich das Auto anzusehen. Der Kommissar glaubt, es konnte vielleicht in der Mordnacht benutzt worden sein.«

»Quelle idee«, murrte Poirot, als das Madchen gegangen war.

»Willst du ihnen nachgehen?«

»Nein, ich werde sie im Salon erwarten. Dort ist es kuhl an diesem hei?en Vormittag.«

Diese gelassene Art, die Dinge zu nehmen, war wieder gar nicht nach meinem Sinn. »Wenn du nichts dagegen hast -« sagte ich zogernd.

»Nicht im geringsten. Du willst wohl auf eigene Faust Entdeckungen machen?«

»Ja, ich wollte eigentlich Giraud aufsuchen, wenn er in der Nahe ist, und sehen, was er treibt.«

»Ein Spurhund in Menschengestalt«, sagte Poirot vor sich hin, lehnte sich behaglich in einen Fauteuil und schlo? die Augen. »Selbstverstandlich, bitte sehr, lieber Freund. Au revoir.«

Ich schlug den Pfad ein, den wir am Tag vorher gegangen waren. Mich gelustete es, den Tatort des Verbrechens selbst zu untersuchen. Ich ging jedoch nicht direkt auf den Platz zu, sondern schlug mich seitwarts in die Busche, um einige hundert Ellen weiter, rechts bei den Golfplatzen, herauszukommen. War Giraud noch auf dem Platze, so wollte ich seine Arbeitsweise beobachten, bevor er meine Anwesenheit merkte. Aber das Gestrauch wuchs hier viel dichter, und ich hatte alle Muhe, mir einen Weg hindurchzubahnen. Als ich endlich auf die Lichtung hinauskam, geschah es so unerwartet, da? ich an eine junge Dame stie?, die mit dem Rucken zu den Buschen stand.

Begreiflicherweise stie? sie einen verhaltenen Schrei aus, aber auch mir entschlupfte ein Laut des Staunens. Denn meine Reisegefahrtin Cinderella stand vor mir.

Das Staunen war gegenseitig.

»Sie?« riefen wir beide wie aus einem Munde.

Die junge Dame fa?te sich zuerst.

»Beim heiligen Simplizius!« rief sie aus, »was machen Sie hier?«

»Darf ich die gleiche Frage an Sie richten?« gab ich zuruck.

»Als ich Sie zuletzt sah, vorgestern war es, trollten Sie sich eben nach England heim wie ein guter, braver Junge. Hat Ihnen Ihr Parlamentarier eine Saisonkarte verschafft?«

Ich uberhorte den Spott ihrer Worte. »Als ich Sie zuletzt sah«, sagte ich, »gondelten Sie mit Ihrer Schwester Heimwarts wie ein braves, kleines Madchen. Ubrigens, wie geht es Ihrer Schwester?«

Wei?e Zahne blitzten mich an. »Wie nett von Ihnen, danach zu fragen! Danke, meiner Schwester geht es gut.«

»Ist sie mit Ihnen hier?«

»Sie blieb in der Stadt«, sagte sie wurdevoll.

»Ich glaube nicht sehr an diese Schwester«, lachte ich. »Und wenn Sie eine haben, hei?t sie vermutlich wei? Gott wie!«

»Entsinnen Sie sich noch meines Namens?« fragte sie lachelnd.

»Cinderella. Aber nicht wahr, jetzt werden Sie mir Ihren wahren Namen sagen!«

Unwillig schuttelte sie den Kopf.

»Auch nicht, weshalb Sie hier sind?«

»O das! Haben Sie nie davon gehort, da? Angehorige meines Berufes in Urlaub gehen?«

»In einen kostspieligen franzosischen Badeort?«

»Ungeheuer billig, wenn man sich nur auskennt.«

Ich sah ihr scharf in die Augen. »Doch als ich Ihnen vor zwei Tagen begegnete, hatten Sie noch keine Absicht, hierherzukommen?«

»Es kommt immer anders, als man denkt«, sagte Miss Cinderella anzuglich. »Und nun habe ich Ihnen gerade so viel erzahlt, als Ihnen guttut. Kleine Jungen sollen nicht neugierig sein. Sie haben mir noch nicht erzahlt, was Sie hier machen? Vermutlich haben Sie den Herrn vom Parlament im Schlepptau, und der spielt am Strand den verfluchten Kerl ... «

Ich schuttelte den Kopf. »Raten Sie nochmals. Erinnern Sie sich, da? ich Ihnen erzahlte, mein Freund sei Detektiv ... «

»Ja?«

»Und vielleicht haben Sie von dem Verbrechen in der Villa Genevieve gehort -?«

Sie starrte mich an. Sie zitterte, und ihre Augen wurden gro? und rund. »Wollen Sie damit sagen - da? Sie deshalb hier sind?«

Ich nickte. Zweifellos hatte das tiefen Eindruck gemacht, Ihre Erregung war zu offenkundig, als sie mich nun anblickte. Sie schwieg einige Sekunden und starrte mich an. Dann nickte sie.

»Ach, ist das ein glucklicher Zufall! Schleppen Sie mich herum. Ich mochte alle Greuel sehen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Was ich sage. Zum Kuckuck, erinnern Sie sich denn nicht, da? ich fur Verbrechen schwarme? Weshalb, glauben Sie, gefahrde ich meine Fu?knochel in solchen Stockelschuhen auf diesem Stoppelfeld? Stundenlang schnuffele ich schon hier herum. Erst versuchte ich es beim Hauptzugang, aber da verstellte mir der schwerfallige franzosische Gendarm den Weg. Ich glaube, da? Helena von Troja, Cleopatra und Maria Stuart in einer Person ihn nicht in Versuchung brachten! Es ist wirklich ein besonderer Glucksfall, da? ich hier auf Sie stie?. Kommen Sie jetzt, und zeigen Sie mir alles Sehenswerte.«

»Aber ich bitte Sie - warten Sie einen Augenblick -, ich kann es nicht tun. Niemand darf eintreten!«

»Sind denn nicht Sie und Ihr Freund hier die Oberbonzen?«

Ich war nicht geneigt, ihren Glauben an meine Machtstellung zu erschuttern. »Warum sind Sie so erpicht darauf?« fragte ich. schwach. »Und was wollen Sie eigentlich sehen?«

»Oh, alles! Den Ort, wo es geschah, die Waffen, den Leichnam und irgendwelche Fingerabdrucke oder sonstige interessante Dinge. Nie vorher hatte ich Gelegenheit, in so unmittelbare Nahe eines Verbrechens zu gelangen. Das wird eine Erinnerung furs ganze Leben.«

Angewidert wandte ich mich ab. Wohin war es mit den heutigen Frauen gekommen? Oft hatte ich von Weibern gelesen, die den Gerichtssaal belagerten, wenn es um irgendeines Ungluckseligen Leben oder Tod ging. Und ich hatte mich schon oft gefragt, was fur Frauen das wohl sein mochten. Nun wu?te ich es. Sie waren von der Art Cinderellas, jung und doch von Sehnsucht nach krankhafter Erregung besessen, nach Sensationen um jeden Preis, ohne auf Anstand oder Feingefuhl Rucksicht zu nehmen. Die lebendige Schonheit des Madchens zog mich wider meinen Willen an, doch in meinem Herzen war der erste Eindruck, Mi?billigung und Abneigung, zuruckgeblieben. Ich gedachte meiner lange verstorbenen Mutter. Was sie wohl zu diesem seltsamen Produkt modernen Madchentums gesagt hatte? Dem hubschen Antlitz voll Schminke und Puder und dem damonischen Sinn?

»Steigen Sie von Ihrem hohen Ro?«, sagte die junge Dame plotzlich, »und haben Sie sich nicht so! Als man Sie hierherrief, steckten Sie die Nase auch in die Luft und sagten, da? es eine uble Angelegenheit sei, mit der Sie nichts zu schaffen haben wollten ... «

»Nein, aber -«

»Und wenn Sie Ihren Urlaub hier verbrachten, wurden Sie da nicht genauso herumschnuffeln, wie ich es tue? Naturlich.«

»Ich bin ein Mann. Sie sind eine Frau.«

»Sie stellen sich vor, da? eine Frau auf einen Sessel springen und kreischen mu?, wenn sie eine Maus erblickt. Das ist ja, alles prahistorisch. Aber Sie werden mir doch keinen Korb geben? Schauen Sie, es kann von gro?er Wichtigkeit fur mich sein.«

»Inwiefern?«

»Es wird kein Berichterstatter zugelassen. Vielleicht konnte ich ein gutes Geschaft mit einer Zeitung machen. Sie haben ja keine Ahnung, wieviel sie fur eine kleine Nachricht zahlen, um ihre Spalten zu fullen.«

Ich zogerte.

Sie schob eine kleine weiche Hand in meine. »Bitte -seien Sie lieb.«

Ich ergab mich. Insgeheim wu?te ich, da? ich an der Aufgabe Gefallen finden wurde. Schlie?lich ging mich ja das moralische Verhalten des Madchens nichts an. Ich war wohl ein wenig unruhig, als mir einfiel, was der Untersuchungsrichter wohl dazu sagen wurde, aber allzu schlimm konnte das ja auch nicht werden ...

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