»Auch nicht, wenn es sich erweisen sollte, da? diese Bella Duveen Monsieur Renauld mehr als eine Freundin war?«
»Oh!« sagte Stonor. »Jetzt begreife ich. Aber ich wurde meinen letzten Dollar wetten, da? Sie unrecht haben. Der alte Herr kummerte sich um keine Schurze. Er vergotterte nur seine eigene Gattin. Sie waren das glucklichste Ehepaar, das ich kannte «
Freundlich schuttelte M. Hautet den Kopf.
»Monsieur Stonor, wir haben einen sicheren Beweis -einen Liebesbrief dieser Bella an Monsieur Renauld, in dem sie ihm vorwirft, da? er ihrer mude geworden sei. Uberdies haben wir weitere Beweise, da? er vor seinem Ableben eine Liebschaft mit einer Franzosin, einer Madame Daubreuil hatte, die in einer benachbarten Villa wohnt.«
Des Sekretars Augen weiteten sich: »Halten Sie ein, bitte. Sie sind falsch unterrichtet. Ich kannte Paul Renauld. Was Sie eben sagten, ist glatt unmoglich. Es mu? eine andere Erklarung dafur geben.«
Der Untersuchungsrichter zuckte die Achseln: »Was fur eine andere Erklarung ware da moglich?«
»Was veranla?t Sie, anzunehmen, dass es sich um eine Liebesgeschichte handele?«
»Madame Daubreuil hatte die Gewohnheit, ihn in den Abendstunden hier zu besuchen. Auch brachte Madame Daubreuil, seit Renauld die Villa Genevieve bewohnte, gro?e Summen in Banknoten auf ihr Konto. Alles zusammen belauft sich auf viertausend Pfund Ihres englischen Geldes.«
»Ich vermute, da? das richtig ist«, sagte Stonor ruhig. »Ich ubermittelte ihr, auf seinen Wunsch, diese Summen in Noten. Aber es war keine Liebesgeschichte.«
»Und was sonst konnte es gewesen sein?«
»Erpressung«, sagte Stonor scharf, und schlug krachend auf den Tisch. »Das war es.«
»Oh!« rief der Untersuchungsrichter uberrascht.
»Erpressung«, wiederholte Stonor. »Der alte Mann wurde geschropft - und zwar ganz ausgiebig. Viertausend Pfund in zwei Monaten! Hui! Ich sagte Ihnen vorhin, da? es ein Geheimnis um Renauld gab. Offenbar wu?te Madame Daubreuil genug daruber, um einen Druck auf ihn ausuben zu konnen.«
»Das ware denkbar«, rief der Kommissar erregt. »Entschieden ware das denkbar.«
»Denkbar«, rief Stonor. »Es ist vollig sicher. Haben Sie Madame Renauld uber diesen Teil der Angelegenheit ausgefragt?«
»Nein, Monsieur, wir wollten ihr keinen Kummer bereiten und vermieden es.«
»Kummer? Sie hatte Ihnen ins Gesicht gelacht! Ich sage Ihnen, sie und Renauld waren ein Paar, wie man kaum unter Hunderten eines findet.«
»Ah, das bringt mich auf etwas anderes«, sagte M. Hautet. »Zog Monsieur Renauld Sie wegen seines Testaments ins Vertrauen?«
»Daruber wei? ich alles - ich nahm es zum Notar mit, nachdem er es niedergeschrieben hatte. Ich kann Ihnen den Namen seines Rechtsanwaltes nennen, falls Sie Einblick nehmen wollen. Es liegt dort. Es ist ganz einfach. Die Halfte seines Vermogens auf Lebzeiten seiner Frau, die andere Halfte seinem Sohn. Einige Legate. Ich glaube, auch fur mich einige tausend.«
»Wann wurde dieses Testament verfa?t?«
»Oh, ungefahr vor eineinhalb Jahren.«
»Wurde es Sie sehr wundern, wenn Sie erfuhren, da? Monsieur Renauld vor nicht ganz vierzehn Tagen noch ein Testament verfa?te?«
Stonor war sichtlich sehr uberrascht: »Davon hatte ich keine Ahnung. Was enthalt es?«
»Sein ganzes ausgedehntes Vermogen vermacht er uneingeschrankt seiner Gattin. Des Sohnes wird keine Erwahnung getan.«
Mr. Stonor lie? einen Pfiff horen: »Ich finde das sehr hart fur den Jungen. Seine Mutter vergottert ihn zwar, aber fur die Welt sieht es beinahe wie mangelndes Vertrauen von Seiten des Vaters aus. Das wird seine Eitelkeit schwer treffen. Aber auch das bestatigt, was ich Ihnen sagte: da? Renauld und seine Frau im besten Einvernehmen lebten.«
»Sehr richtig, sehr richtig«, sagte M. Hautet. »Vielleicht werden wir unsere Gedankengange nach mancher Richtung umstellen mussen. Naturlich haben wir nach Santiago gekabelt und erwarten jeden Augenblick die Antwort. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dann alles klar und offen sein. Andererseits mu?te doch, wenn Ihre Annahme auf Erpressung richtig ist, Madame Daubreuil in der Lage sein, uns wertvolle Aufschlusse geben zu konnen.«
Hier warf Poirot ein: »Monsieur Stonor, Ist Masters, der englische Chauffeur, schon lange bei Monsieur Renauld?«
»Uber ein Jahr.«
»Haben Sie eine Ahnung, ob er je in Sudamerika war?«
»Ich wei? bestimmt, da? er nicht dort war. Ehe er in die Dienste M. Renaulds trat, war er viele Jahre bei einer Familie in Gloucestershire, die mir wohlbekannt ist.«
»Sie verburgen sich also dafur, da? bei ihm jedes Verdachtsmoment ausscheidet?«
»Unbedingt.«
Poirot schien etwas verstimmt.
Unterdessen hatte der Richter Marchaud rufen lassen.
»Bestellen Sie Madame Renauld, ich lie?e sie bitten, sie einige Augenblicke sprechen zu durfen. Ich werde sie oben aufsuchen.«
Marchaud gru?te und verschwand.
Wir warteten einige Minuten, dann offnete sich zu unserem Staunen die Tur, und Mme. Renauld betrat totenbleich, in tiefe Trauer gekleidet, das Zimmer.
M. Hautet ruckte ihr einen Stuhl zurecht und erging sich in den nachdrucklichsten Beteuerungen, die sie ruhig entgegennahm. Stonor ergriff ihre Hand voll beredten Mitgefuhls. Worte fehlten ihm. Mine. Renauld wandte sich M. Hautet zu: »Sie wollten mich etwas fragen?«
»Mit Ihrer Erlaubnis, Madame. Ich horte, Ihr Gatte sei von Geburt Franke-Kanadier gewesen. Konnen Sie uns irgend etwas uber seine Jugend oder seine Erziehung mitteilen?«
Sie schuttelte den Kopf: »Mein Gatte war, was ihn selbst betraf, immer sehr zuruckhaltend, Monsieur. Er kam aus Nordwest, soviel ich wei?; aber ich glaube, er hatte eine ungluckliche Kindheit, da er niemals davon sprechen wollte. Wir lebten ausschlie?lich in der Gegenwart und der Zukunft.«
»Gab es irgendein Geheimnis in seiner Vergangenheit?«
Mme. Renauld lachelte kaum merklich und schuttelte den Kopf: »Sicher nichts Romantisches, Monsieur.«
M. Hautet lachelte nun auch: »Wahrhaftig, wir durfen uns nicht erlauben, melodramatisch zu werden. Da ware noch eine Sache -« Er zogerte.
Stonor platzte ungestum dazwischen.
»Die Herren haben sich eine sehr seltsame Idee in den Kopf gesetzt, Madame. Sie bilden sich tatsachlich ein, da? Monsieur Renauld in Beziehungen zu einer Madame Daubreuil stand, die, , wie es hei?t, in der Nahe wohnt.«
Mme. Renaulds Wangen farbten sich blutrot. Sie warf den Kopf zuruck, kniff die Lippen zusammen, und ihr Gesicht zuckte. Stonor betrachtete sie erstaunt, doch M. Bex neigte sich vor und sagte liebenswurdig: »Es tut uns leid. Ihnen Kummer zu verursachen, Madame, aber haben Sie irgendeinen Grund zur Annahme, da? Madame Daubreuil die ... hm ... Geliebte Ihres Gatten war?«
Schluchzend verbarg Mme. Renauld ihr Gesicht in den Handen. Ihre Schultern zuckten wie im Krampf. Endlich hob sie das Haupt und sagte schwach: »Vielleicht war sie es.«
Nie in meinem Leben habe ich etwas gesehen, was der unerhorten Besturzung gleichkam, die in Stonors Gesicht trat. Er war wie aus allen Wolken gefallen.
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Ich kann nicht sagen, wie sich das Gesprach weiter entwickelt hatte, wenn nicht in diesem Augenblick die