»Ganz sicher.«

»Und was ist mit Ihnen, Liz?«, wollte er wissen. »Haben Sie das auch gesehen?«

»Ich bin nicht sicher«, antwortete sie.

Ich warf ihr einen argerlichen Blick zu: »Du bist nicht sicher ?«

Sie sah fort. »Mir fallt es sehr schwer, das alles zu verstehen. Ich wei? nicht, ob ich meinen Augen glauben kann oder nicht.«

»Aber er war doch fast vollig aus dem Bild verschwunden!«, protestierte ich.

»Ich wei? nicht, mir kommt das alles wie ein boser Traum vor«, sagte Liz.

»Schon gut, schon gut, wir brauchen nicht noch mehr Unruhe«, sagte Pickering beschwichtigend. »Ich schlage vor, dass wir nach oben gehen und uns umsehen.«

Ich versuchte, Liz' Hand zu nehmen, wahrend wir durch den Flur zuruckgingen, doch sie entzog sich meinem Griff.

»Stimmt was nicht?«, flusterte ich.

»Nein«, beteuerte sie.

»Irgendetwas stimmt doch nicht.«

»Es ist nichts. Ich mochte blo? nichts mehr mit all diesen Dingen zu tun haben. Und ich wei? auch nicht, warum du dich damit beschaftigen sollst. Es ist nicht dein Haus und damit nicht dein Problem.«

Ich blieb stehen. »Bist du sicher, dass du heute Abend das Haus nicht verlassen hast?«

»Da bin ich verdammt sicher. Warum fangst du damit schon wieder an?«

»Konnen wir?«, fragte Pickering ein wenig ungeduldig.

Wir stiegen die Stufen bis zum Treppenabsatz hinauf, dann offnete ich die Tur zum Speicher. Wieder schlug mir dieser hartnackige abgestandene Luftzug entgegen. Ich schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete nach oben, als ich bemerkte, dass der Dachboden bereits in ein schwaches grauliches Licht getaucht war. Ich sah zu Liz und sagte: »Sieh dir das an, da oben ist Licht. Vielleicht haben die elektrischen Leitungen beschlossen, sich selbst zu reparieren.«

Pickering ging vor mir die kurze Treppe hinauf, dann blieb er abrupt stehen, ohne etwas zu sagen und ohne sich zu bewegen. Schlie?lich sagte er: »Ich komme wieder nach unten.« Im nachsten Moment stand er neben mir auf dem Absatz und sah bleich aus.

»Was ist los? Was ...«

»Da oben ist ein Licht«, antwortete er, wahrend sich seine Stimme fast uberschlug.

»Und?« »Ich befurchte, es ist Tageslicht.«

»Wieso Tageslicht? Drau?en ist es stockfinster.«

»Es ist Tageslicht, glauben Sie mir. Sie sollten besser diese Tur verschlie?en. Ich werde mich sofort mit Stiftsherr Earwaker in Verbindung setzen.«

»Sie mussen sich irren. Da oben kann kein Tageslicht sein. Es gibt keine Fenster da oben, von dem Dachfenster abgesehen. Und das ist zugeklebt.«

Ich nahm die erste Stufe der Treppe, aber Pickering packte mich am Armel und schrie mich fast an: »Nein! Das durfen Sie nicht!«

»Mr. Pickering, um Himmels willen. Da oben kann es kein Tageslicht geben!«

»Es ist Tageslicht«, wiederholte er nahezu au?er sich, wahrend er noch starker an meinem Armel zerrte. »Das ist Teufelswerk, glauben Sie mir doch. Gehen Sie um keinen Preis nach oben.«

»Tut mir Leid, aber das muss ich machen.«

»David!«, mischte sich Liz ein. »Geh nicht!«

Diesen Gesichtsausdruck hatte ich bei ihr noch nicht gesehen. Er war sehr merkwurdig, und auch ihr Tonfall war ungewohnlich. Sie hatte sich angehort, als habe sie eine sehr gute Vorstellung von dem, was Pickering solche Angst eingejagt hatte. Als wisse sie, warum der Speicher so aussah, als sei er in Tageslicht getaucht.

Ich schob Dennis Pickering behutsam zuruck. »Es tut mir Leid«, wiederholte ich, »aber ich muss da einfach raufgehen. Ich kann hier in Fortyfoot House nichts tun, wenn ich nicht ein fur allemal diesen Lichtern und Gerauschen auf den Grund gehe.«

»Dann komme ich mit Ihnen«, beharrte Pickering, auch wenn er aufgeregt atmete und seine Hande zitterten.

»Sie mussen nicht, wenn es Ihnen Angst einjagt«, sagte ich.

»Es ist meine priesterliche Pflicht. Und es ist meine Pflicht als Mensch.«

»Glauben Sie wirklich, dass da oben der Teufel lauert?«

»Sie konnen es nennen, wie Sie wollen. Aber es ist dort. Und es ist so real wie Sie und ich. Konnen Sie nicht das Bose riechen? Es ist die Essenz des Bosen!«

Ich schnupperte.

»Ich kann einen schwefeligen Geruch feststellen, ein wenig verbrannt. Weiter nichts.«

»Die Essenz des Bosen«, sagte Pickering, wahrend er mit dem Kopf nickte. »Der Gestank der Holle.«

»Egal«, entschied ich. »Ich gehe jetzt trotzdem nach oben.«

Liz warf mir einen geringschatzigen Blick zu, obwohl sie der Hauptgrund dafur war, dass ich auf den Speicher steigen wollte. Wenn ich nicht klarte, was es mit den Gerauschen und Lichtern im Fortyfoot House auf sich hatte, konnte ich nicht von ihr erwarten, dass sie blieb. Und au?erdem hatte ich bei unserem Gesprach am Nachmittag, bevor wir Doris Kemble gefunden hatten, gemerkt, wie sehr ich wollte, dass sie blieb, und wie sehr ich sie brauchte.

Obwohl die Treppe von dem Licht auf dem Dachboden erhellt wurde, nahm ich die Taschenlampe mit. Wenn die Lampen sich aus eigener Kraft reparieren konnten, dann konnten sie auch wieder ausfallen, und ich wollte nicht noch einmal in volliger Dunkelheit auf dem Dachboden stehen. Fruher hatte ich in der Dunkelheit keine Angst gehabt, aber Fortyfoot House hatte das grundlegend geandert.

Ich erreichte die oberste Stufe und sah mich um. Langsam wurde mir klar, dass Dennis Pickering Recht hatte, so wenig ich das auch glauben wollte. Der Speicher war tatsachlich in Tageslicht getaucht. Kaltes, graues, herbstliches Licht, als hatten wir nicht Juli, sondern Mitte November. Aber nicht nur das - der Speicher war auch so gut wie leer. Kein Schaukelpferd, keine Mobel, keine zusammengerollten Teppiche, keine Bilder, uber die man Tucher geworfen hatte. Nur ein paar staubige Bastkorbe und Hutschachteln, und eine altmodische Nahmaschine.

Das Dachfenster war nicht abgedeckt, zudem stand es offen. Daher kam also der modrige Luftzug, der sich auf dem Dachboden breitmachte - obwohl ich keine Ahnung hatte, wie der Zug hereinkommen sollte, wenn das Dachfenster doch eigentlich verschlossen und das Dach nach au?en hin versiegelt worden war.

»Gleicher Ort, andere Zeit«, sagte ich. Es war Furcht erregend und verwirrend, aber der Gedanke, dass wir uber die Treppe zum Speicher ins Fortyfoot House des Jahres 1880 gelangt waren, hatte auch etwas Aufregendes.

»Ich glaube nicht, dass wir noch weiter gehen sollten«, warnte Pickering mit dusterem Gesichtsausdruck, wahrend er sich am Treppengelander festhielt.

»Ich will nur aus dem Dachfenster sehen«, rief ich ihm zu. Ich bemerkte Wolken, die voruberzogen, ich horte die See und das leise Rascheln von trockenem Laub. Nicht nur das Jahr und die Tageszeit hatten sich geandert, es war auch eine andere Jahreszeit.

Pickering zitterte wie ein Mann, der eine schwere Grippe hatte, und obwohl er der anglikanischen Kirche angehorte, bekreuzigte er sich zweimal. »Das ist eindeutig Teufelswerk. Wenn Sie durch dieses Dachfenster blicken, David, dann werden Sie direkt in den Schlund der Holle sehen.«

»Halten Sie bitte die Taschenlampe«, sagte ich und ging uber den Speicherboden, bis ich unter dem Dachfenster stand. Der Himmel sah ganz normal aus. Es war ein windiger Tag an der Kuste, ich sah ein paar Mowen voruberziehen und einige braune Blatter, die vom Wind fortgetragen wurden. Was ich nicht entdecken konnte, waren die qualmenden Schlote der Holle, Fledermause und Hexen auf ihren Besen.

»Ich flehe Sie an«, sagte Pickering.

»Nur ein Blick«, versicherte ich.

Er schuttelte unglaubig seinen Kopf.

Вы читаете Die Opferung
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×