Sonnenblumen gemachlich in der leichten Brise, und eine kleine holzerne Windmuhle quietschte unablassig vor sich hin.

Ich ging ins Cafe und sah den Tisch, an dem Mrs. Kemble sonst sa? und ihr Geld zahlte. Die verschiedenen Munzen waren ordentlich aufgeturmt worden. Es waren insgesamt wohl rund drei?ig oder vierzig Pfund, an denen sich jeder hatte bedienen konnen. Eine Tasse mit kaltem Tee stand au?erdem auf dem Tisch.

»Mrs. Kemble?«, rief ich, erhielt aber keine Antwort. »Mrs. Kemble?« Wieder nichts. Ich lief wieder nach drau?en, wo Liz auf der Mauer sa? und Danny von den Papageien im Tropical Bird Park erzahlte. »Du hattest die Aras sehen mussen, die sind schrecklich. Und ein Papagei sagt immer: >Benimm dich.< Der kann einen wirklich verruckt machen.«

»Kann ich morgen mitkommen?«, fragte Danny.

»Es ist niemand hier«, sagte ich zu Liz. »Sie hat ihr Geld auf dem Tisch liegen lassen, aber von ihr selbst fehlt jede Spur.«

»Vielleicht musste sie noch irgendetwas einkaufen gehen«, uberlegte Liz. »Brot. Oder Salatdressing. Oder irgendwas anderes.«

»Kann ich denn morgen mit zu den Vogeln gehen?«, nervte Danny noch immer.

»Vielleicht am Freitag«, antwortete ich, wahrend ich den Strand absuchte. Niemand war zu sehen, von einem einsamen

Fischer in einem kleinen Boot weit drau?en auf dem Meer abgesehen.

»Das ist sehr seltsam«, sagte ich.

Liz sah mich an. »Was sollen wir machen? Bis nach Ventnor zum nachsten Pub gehen?«

»Ich schatze, wir mussen uns aus Mrs. Kembles Kuhlschrank selbst bedienen und ihr das Geld hinlegen.«

»Eine gute Idee.« Sie zog einen der roten Plastikstuhle nach hinten, setzte sich und zog ihre Schuhe aus. »Sieh dir das an. Doppelt so gro? wie normal. Ich hatte die Schuhe in der nachstkleineren Gro?e nehmen sollen.«

Ich ging zum Kuhlschrank und holte zwei Harp Lager und eine Coca-Cola heraus, offnete sie und nahm sie mit nach drau?en. Von unserem Tisch aus beobachteten wir die Mowen, wie sie ihre Kreise zogen, und sahen zu, wie die Sonne sich allmahlich dem Horizont naherte. In der Ferne konnte ich einen Oltanker ausmachen, der nach Westen in Richtung Kanal fuhr. Die See stimmte mich immer nostalgisch, obwohl ich als kleiner Junge keine besonders schonen Erlebnisse mit ihr verband.

Danny hatte seine Coke ausgetrunken und begann zu zappeln. »Mochtest du an den Strand gehen?«, fragte ich. »Du kannst doch noch ein Krebsrennen veranstalten. Der schnellste Krebs kommt in den Eimer und geht morgen wieder an den Start.«

Wir sahen zu, wie er auf die Felsen kletterte und bis zum Wasser balancierte, das fast hundert Meter entfernt war. Ich lehnte mich zuruck und trank einen Schluck Lager.

»Wann kommt denn der Exorzist vorbei?«, fragte Liz.

»Du meinst Reverend Pickering? Er kommt nur vorbei, um sich umzusehen.«

»Glaubst du wirklich, dass er irgendetwas machen kann?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Er hat selbst gesagt, dass echte Geister nichts mit den Geistern im Kino zu tun haben. Sie verschwinden nicht einfach, nur weil jemand es ihnen befiehlt. Ich meine, wir haben es hier nicht mit Linda

Blair oder Patrick Swayze zu tun.« Ich musste wieder an diese massige schwarze Gestalt denken, die sich langsam um die Sonnenuhr drehte, mit rauchendem Haar, das Gesicht schmerzverzerrt. N'gciaa nngggaa sothoth nggaaa. Es war eine Tauschung gewesen. Es musste eine gewesen sein. Aber was ware geschehen, wenn ich nach ihm gegriffen hatte, wahrend er an mir vorbeikam? Hatte ich ihn wirklich spuren konnen? Oder waren seine Beine einfach durch mich hindurchgegangen?

»Ich meine immer noch, dass wir ausziehen sollten«, sagte Liz. »Wir konnten uns einen Wohnwagen auf dem Shanklin Caravan Park mieten. Das kostet nicht viel, und du konntest trotzdem deine Arbeit hier erledigen, oder?«

»Ich glaube schon«, antwortete ich. Aber da nun Dennis Pickering vorbeikommen wollte, war ich zuversichtlicher, dass wir die Geister im Fortyfoot House zur Ruhe kommen lassen konnten. Die Erscheinungen waren wirklich beangstigend gewesen, vor allem in der Nacht. Doch abgesehen von Harry Martin - und, mal ehrlich, das musste doch wirklich ein Unfall gewesen sein - war niemandem etwas zugesto?en.

»Warum horen wir uns nicht erst an, was der Vikar zu sagen hat, und entscheiden dann?«, schlug ich vor. »Es sind nur Geister, im Grunde sind es nur Bilder. Und dazu noch von Menschen, die vor uber hundert Jahren gestorben sind. Sie sind ... ich wei? nicht ... so etwas wie lebende Fotografien. Wie sollen die uns etwas antun?«

»Ich glaube kaum, dass ich das herausfinden mochte«, sagte Liz. Sie klang uberraschend entschlossen.

Ich sah sie aufmerksam an: »Du meinst, du willst nicht mal heute Nacht bleiben?«

»David, es tut mir wirklich Leid. Aber mir fallt es ohnehin schwer genug, meine Gedanken zusammenzuhalten, da brauche ich nicht noch Lichter und Gerausche in der Nacht.«

»Was ist los mit dir?« Ich wusste, dass ihre Stimmung standig schwankte, aber das hatte ich auf ihr Alter geschoben oder auf ihre Monatsblutung oder auf den puren Schrecken der Ereignisse um uns herum.

Geistesabwesend streichelte sie mein Knie. »Ach, ich wei? nicht. Ich glaube, ich bin nicht besser als du. Ich kann mich auch nicht entscheiden, was ich sein will. Ich kann mich ja nicht mal entscheiden, wer ich sein will. Und dass ich hierher gekommen bin, hat die Antwort nicht leichter gemacht. Eigentlich ist es jetzt nur noch schlimmer.«

»Ich verstehe nicht.«

Sie lachelte mich an. »Ich glaube, ich habe ein Identitatskrise«, sagte sie schlie?lich. »In der einen Minute fuhle ich mich stark und unabhangig, und dann fuhle ich mich wieder so schwach wie ein kleines Katzchen. Einmal glaube ich, dass ich mein Leben vollig unter Kontrolle habe, dann wieder scheint alles in die Bruche zu gehen. Mal glucklich, mal traurig. Heute Morgen habe ich meine Augen geoffnet und ich kam mir so vor, als sei ich jemand anderes. Ich kann es nicht beschreiben. Aber es hilft mir nicht, wenn ich hier bleibe.«

»Du willst wirklich abreisen?«

Sie nickte. Sie sah zwar mude aus, aber auch sehr hubsch. Ich legte meine Hand auf ihre.

»Allen Ernstes«, sprach sie weiter. »Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, sind seltsame Gerausche, riesige Ratten und arme alte Manner, denen der Kopf abgerissen wird.«

»Da haben wir ja was gemeinsam«, sagte ich.

»Ja«, stimmte sie mir zu. »Aber ich brauche keinen Mann, der sich ebenfalls nicht entscheiden kann.«

»Da muss ich dir wohl beipflichten.«

Ich sah mich um. Von Mrs. Kemble war noch immer nichts zu sehen. Eine dunne Gestalt kam aus Richtung Ventnor am Strand entlanggelaufen. Etwa eine halbe Meile entfernt. Bauz! Da geht die Ture auf, Und herein in schnellem Lauf... Aber als ich eine Hand uber meine Augen hielt, konnte ich sehen, dass es sich nur um einen alten Mann handelte, der mit seinem schwarzwei? gefleckten Hund spazieren ging.

Die Sonne stand noch immer recht hoch, aber die Schatten wurden allmahlich langer, und die Brise von der See her war ungewohnlich frisch. Ich konnte nicht verstehen, warum Mrs. Kemble so spat am Nachmittag ihr Cafe verlie?, ohne zu schlie?en.

In dem Moment horte ich ein hohes, pfeifendes Gerausch vom Strand her. Zunachst konnte ich es nicht definieren; es klang wie eine Flote oder eine Pfeife. Ich kniff die Augen zusammen und konzentrierte mich auf den Bereich nahe am Wasser, wo die Mowen hartnackig kreisten. Ich sah Danny zwischen den Felsen und winkte ihm zu, aber er winkte nicht zuruck. Stattdessen stand er in einer sonderbar gebuckten Haltung da, wie erstarrt, die Fauste geballt. Allmahlich wurde mir klar, dass er dieses Gerausch verursachte. Er schrie!

»Danny!« Ich hechtete uber die Mauer, die das Cafe umgab, und landete im Sand. Mit meinem Knochel stie? ich gegen einen schlupfrigen Felsen, fand dann aber mein Gleichgewicht wieder und sprang einer Gemse gleich von einem Fels zum nachsten. Zwischendurch glitt ich aus und trat in eine Wasserlache. Einmal fiel ich hin und zog mir eine Abschurfung an der Hand zu, aber dann hatte ich endlich ein ebenes Stuck Strand erreicht und rannte in Richtung Meer. Das Wasser spritzte an mir hoch, wahrend mein Herz raste und der Wind in meinen Ohren donnerte.

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