Parkhurst als Assistent des Gefangnisgeistlichen versetzt. Nach nur einem Jahr wurde er von einem Gefangenen erstochen, der sagte, er sei der Teufel, dessen Augen in der Dunkelheit rot gluhten.«

»Mein Gott«, sagte ich wieder.

»Ja ... Es war ein schreckliches Ende.«

»Und was ist mit dem jungen Mr. Billings? Was konnen Sie mir uber ihn erzahlen?«

»Nur wenig, furchte ich. Mr. Claringbulls Nachfolger war Geoffrey Parsley, der allem Anschein nach ein sehr direkter Kerl war, der sich mehr fur Hunde und neue Kartoffeln interessierte als fur das Werk des Teufels. Er nahm von den Geruchten uber Fortyfoot House kaum Notiz. Einmal notierte er allerdings in seinem Tagebuch, er sei an einem Sommermorgen dem jungen Mr. Billings und Kezia Mason auf dem

Weg in die Stadt begegnet und habe einen au?erst kalten Hauch gefuhlt, als sie an ihm vorubergingen. >Als sei der Fischwagen voller Eis und Heilbutt<«

»Mrs. Kemble sprach davon, dass der junge Mr. Billings einen Sohn hatte.«

»Das wurde erzahlt. Kezia Mason wurde in hochschwangerem Zustand gesehen, und zu der Zeit, da man annehmen konnte, dass die Geburt unmittelbar bevorstand, war die Kutsche eines Doktors wiederholt vor dem Fortyfoot House gesehen worden. Aber das Baby hat niemand je zu Gesicht bekommen.«

»Was ist mit Brown Jenkin?«, fragte ich. »Mrs. Kemble sagte etwas in der Art, dass Brown Jenkin und der Sohn des jungen Mr. Billings - sofern er je einen hatte - ein und dieselbe Person gewesen sein konnten.«

»Das ist mir auch zu Ohren gekommen. Aber Brown Jenkin soll doch angeblich eine Ratte sein, oder nicht? Ganz egal, wie missgestaltet ein Kind auch ist, man wird es bestimmt nicht mit einer Ratte verwechseln konnen.«

»Wird das Kind nicht in den Aufzeichnungen erwahnt?«

»Mit keinem Wort.«

»Es muss aber doch irgendwelche Aufzeichnungen uber gestorbene Kinder geben.«

Dennis Pickering nickte mit finsterer Miene. »Oh, ja. Naturlich. Daruber hat Geoffrey Parsley mehr als genug geschrieben. Das war ... warten Sie ...«

»1886«, half ich ihm auf die Sprunge. »Jedenfalls steht das auf allen Grabsteinen.«

»Ja, sie haben Recht, das muss 1886 gewesen sein. Nicht nur auf der Insel hat man daruber gesprochen. Dr. Barnardo begab sich personlich ins Fortyfoot House, um zu sehen, ob er irgendetwas tun konnte, doch alle Kinder starben.«

»Haben Sie eine Ahnung, warum sie starben? Auf den Grabsteinen steht daruber nichts geschrieben.«

Pickering schuttelte knapp den Kopf. »Keine Ahnung. Es gab damals alle moglichen Epidemien. Wir vergessen gerne, wie anfallig die Menschen seinerzeit fur Krankheiten waren, die wir heute als nebensachlich betrachten. Vor dem Krieg war mein Gro?vater mit Dr. Leonard Buxton befreundet, dem Quastor des Exeter College. 1939 starben Buxton und seine Frau innerhalb von nicht einmal 36 Stunden an Lungenentzundung, obwohl sie beide erst um die vierzig waren. Heute ist so etwas unvorstellbar.«

Wieder schuttelte er seinen Kopf. »Ich glaube, es wurde davon gesprochen, dass die Kinder durch Scharlach dahingerafft wurden. Der junge Mr. Billings rief einen Spezialisten aus London herbei. Er machte viel Wirbel darum, wohl, um allen im Distrikt zu zeigen, dass er den Kindern die beste Hilfe bot. Aber dieser Spezialist war laut Geoffrey Parsley ein hochst ratselhafter Typ. Ein sehr verschwiegener Mann namens Mazurewicz, der kaum ein Wort Englisch sprach und die untere Halfte seines Gesichts stets mit etwas bedeckte, das wie ein verschmutzter wei?er Verband aussah. Ob er nun ein Spezialist war oder nicht - die Kinder starben alle innerhalb einer Woche und wurden neben der Kapelle von Fortyfoot House beigesetzt. Aber das wissen Sie ja. Niemand machte viel Wirbel um diese Sache. Schlie?lich war es normal, dass Kinder an solchen Krankheiten starben - auch in so gro?er Zahl. Es gab viele Internate, die sogar komplett geschlossen werden mussten, weil sich Scharlach oder Pfeiffersches Drusenfieber dort ausgebreitet hatten. Und zudem waren es Waisen aus dem East End, die keine Verwandten hatten, die sich um ihr Schicksal kummerten.«

»Mrs. Kemble sagte, der junge Mr. Billings habe schlie?lich den Verstand verloren«, warf ich ein.

»Daruber gibt es auch viele verschiedene Geschichten. Die Leute sagten, dass er verschwand und wieder auftauchte. Angeblich wurde er zur gleichen Zeit an zwei Orten gesehen - in Old Shanklin Village und in Atherfield Green. Ich glaube, die Fantasie der Bewohner war ein wenig uberreizt.«

»Und was geschah mit Kezia Mason?«

»Um sie ranken sich gleichfalls zahlreiche fantastische

Schilderungen. Letztlich schien es aber nur so zu sein, dass sie vom Leben im Fortyfoot House gelangweilt war und daraufhin verschwand. Ihr Verschwinden konnte aber durchaus zum Nervenzusammenbruch des jungen Mr. Billings gefuhrt haben. Er hatte mehreren Menschen, darunter auch Mr. Claringbull, erklart, er liebe sie mehr als seinen gesunden Menschenverstand. Offenbar trank er sehr viel und nahm Morphium. Neben der Tragodie im Waisenhaus konnte der Verlust von Kezia Mason ihm den Rest gegeben haben. Er beging schlie?lich Selbstmord.«

Ich sah auf meine Uhr. Es war schon fast halb vier. Zeit, um zum Fortyfoot House zuruckzukehren und noch ein wenig Farbe abzulosen, bevor mir der Makler einen Besuch abstattete und feststellte, dass ich gar nicht dort war.

»Ich muss gehen«, sagte ich zu Pickering. »Aber ich muss unbedingt wissen, was ich unternehmen kann. Ich war schon drauf und dran, alles zu packen und abzureisen. Aber falls Sie diese Geister besanftigen konnen ...?«

»Sind Sie wirklich davon uberzeugt, dass Ihre Fantasie Ihnen keinen Streich gespielt hat?«, fragte Pickering.

»Absolut. Ich habe nicht den leisesten Zweifel.«

»Nun ... ich muss sagen, dass ich es nicht fur eine Losung halte, beim ersten Anzeichen von Geistern davonzulaufen«, sagte er. »In den meisten Fallen sind diese Geister nichts weiter als unsere eigenen Angste, die sich in visuellen Tauschungen ausdrucken. Die wenigen >echten< Geister sind vielleicht Furcht erregend, aber normalerweise harmlos. Nur wenn gewaltige und entsetzliche Schandtaten begangen worden sind, kann das Haus die Aura des Bosen annehmen. Eine Aura, die jeden bedrohen oder belasten kann, der spater in diesem Haus lebt.«

»Glauben Sie, dass das auf Fortyfoot House zutrifft?«, fragte ich ohne Umschweife.

»Ja, ich vermute schon«, erwiderte er.

»Was kann ich tun? Ich muss dort wohnen und arbeiten. Mein Sohn muss auch dort wohnen und Liz ebenfalls.«

»Ich schatze, ich konnte vorbeikommen und mich dort umsehen«, sagte er, klang aber nicht allzu begeistert.

»Das ware machbar?«, fragte ich ermutigt. »Ich kenne au?er Ihnen niemanden, an den ich mich wenden konnte. Der arme alte Harry Martin konnte mir nicht helfen, und ich glaube, Rentokil kann auch nicht wirklich etwas erreichen.«

Pickering reagierte mit einem ironischen Lacheln. »Ich hatte nicht gedacht, dass einmal der Tag kommt, an dem die Kirche um geistigen Beistand gebeten wird und es dabei nur auf den dritten Platz nach einem Rattenfanger und einem landesweit arbeitenden Kammerjager schafft.«

»Tut mir Leid. Ich habe eine Weile gebraucht, bevor ich an Geister oder Phantome oder >spirituelle Unregelma?igkeiten< glauben konnte.«

Pickering fuhrte uns durch den Flur, in dem es immer noch nach Schulessen roch. »Wie ware es heute Abend, nach dem Abendgebet?«, schlug er vor. »Halb neun?«

»Das klingt gut. Es macht Ihnen doch nichts aus, einen Blick auf den Dachboden zu werfen, oder? Ich werde auch noch eine brauchbare Taschenlampe kaufen.«

»Sie konnten es mit einem kleinen Gebet versuchen«, sagte Pickering, wahrend er uns die Haustur offnete. »Nicht nur fur sich selbst, sondern auch fur die Seelen derjenigen, die das Fortyfoot House heimsuchen.«

»Ja, ich glaube, das ist machbar.«

Er reichte erst mir die Hand, dann Danny.

Wahrend wir uber die Einfahrt gingen, fragte mich Danny: »Warum hat der Mann Staub in seine Nase getan?«

»Das war Schnupftabak. Anstatt zu rauchen, atmet man ihn ein.«

»Warum?«

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