weder ein Schlurfen noch ein Kratzen zu horen. Brown Johnson (oder wie die Leute in Bonchurch ihn nannten) war entweder nicht da oder er schlief. Es gab keinen Grund, Angst zu haben.

Wer hat schon Angst vor einer gro?en braunen Ratte ?

Ich sah nach Danny, der fest schlief. Sein Haar klebte in Strahnen auf seiner Stirn. Ich gab ihm einen Kuss, woraufhin er sich umherwalzte und »Mom« sagte.

Mom, du armer kleiner Kerl. Mom ist auf und davon, zusammen mit Raymond. Mom will nichts mehr von dir wissen.

Die Tur zu Liz' Zimmer war geschlossen. Einen Sekundenbruchteil lang war ich versucht, sie zu offnen und ihr eine gute Nacht zu wunschen, aber dann entschied ich mich dagegen. Vielleicht wurde sie es falsch auffassen. Ich fand sie hubsch und sexy, und ich liebte ihre nackten Zehen und diesen Geruch einer Neunzehnjahrigen, aber ich wollte sie nicht anmachen, wenn sie es nicht wollte. Dafur genoss ich ihre Gesellschaft viel zu sehr, von ihrem Chili ganz zu schweigen. Der Gedanke, den Sommer ohne sie zu verbringen, hatte mit einem Mal etwas Tristes.

Ich zog mich aus, wusch mich, putzte mir die Zahne und legte mich erschopft schlafen. Im gleichen Moment wunschte ich mir, dass ich das Bett zuvor mit mehr Sorgfalt gemacht hatte. Das Laken war voller Falten, in denen sich uberall Toastkrumel fanden. Ich versuchte, eine ertragliche Position zu finden, aber schlie?lich musste ich wieder aufstehen und das Bett neu beziehen.

Ich war noch immer damit beschaftigt, das Bettlaken unter die Matratze zu stecken, als es an meiner Tur klopfte.

»David? Ich bin's, Liz.«

»Augenblick«, sagte ich und legte mich wieder hin, um sie nicht sehen zu lassen, dass ich nackt war. »Okay, du kannst reinkommen.«

Sie betrat mein Zimmer und schloss schnell die Tur hinter sich, als furchte sie sich vor etwas, das hinter ihr her war. Ihr Haar hatte sie noch immer mit dem roten Seidenschal zusammengebunden, sonst trug sie ein knappes T-Shirt und einen winzigen wei?en Spitzenslip. Sie setzte sich auf den Bettrand, aber ihr Gesicht hatte einen angstlichen Ausdruck, keinen verfuhrerischen.

»Irgendetwas rennt auf dem Dachboden hin und her, ich hore es. Das muss diese Ratte sein.«

»Heute Nacht habe ich noch nichts gehort«, log ich.

»Ich bin sicher, dass es eine Ratte ist«, beteuerte sie. »Sie rennt direkt uber meinem Zimmer von einer Seite zur anderen.«

»Ich kann nichts dagegen machen, jedenfalls nicht im Moment. Der Kerl von Rentokil kommt morgen her.«

»Na gut. Ich wollte dich nicht storen, aber ich kann Ratten nicht ausstehen. Die losen bei mir Gansehaut aus.«

»Mir geht's nicht anders. Sag mir Bescheid, wenn du wieder was horst. Ich konnte nach oben gehen und versuchen, sie mit einem Schurhaken zu erschlagen.«

Tolle Aussicht, dachte ich bei mir. Vor allem nach dem Fiasko von heute Morgen. Was mich angeht, werde ich mich so weit von Brown Johnson fern halten, wie es nur geht.

Liz zogerte, dann sagte sie: »Hor mal ... ich wei?, dass sich das bestimmt wie ein Vorwand anhort, aber Ratten machen mir entsetzliche Angst. Meinst du, ich konnte heute Nacht bei dir schlafen? Ich lege auch ein Kissen zwischen uns.«

»Na klar.« Es machte mir nichts aus. Eigentlich gefiel mir der Vorschlag sogar ausgesprochen gut. Ich hatte seit Monaten nicht mehr mit einer Frau in einem Bett gelegen. Dabei ging es mir nicht mal so sehr um die >Wagenwartung<, sondern ums Reden.

Es ist erstaunlich, wie schnell man es leid wird, alleine zu lachen, zu lesen, Musik zu horen und zu essen. Aber allein zu schlafen ist am allerschlimmsten. Man konnte genauso gut im Sarg liegen, in die Dunkelheit grinsen, mit seinem Schwanz spielen und auf Gott warten.

»Das geht schon klar«, sagte ich. »Wenn du solche Angst hast.«

»Ich verspreche dir auch, dass ich morgen fruh aus dem Zimmer verschwinde, bevor Danny aufwacht.«

Sie schloss die Tur, hob das Laken und legte sich neben mir ins Bett. Ich rutschte zur Seite, bis zwischen uns gut zwanzig Zentimeter Abstand waren. Zwar legte ich beide Arme eng an meinen Korper, aber es fiel mir sehr schwer, die Nahe, die Warme, das Parfum und die nervos machende Anwesenheit einer hubschen jungen Frau zu ignorieren.

»Wann hast du es gehort?«, fragte ich.

»Als du die Treppe heraufkamst. Sie rannte quer uber den

Dachboden. Es klang unglaublich gro? und schwer, aber nachts scheinen Gerausche lauter als sonst, oder?«

Ich sah zur Decke. »Ich glaube, sie ist auch gro? und schwer.«

»Hor auf, ich kriege Angst.«

Seite an Seite lagen wir da und lauschten. Wir horten, wie die Uhr unten im Flur halb eins schlug und drau?en eine nachtliche Brise aufkam, die dann durchs Haus strich und die verschlossenen Turen in ihren Scharnieren rappeln lie?.

»Wir sollten das Licht ausmachen und versuchen, ein wenig zu schlafen«, schlug ich nach einer Weile vor.

Dann lagen wir in der Finsternis da. In Bonchurch gab es keine Stra?enlaternen, im Garten war keine Lampe, und der Mond schien auch nicht, sodass die Dunkelheit nahezu vollkommen war. Es war so, als habe man einem einen schwarzen Samtbeutel uber den Kopf gestulpt. Ich war mir auf eine unertragliche Weise Liz' Busen bewusst, der gegen meine rechte Schulter druckte. Auch wenn sie ein T-Shirt trug, konnte ich spuren, wie sanft und schwer ihr Busen war. Jetzt, da sie keines ihrer weiten Baumwollkleider trug, die ihre Figur mehr oder weniger verborgen hatten, konnte ich nicht daruber hinwegsehen, dass sie fur ihre Korpergro?e und Statur au?erst gro?e Bruste hatte. So verfuhrerisch ihr Gesicht auch gewesen war, so waren Janies Bruste im Vergleich Muckenstiche gewesen, was nachvollziehbar machte, warum mir Liz' Bruste so sehr auffielen.

»Ich glaube, dass uns das Schicksal immer eine zweite Chance gibt«, sagte Liz. »Manchmal sind wir blind oder zu beschaftigt, um es wahrzunehmen, das ist alles. Findest du nicht auch, dass es eine Tragodie ist, wenn zwei Menschen, die zusammen wirklich glucklich sein konnten, auf der Stra?e aneinander vorbeigehen — nur Zentimeter voneinander entfernt - und es niemals wissen? Oder wenn zwei Menschen uber Tausende von Kilometern immer naher aufeinander zukommen, und dann verpasst einer von ihnen seinen Zug, weil er seine Zeitung hat fallen lassen und zuruckgegangen war, um sie aufzuheben. Dadurch begegnen sie sich niemals.«

»So was muss ja standig passieren, das ist das Wahrscheinlichkeitsgesetz.«

»Wie sind wir beide zum Beispiel zusammengekommen?«, fragte Liz. »Du hattest anderswo einen Job fur den Sommer bekommen konnen. Du hattest dein Geschaft weiterfuhren konnen, du hattest mit Janie zusammenbleiben konnen. Und es war nur ein Zufall, dass mir jemand diese Adresse hier gegeben hat.«

»Schicksal«, sagte ich und lachelte, auch wenn sie es nicht sehen konnte. »Und die eine Sache, die uns immer vorantreibt ... dieser seltene und glorreiche Augenblick, wenn sich das Leben als doch nicht so mies erweist.«

Sie streckte ihre Hand nach mir aus, und ihre Fingerspitzen beruhrten in der Dunkelheit meine Wange. Sie betastete meine Augen und Nase und Lippen, als sei sie blind. »Ich liebe es, Menschen im Dunkeln zu beruhren. Sie fuhlen sich ganz anders an, die Proportionen andern sich, je nachdem, wie man jemanden anfasst. Vielleicht verandern sie sich ja wirklich, wer kann das schon sagen? Du konntest dich durchaus in irgendein entstelltes Monster verwandeln. Man muss das Licht schon sehr schnell anmachen, um das finstere Gesicht eines Menschen erblicken zu konnen - also das Gegenteil von dem freundlichen Gesicht, das sie aufsetzen, um alle glauben zu lassen, dass sie ganz gewohnlich und normal sind.«

»Denkst du, dass ich mich in ein Monster verwandle?«

»Vielleicht. Aber vielleicht verwandle ich mich ja auch in ein Monster. Was wurdest du dann machen?«

»Wie ein Wahnsinniger wegrennen und hinter mir eine Durchfallspur herziehen.«

Sie kusste mich. »Sei nicht eklig.«

Ich erwiderte ihren Kuss. »Ich werde so lange nicht eklig sein, wie du dich nicht in ein Monster verwandelst.

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