»Wenn wir Gluck haben«, rief er mir uber die Schulter zu, »Ist Mademoiselle Marthe im Garten. Ich mochte sie sprechen, wurde aber ungern einen formellen Besuch in der Villa Marguerite machen. Ah, alles geht gut, da ist sie. Mademoiselle! Einen Augenblick, bitte.«

Ich hatte mich eben zu ihm gesellt, als Marthe Daubreuil, leicht betroffen, seinem Ruf folgte und zur Hecke trat.

»Nur auf ein Wortchen, Mademoiselle, wenn Sie erlauben?«

»Gewi?, Monsieur Poirot.«

Trotz ihrer Zustimmung blickten ihre Augen angstlich. »Mademoiselle, erinnern Sie sich noch, da? Sie mir nachliefen, nachdem ich mit dem Untersuchungsrichter in Ihrem Hause gewesen war? Sie fragten, ob jemand des Verbrechens verdachtigt werde.«

»Und Sie sagten, ja, zwei Chilenen.« Ihre Stimme klang ein wenig atemlos, und sie griff mit der linken Hand verstohlen nach dem Herzen.

»Wurden Sie die Frage nochmals an mich richten, Mademoiselle?«

»Wie meinen Sie das?«

»Wenn Sie die Frage nochmals an mich richten wurden, fiele die Antwort anders aus. Es wird jemand verdachtigt -aber kein Chilene.«

»Wer denn?« Schwach entrang die Frage sich ihren Lippen.

»Monsieur Jack Renauld.«

»Was?« Das war ein Schrei. »Jack? Unmoglich. Wer wagt es, ihn zu verdachtigen?«

»Giraud.«

»Giraud.« Des Madchens Gesicht war aschfahl. »Ich furchte diesen Mann. Er ist grausam. Er wird - er wird -« sie brach ab. Mut und Entschlossenheit sprachen aus ihren Zugen. In diesem Augenblick erkannte ich ihre Kampfnatur. Auch Poirot beobachtete sie gespannt.

»Sie wissen doch naturlich, da? er in der Mordnacht hier war?« fragte er.

»Ja«, gab sie mechanisch zuruck. »Er sagte es mir.«

»Es war unklug, die Tatsache verschweigen zu wollen.«

»Ja ja«, entgegnete sie ungeduldig. »Aber wir konnen unsere Zeit nicht mit Bedauern vergeuden. Wir mussen etwas ausfindig machen, um ihn zu retten. Naturlich ist er unschuldig, aber das genugt einem Manne wie Giraud nicht, der auf seinen Ruhm bedacht ist. Er mu? jemanden verhaften, und dieser Jemand wird Jack sein.«

»Die Tatsachen werden gegen ihn sprechen«, sagte Poirot. »Sind Sie sich daruber klar?« .

Sie sah ihm gerade ins Gesicht und sprach die gleichen Worte, die ich schon einmal, im Wohnzimmer ihrer Mutter, von ihr gehort hatte.

»Ich bin kein Kind, Monsieur. Ich kann tapfer sein und den Tatsachen ins Gesicht sehen. Er ist unschuldig, und wir mussen ihn retten.«

Sie sprach voll verzweifelter Energie, und dann schwieg sie und runzelte nachdenklich die Stirn.

»Mademoiselle«, sagte Poirot und betrachtete sie scharf, »gibt es nicht irgend etwas, was Sie uns verheimlichen?«

Sie nickte verwirrt: »Ja, es gibt etwas, aber ich wei? nicht, ob Sie mir Glauben schenken werden - es scheint so sonderbar.«

»Erzahlen Sie es uns auf jeden Fall, Mademoiselle.«

»Es handelt sich darum: Monsieur Giraud lie? mich holen, um zu sehen, ob nicht vielleicht ich den Mann dort drinnen identifizieren konne.« Sie wies mit dem Kopf nach dem Schuppen. »Ich konnte es nicht. Wenigstens im Augenblick konnte ich es nicht. Aber seither dachte ich nach -

«

»Und?«

»Es scheint so seltsam, und doch bin ich dessen fast sicher. Es war am Morgen des Tages, an dem Monsieur Renauld ermordet wurde. Ich ging hier im Garten umher, als der Larm streitender Mannerstimmen an mein Ohr drang. Ich bog die Straucher auseinander und blickte hindurch. Einer der Manner war Monsieur Renauld, der andere war ein Landstreicher, ein furchtbar aussehendes Individuum, in schmutzigen Lumpen. Manchmal sprach er weinerlich, manchmal drohend. Ich vermutete, da? er Geld verlangte, aber in diesem Augenblick rief Mama mich ins Haus, und ich mu?te gehen. Das ist alles, nur - ich glaube bestimmt, da? der Landstreicher und der Mann im Schuppen ein und derselbe sind.«

Poirot rief erstaunt: »Aber warum sagten Sie das nicht gleich, Mademoiselle?«

»Weil mir zuerst nur schien, als kame mir das Gesicht irgendwie bekannt vor. Der Mann war anders gekleidet und gehorte sicherlich einer besseren Gesellschaftsklasse an. Aber sagen Sie, Monsieur Poirot, ist es moglich, da? dieser Landstreicher Monsieur Renauld uberfiel und ihn totete und ihn dann seiner Kleider und seines Geldes beraubte?«

»Das ware eine Idee, Mademoiselle«, sagte Poirot langsam. »Es la?t allerdings noch viele Fragen offen, aber es ware sicher eine Idee. Ich will daruber nachdenken.«

Eine Stimme rief vom Hause her.

»Mama«, flusterte Marthe. »Nun mu? ich gehen.« Und sie schlupfte zwischen den Baumen hindurch.

»Komm«, sagte Poirot, nahm mich beim Arm, und wir steuerten auf die Villa zu.

»Was denkst du wirklich?« fragte ich neugierig. »War das eine wahre Erzahlung oder eine Erfindung des Madchens, um den Verdacht von ihrem Liebsten abzulenken?«

»Es ist eine merkwurdige Geschichte«, sagte Poirot, »aber ich glaube, da? sie vollkommen wahr ist. Zufallig erfuhren wir noch in anderer Hinsicht durch Mademoiselle Marthe die Wahrheit - wahrend, nebenbei gesagt, Jack Renauld log. Bemerktest du sein Zogern, als ich ihn fragte, ob er Marthe Daubreuil in jener Nacht gesehen habe? Er zogerte und bejahte dann. Ich hatte gleich den Verdacht, da? er log. Es war mir wichtig, Marthe Daubreuil zu sprechen, ehe er sie instruieren konnte. Vier kleine Worte gaben mir die Auskunft, die ich brauchte. Als ich sie fragte, ob sie wisse, da? Jack Renauld in jener Nacht hier war, antwortete sie, ,er sagte es mir'. Nun, Hastings, was tat Jack Renauld wirklich an jenem ereignisreichen Abend hier, wenn er Mademoiselle Marthe nicht besuchte?«

Die Frage uberraschte mich.

»Aber Poirot«, rief ich besturzt, »du wirst doch nicht am Ende glauben, da? ein Mensch wie Jack seinen eigenen Vater ermordet.«

»Mein Freund«, sagte Poirot, »du verharrst weiter in unglaublicher Sentimentalitat! Ich sah Mutter, die ihre kleinen Kinder mordeten, um sich in den Genu? einer Versicherungssumme zu setzen! Demnach kann man alles glauben.«

»Und der Beweggrund?«

»Geld selbstverstandlich. Vergi? nicht, da? Jack Renauld annahm, er werde nach seines Vaters Tod in den Besitz von dessen halbem Vermogen gelangen.«

»Aber der Landstreicher, was hat der dabei zu tun?«

Poirot zuckte die Achseln.

»Giraud wurde sagen, er war ein Mitschuldiger - ein Apache, der dem jungen Renauld half, das Verbrechen zu begehen, und der dann gelegentlich aus dem Wege geraumt wurde.«

»Aber das Haar auf dem Dolch? Das Frauenhaar?«

»Ah«, sagte Poirot und lachelte behaglich. »Das ist die Krone von Girauds kleinen Scherzen. Ihm zufolge ist es gar kein Frauenhaar. Denk daran, da? viele junge Leute ihr Haar von der Stirn bis in den Nacken mit Pomade oder Haarwasser straff zuruckbursten, damit es glatt liegt. Folglich sind einige dieser Haare bemerkenswert lang.«

»Und du glaubst das auch?«

»Nein«, sagte Poirot mit merkwurdigem Lacheln. »Denn ich wei?, da? dies Haar von einer Frau ist - und mehr noch -von welcher Frau!«

»Madame Daubreuil«, sagte ich zuversichtlich.

»Vielleicht«, meinte Poirot abwartend und sah mich spottisch an.

»Was werden wir jetzt beginnen?« fragte ich, als wir die Halle der Villa Genevieve betraten.

»Ich will Jack Renaulds Habseligkeiten durchsuchen. Deshalb schaffte ich ihn fur einige Stunden aus dem Wege.«

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