Wir begaben uns zunachst zu der Stelle, wo der Leichnam entdeckt worden war. Ein Wachtposten stand dort, der mich respektvoll gru?te, da er mich vom Sehen kannte, und keinerlei Fragen wegen meiner Begleiterin stellte. Vermutlich war es ihm genugende Burgschaft, da? sie in meiner Gesellschaft kam. Ich erklarte ihr, wie die Entdeckung gemacht worden war; sie horte aufmerksam zu und stellte hie und da eine kluge Frage. Dann lenkten wir unsere Schritte der Villa zu. Ich ging ziemlich vorsichtig, da es mir, um die Wahrheit zu sagen, durchaus nicht darum zu tun war, jemandem zu begegnen, und fuhrte das Madchen um die Busche herum hinter das Haus, wo die kleine Hutte stand. Ich erinnerte mich, da? M. Bex am gestrigen Abend, nachdem er abgesperrt hatte, den Schlussel dem Gendarm Marchaud zurucklie? »fur den Fall, da? Monsieur Giraud ihn verlangen wurde, wahrend wir oben sind«. Moglicherweise hatte der Beamte den Schlussel wieder an Marchaud zuruckgegeben. Ich lie? das Madchen au?er Sehweite im Gebusch und betrat das Haus. Marchaud versah seinen Dienst vor dem Eingang in den Salon. Von innen drang Stimmengewirr.
»Monsieur sucht Monsieur Hautet? Er verhort Francoise nochmals.«
»Nein«, erwiderte ich hastig, »ich brauche ihn nicht. Aber ich mochte sehr gern den Schlussel zum Schuppen haben, wenn es nicht gegen die Instruktionen versto?t.«
»Aber gewi?, Monsieur.« Er zog ihn aus der Tasche. »Hier ist er. Monsieur Hautet ordnete an, da? wir Ihnen in jeder Hinsicht an die Hand gehen sollten. Ich bitte Sie nur, mir ihn wieder zuruckzubringen, wenn Sie fertig sind. Das ist alles.«
»Selbstverstandlich.«
Es erfullte mich mit Genugtuung, da? ich wenigstens in Marchauds Augen eine ebenso wichtige Personlichkeit war wie Poirot. Das Madchen erwartete mich. Sie schrie auf, als sie den Schlussel in meiner Hand erblickte.
»Sie haben ihn bekommen!«
»Naturlich«, sagte ich kuhl. »Aber Sie wissen doch, welche Inkorrektheit ich begehe ... «
»Sie sind reizend nett, und ich werde es Ihnen nie vergessen. Kommen Sie. Man kann uns doch vom Hause aus nicht sehen?«
»Warten Sie einen Augenblick.« Ich hielt sie zuruck. »Ich werde Sie nicht hindern, wenn Sie wirklich hineingehen wollen. Aber wollen Sie es auch wirklich? Sie sahen das Grab und die Golfplatze, Sie horten alle Einzelheiten der Tat. Genugt Ihnen das nicht? Was jetzt kommt, ist grauenhaft und -unerquicklich.«
Einen Augenblick lang sah sie mich an mit einem Ausdruck, den ich nicht ganz ergrunden konnte. Dann lachte sie.
»Ach, wegen des Grauens«, sagte sie. »Gehen wir hinein.«
Schweigsam erreichten wir den Eingang des Schuppens. Ich offnete, und wir traten ein. Ich schritt auf den Leichnam zu und hob langsam die Decke, wie Bex es tags zuvor getan hatte. Da brach leises Stohnen von den Lippen meiner Begleiterin, und ich wandte mich ihr zu. Nun spiegelte sich Grauen in ihrem Antlitz, und sie zitterte am ganzen Korper. Sie hatte meinen Rat nicht horen wollen und bu?te nun dafur, da? sie ihn mi?achtet hatte. Ich fuhlte kein Erbarmen mit ihr. Nun sollte sie damit fertig werden.
»Sehen Sie«, sagte ich. »Er wurde von ruckwarts erstochen.«
Beinahe tonlos klang ihre Stimme: »Womit?«
Ich wies auf den Glaskrug. »Mit diesem Dolch.«
Plotzlich taumelte das Madchen und brach zusammen. Ich sprang ihr bei und half ihr auf einen Gartenstuhl.
»Kommen Sie schnell hinaus. Es war doch zuviel fur Sie.«
»Wasser«, flusterte sie. »Schnell, Wasser!«
Ich verlie? sie und eilte ins Haus. Glucklicherweise begegnete ich keinem der Dienstmadchen und konnte unbemerkt ein Glas Wasser holen, dem ich einige Tropfen Brandy aus meiner Reiseflasche beimengte. Wenige Minuten spater war ich wieder zuruck. Das Madchen sa? noch, wie ich es verlassen hatte, aber einige Schluck Wasser mit Brandy hatten wunderbar belebende Wirkung.
»Schnell, schnell, fuhren Sie mich fort von hier!« bat sie schaudernd.
Ich stutzte sie, geleitete sie ins Freie und stie? die Tur hinter mir zu. Dann atmete sie tief.
»Jetzt ist es mir besser. Oh, es war schrecklich! Weshalb lie?en Sie mich hineingehen?«
Das war so echt weiblich, da? ich ein Lacheln nicht unterdrucken konnte. Insgeheim freute mich ihr Zusammenbruch. Er bewies, da? sie nicht ganz so gefuhllos war, wie ich ursprunglich gedacht hatte. Schlie?lich war sie fast noch ein Kind, und die Neugierde kam wahrscheinlich von ihrer Unbesonnenheit.
»Wie Sie wissen, versuchte ich alles, um Sie davon abzuhalten«, sagte ich sanft.
»Ich glaube, Sie taten das wirklich. Und nun leben Sie wohl.«
Sie wandte mir den Rucken zu.
Ich folgte ihr hastig ein oder zwei Schritte.
»Horen Sie, so konnen Sie nicht fortgehen - so allein. Sie sind dessen noch nicht fahig. Ich bestehe darauf, Sie nach Merlinville zuruckzubegleiten.«
»Unsinn. Ich fuhle mich schon ganz wohl.«
»Und wenn Sie noch einmal ohnmachtig werden? Nein, ich gehe mit Ihnen.«
Aber dagegen wehrte sie sich energisch. Endlich setzte ich durch, da? ich sie bis in die Nahe von Merlinville begleiten durfte. Wir gingen den Weg zuruck, den wir gekommen waren, am Grabe vorbei, und machten einen Umweg, um die Stra?e zu umgehen. Als wir die ersten verstreut liegenden Geschaftsladen erreichten, blieb sie stehen und streckte mir die Hand entgegen.
»Leben Sie wohl, und noch vielen Dank fur die Begleitung.«
»Fuhlen Sie sich wirklich wieder ganz wohl?«
»Vollkommen, danke schon. Ich hoffe, da? Ihnen keine Unannehmlichkeiten daraus erwachsen werden, da? Sie mir so gefallig waren ... «
Leichthin verwarf ich diesen Gedanken.
»Dann leben Sie wohl.«
»Auf Wiedersehen«, verbesserte ich. »Da Sie sich hier aufhalten, werden wir uns wieder treffen.«
Sie lachelte mir zu: »Sicher. Auf Wiedersehen also.«
»Einen Augenblick noch - und Ihre Adresse?«
»Oh, ich wohne im Hotel du Phare. Es ist ein kleiner, aber ganz guter Gasthof. Besuchen Sie mich morgen.«
»Ich werde so frei sein«, sagte ich, vielleicht eifriger als notig.
Ich sah ihr nach, bis sie meinen Blicken entschwand, und kehrte dann zur Villa zuruck. Es fiel mir ein, da? ich die Tur des Schuppens nicht versperrt hatte. Glucklicherweise hatte niemand mein Versehen bemerkt, und ich zog den Schlussel ab, nachdem ich das Versaumte nachgeholt hatte, und gab ihn dem Gendarm zuruck. Und als ich damit beschaftigt war, kam mir plotzlich m den Sinn, da? mir Cinderella zwar ihre Adresse gegeben hatte, da? ich aber noch immer ihren Namen nicht wu?te.
9
Im Salon traf ich den Untersuchungsrichter dabei an, Auguste, den alten Gartner, zu verhoren. Poirot und der Kommissar begru?ten mich, dieser durch eine hofliche Verbeugung, jener durch ein Lacheln. Leise schlich ich zu einem Sessel. So unverdrossen und bis zum Au?ersten genau M. Hautet sich auch ins Zeug legte, es gelang ihm doch nicht, irgend etwas von Belang zu entdecken.
Auguste gab zu, da? die Gartenhandschuhe ihm gehoren. Er trug sie, wenn er eine bestimmte Art Primeln pflanzte, die manchen Menschen schadlich war. Er konnte nicht angeben, wann er sie zuletzt getragen habe. Keinesfalls habe er sie vermi?t. Wo sie aufbewahrt werden? Manchmal hier, manchmal dort. Der Spaten war gewohnlich in der kleinen Geratehutte zu finden. War sie versperrt? Naturlich war sie versperrt. Wo befand sich der Schlussel? Parbleu, selbstverstandlich an der Tur. Es gebe dort nichts Wertvolles zu stehlen. Wer habe an Banditen oder Morder gedacht? Zur Zeit von Madame la Vicomtesse pflegten solche Dinge nicht vorzukommen.
Als M. Hautet merken lie?, da? er mit ihm fertig sei, zog sich der alte Mann zuruck, nicht ohne bis zuletzt