Wieder erschutterte ein tiefes Grollen Fortyfoot House in seinen Grundfesten. Irgendwo in den Weiten meines Unterbewusstseins konnte ich einen langsamen vertrauten Gesang horen: »N'ggaaa - n 'ggaaa - sothoth - n 'ggaAAA.« Ein gereiztes Krachen war zu vernehmen, und die Steinplatten der Veranda begannen sich unter unseren Fu?en zu bewegen, als bohre sich ein riesiger Tausendfu?ler unter ihnen durch die Erde. Die Fenster knarrten in ihren Rahmen, und ein kleiner Schauer aus Dachziegeln regnete vom Dach herab und zerschellte auf der Erde.

»Danny!«, schrie ich. »Danny, bist du da drin? Danny!«

Der langsame Gesang hielt an, und das Gebaude zitterte formlich. Wieder rutschten Dachziegel vom Dach, von denen mich einer an der Schulter traf.

»Sollte Danny hier sein?«, schrie Miller.

»Ich wei? nicht, wo er ist. Liz wollte einen Spaziergang mit ihm machen, aber da ich jetzt wei?, dass Liz nicht Liz ist...«

»Liz ist nicht Liz? Was soll denn das schon wieder hei?en?«

»Sie ist ein Ding, eine Art antiker Geist. Ich wei? nicht. Wenn ich es erklaren will, ergibt es keinen Sinn mehr. Aber es sind Geister aus einer prahistorischen Zeit, die durch die Jahrhunderte hinweg von einer Frau nach der anderen Besitz ergriffen haben und darauf lauern, dass ihre Zeit kommt, damit sie wiedergeboren werden konnen.«

Miller sah erst mich an, dann das nachgebende Dach von Fortyfoot House. Wieder losten sich Dachziegel und sturzten zu Boden, diesmal gefolgt von einem Stuck Fensterbank. Hatte er nicht selbst mit angesehen, wie das Gebaude stohnte und erbebte, dann hatte er mich vermutlich auf der Stelle einweisen lassen. Aber es bestand kein Zweifel daran, dass eine gewaltige und verzweifelte Macht Fortyfoot House erzittern lie?. Und auch nicht, dass die Bosartigkeit dieser Macht uber jegliches menschliche Vorstellungsvermogen hinausging. Wenn seine Verwandten mit solcher Boshaftigkeit toten konnten, welchen Schrecken konnte dann die Macht selbst verbreiten?

Brown Jenkin totete sinnlos und sadistisch, zu seinem eigenen Vergnugen. Er hatte mit einem menschlichen Leben genauso wenig Mitgefuhl wie ein kleines Kind, das einem Kafer die Beine ausrei?t. Aber er war nichts weiter als der Laufbursche von Kezia Mason, und die war ihrerseits nicht mehr als das Kuckucksnest, in dem Yog-Sothoth auf seine Erneuerung wartete.

Alles schien auf eine absurde Weise apokalyptisch. Das Ende der uns bekannten Welt. Ein Wechsel in der naturlichen Rangordnung, eine andere Spezies, die die Menschheit dominierte. Als ich aber daruber nachdachte, wie sehr sich die Welt allein seit Beginn dieses Jahrhunderts verandert hatte - vergiftete Meere, ru?geschwarzte Himmel -, konnte ich mir vorstellen, dass die Alten wiederauferstehen konnten und dass sich diese gewaltige kaltblutige Zivilisation aus vormenschlichen Zeiten wieder erheben konnte.

Immerhin hatten sie die jahrtausendelange Uberlegenheit der Menschen uberdauert, verborgen in Hexen und Hexern, in Gebauden und in der Erde. Sie waren darauf vorbereitet, sich zu verstecken und zu warten. Inzwischen hatten wir

Menschen begonnen, alles das zu zerstoren, was fur sie als Versteck gedient hatte. Wir rodeten die Walder, die unsere Atmosphare mit Sauerstoff versorgten, jenem Element, dass die Alten als Kreaturen aus den Weiten des Kosmos zutiefst verabscheuten. Wir bebauten Wiesen und Marschen hektarweise, wir legten unsere Sumpfe trocken. Wir kippten Quecksilber und radioaktive Abfalle in die Meere, wir bliesen Schwefel und Blei in die Luft. Ob die Alten uns dazu moglicherweise heimlich antrieben oder nicht, in jedem Fall machten wir die Welt nach und nach wieder zu dem, was sie einmal gewesen war. Eine Welt der toten Ozeane und der finsteren Himmel, eine Welt der Schwermetalle und der arktischen Kalte.

Ich sah zu Miller und sagte: »Sie haben das nicht gesehen.«

»Was habe ich nicht gesehen?«, fragte er verwundert.

Ich uberquerte die Veranda und nahm eine der Steinschalen von der Wand, in denen einmal Geranien gebluht hatten. Sie wog so viel, dass ich sie kaum heben konnte. Auf halbem Weg zuruck zum Haus musste ich sie absetzen, woraufhin Miller zu mir kam und half, nachdem er verstanden hatte, was ich vorhatte.

»Ich habe nichts gesehen«, sagte er.

Gemeinsam schleppten wir die Schale bis zum Kuchenfenster, holten aus und warfen sie gegen das Glas. Die Schale riss einen Teil des Fensters aus dem Rahmen und flog gegen die Spule. Ich schlug ein paar ubrig gebliebene spitze Splitter aus dem Rahmen, dann sprang ich durch das Fenster in die Kuche, dicht gefolgt von Detective Sergeant Miller.

»Wir sind in funf Minuten da, Dusty«, quakte es aus dem Funkgerat.

Wir gingen durch die Kuche, wahrend unter unseren Schuhen Glas brach. Im Haus war ein Summen zu horen, als stunden wir in einem Hochspannungswerk. Sobald ich mich einer der Wande naherte, spurte ich, wie sich meine Haare statisch geladen aufrichteten.

Als ich die Kuchentur offnen wollte, sprangen Funken vom

Turgriff auf meine Fingerspitzen uber. Mit einem Kuchenhandschuh gelang es mir schlie?lich, die Tur aufzumachen.

Im Flur blieben wir stehen und lauschten. Der Gesang war nicht abgerissen, doch er war so tief, dass ich nicht wusste, ob ich ihn noch horte oder nur noch fuhlte.

»Mmm'ngggaaa, nn'ggaaa, sothoth, yashoggn.a ...«

Miller rausperte sich nervos und sagte: »Glauben Sie, dass Danny hier ist? Ich kann jedenfalls niemanden horen. Sie?«

»Danny?«, rief ich, dann ging ich zur Treppe und schrie: »Danny! Daddy ist hier! Bist du da?«

Ich wartete, wahrend meine Hand auf dem Endpfosten des Gelanders ruhte. Ich glaube, es sollte eine mutige Geste sein. Alles in Fortyfoot House fuhlte sich so an, als krieche es - die Wande, der Boden, das Gelander. Ich hatte alles gegeben, um zuruck in die Kuche zu rennen und aus dem Fenster zu springen, um mich so weit von Fortyfoot House zu entfernen, wie mich der nachste Bus bringen konnte.

Doch dann horte ich ein ganz leises Gerausch, das eigentlich mehr nach einem kleinen Katzchen als nach einem Kind klang. Doch man erkennt immer die Stimme des eigenen Kindes, ganz egal, wie leise oder verzerrt sie auch sein mag.

»Was ist das?«, fragte Miller, doch ich hatte schon die Halfte der Stufen zuruckgelegt und rief: »Danny! Danny, hier ist Daddy!«

Die Tur zum Speicher stand offen, ubel riechender Rauch wurde mit dem Luftzug ins Haus geweht. Es war der stechende Gestank, den ich schon zuvor wahrgenommen hatte und der mich an Tranengas oder brennende Reifen erinnerte.

Ich presste mir ein Taschentuch vor Mund und Nase, als ich hinter mir Miller horte: »Um Gottes willen, David, passen Sie auf! Im Wagen gibt es Atemschutzgerate!«

In diesem Moment horte ich wieder das leise, gedampfte Jammern, und diesmal war ich sicher, dass es sich um Danny handelte. Ich wurde nicht zulassen, dass Brown Jenkin ihn in seine Klauen bekam, ob mit oder ohne Atemschutzgerat.

Ich eilte die Stufen hinauf zum Speicher und sah mich um.

Der gesamte Dachboden war mit grauem durchdringenden Licht gefullt und mit Rauch, der in den Augen stach. Das Dachfenster war offen, und eine Trittleiter war darunter gestellt worden. Brown Jenkin befand sich auf halber Hohe auf dieser Leiter, und ganz oben stand Danny, der bereits Kopf und Schultern durch den Rahmen gesteckt hatte.

Am Fu? der Leiter stand Liz, ihr Gesicht war wei?, sie wirkte schockiert. Ihre Hande ruhten auf den Schultern des Kindes, das sie mir als Produkt meiner uberanstrengten Fantasie hatte einreden wollen: Charity.

»Jenkin!«, brullte ich. »Verdammter Brown Jenkin!«

Er wirbelte seinen Kopf herum und sah mich mit seinen gelben kranken Augen an. Seine Kleidung wirkte wie eine Parodie auf die eines Geistlichen, ein schmutziger, ehemals wei?er Kragen, ein angestaubtes Jackett, eine schwarze Weste, die mit Suppenflecken ubersat war. Eine Klaue war erhoben und drangte Danny, durch das Dachfenster zu klettern. Mit der anderen hielt er sich an der Leiter fest.

»Jenkin, lass ihn in Ruhe!«, schrie ich. Doch als ich auf ihn zusturmte, hob Liz eine Hand und richtete sie

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