mochte Ihre Reaktion beobachten.«

»Ist es Mrs. Pickering?«, fragte ich. Meine Stimme klang erstickt und fremd.

Er nickte. »Kommen Sie und sehen Sie selbst.«

Mit zwei Schritten war ich im Zimmer. Es war ein gro?er Raum, der von der nachmittaglichen Sonne hell ausgeleuchtet wurde. Es gab einen Kamin aus Marmor, schwere bequeme Sessel aus den drei?iger Jahren. Ein poliertes Tablett mit verzierten Beinen diente als Kaffeetisch. Ausgaben des Daily Telegraph Magazine sowie der Church Times und des Punch waren ordentlich in einen Zeitschriftenstander gepackt. Es war ein vollig normaler Salon an einem warmen Sommernachmittag in einem sudenglischen Vikariat.

Das Zimmer war so normal, dass das Entsetzen in seiner Mille zehnmal schlimmer war als jeder Anblick eines schweren Verkehrsunfalls auf der M 25 mit Toten und Verletzten oder in der Notaufnahme jedes gro?eren Krankenhauses. Das Blut hatte mich darauf vorbereitet, eine Leiche zu sehen. Aber nichts auf dieser Welt hatte mich auf die Art vorbereitet, wie der Tod eingetreten war. Ich stand neben Miller und ging buchstablich in die Knie - eine schreckliche, ungewollte Bewegung.

In einem der Sessel sa? der kopflose Leichnam von Mrs. Pickering. Sie hatte eine pfirsichfarbene Seidenbluse und einen wei?en Baumwollrock getragen, doch von beiden waren nur noch kaum wiederzuerkennende Fetzen ubrig. Ihr gesamter Korper war mit solcher Gewalt zerrissen worden, dass Haut und Fettgewebe in Stucken auf den Armlehnen verteilt lagen.

... in gay profusion lying there - scarlet ribbons, scarlet ribbons ....

Ihr blutiger Halsstumpf ragte aus dem blutgetrankten Kragen ihrer Bluse heraus, den gro?ten Teil ihrer inneren Organe - Lunge, Leber und Magen - hatte man durch ihre Luftrohre aus dem Korper gerissen und auf ihren Schultern verteilt. Es wirkte wie eine groteske Parodie auf das Wandgemalde von Kezia Mason mit Brown Jenkin auf ihren Schultern.

Ich konnte ihre Rippen und ihr Becken durch das zerfetzte Fleisch hindurch erkennen. Die Knochen glanzten wei?, nur wenige Fleischreste hingen noch an ihnen. Ihr Korsett und ihr Huftgurtel waren in Stucke gerissen worden, ein Akt, der gerade bei der Frau des Vikars noch entsetzlicher wirkte als die Tatsache, dass man sie gekopft hatte. Zwischen ihren Beinen lag ein tropfendes Wirrwarr aus Innereien.

Alles war voller Blut. Die Wande, der Teppich, der Spiegel, die wei?en Teerosen auf dem Tisch.

Zuerst konnte ich ihren Kopf nirgends entdecken. Ich wandte mich Miller zu und sagte: »Wo ist ihr Kopf?«

Er deutete auf eine Ecke des Zimmers. Sein Gesicht war grau und versteinert. Ich versuchte, das zu erkennen, was er mir zeigte, aber mein Verstand war einfach nicht in der Lage, ihm zu folgen.

»Um Himmels willen, Sergeant!«, schrie ich ihn nahezu an. »Wo ist ihr Kopf?«

Wieder deutete er in die Ecke, aber ich sah nur das braun lackierte Sideboard mit dem blutbespritzten wei?en Laufer und dem Goldfischglas darauf.

Jesus, das Goldfischglas!

Das Wasser in dem Glas hatte eine rosarote Farbung. Zwei kleine Goldfische versuchten, in ihrem uberfullten Heim zu schwimmen, doch der eine schnappte nach Luft, der andere hatte eine verletzte Schwanzflosse.

Durch das trube Wasser starrte mich das durch die Wolbung des Glases grasslich verzerrte Gesicht von Mrs. Pickering an. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Mund war mit farbigen Kieselsteinchen gefullt. Miller ging auf das Sideboard zu und starrte das Fischglas an. Mrs. Pickerings angegrautes brunettes Haar trieb wie Tang an der Oberflache.

»Konnen Sie ihn nicht da rausholen?«, fragte ich heiser. Mrs. Pickerings Kopf bewegte sich leicht, sodass es aussah, als wurde sie mir nachblicken, wahrend ich naher kam.

Miller schuttelte den Kopf. »Unmoglich. Jedenfalls nicht, ohne das Glas zu zerbrechen.«

»Was?«, fragte ich. »Wenn Sie den Kopf nicht herausholen konnen, ohne das Glas zu zerbrechen, wie ist er dann hineingekommen?«

Detective Sergeant Miller sah sich im Zimmer um. »Sie hatten von Anfang an Recht«, sagte er. »Fortyfoot House ist verflucht oder besessen oder was auch immer. Und Brown Jenkin existiert wirklich, ganz egal, was die Polizei der Isle of Wight denkt.«

Er ging hinuber zu dem geoffneten Fenster, das den Blick auf einen Rosengarten bot. Der Garten hatte in keinem starkeren Kontrast zu dem abscheulichen Blutbad im Zimmer stehen konnen.

»Sehen Sie«, sagte er und zeigte auf blutige Abdrucke auf der Fensterbank und auf dem Glas. Es waren Pfotenabdrucke, die von einem Nagetier stammten. Das Einzige, was sie von denen einer gewohnlichen Kanalratte unterschied, war die enorme Gro?e.

Es war alles real, Brown Jenkin, Kezia Mason und auch Yog-Sotholh, wie Lovecraft das Bose genannt hatte. In dem Augenblick schoss mir eine Gedanke wie ein Aufschrei durch den Kopf: Danny!

»Wohin wollen Sie?«, herrschte Miller mich an, als ich mir einen Weg aus dem Raum bahnte.

»Das Haus! Liz hat Danny! Und ich wette, dass Brown Jenkin auch dort ist!«

»Was reden Sie da? Wir konnen doch nicht einfach ...« Er sah sich verzweifelt in dem blutigen Zimmer um.

»Sergeant«, flehte ich ihn an. »Bitte!«

20. Der Garten von morgen

Als wir in die enge Stra?e einbogen, die in Richtung Fortyfoot House fuhrte, spurte ich bereits, dass etwas nicht stimmte. Obwohl es ein sonniger, warmer Nachmittag war, hatte der Himmel uber Fortyfoot House etwas Dusteres an sich. Au?erdem konnte ich Erschutterungen spuren. Die Luft um das Haus herum war verzerrt, und als wir das Haus erreicht hatten, sah ich Storungen in der Luft, die wie eine Fata Morgana wirkten. Die Baume schienen sich zu verbiegen, und Fortyfoot House wirkte so, als schwebe es einige Zentimeter uber dem Boden.

Miller lenkte seinen Wagen in die Einfahrt, stieg aus und schlug die Tur zu. »Passen Sie auf, was Sie machen«, rief er mir zu. »Technisch gesehen verfolgen wir einen mutma?lichen Morder, und dabei darf ich das Leben von Zivilpersonen nicht in Gefahr bringen.«

Ein lautes, drohnendes Stohnen kam von Fortyfoot House zu uns heruber, als sei es kein Gebaude, sondern eine gewaltige Bestie, deren Seele bis in die Grundfesten erschuttert wurde. Grelle blauwei?e Lichter zuckten hinter den Fenstern im oberen Geschoss.

»>Technisch< interessiert mich einen Schei?dreck«, gab ich zuruck. »Mein Sohn ist da drin.«

Ich versuchte, die Haustur zu offnen, aber sie schien verschlossen, nein, verschmolzen zu sein, als bilde sie eine Einheit mit dem Turrahmen. Das Schloss war aus massivem Messing, aber das Schlusselloch fehlte. Auf ubernaturliche Weise wurde uns der Zutritt verwehrt.

»Das hat keinen Sinn«, sagte ich.

»Zur Kuchentur«, rief Miller und warf einen fluchtigen Blick auf seine Uhr. »Die Verstarkung wird jeden Moment hier sein.«

Wir rannten ums Haus. Die seltsame strahlende Finsternis lag auch uber dem gesamten Garten. Die Eichen bogen sich in einem Wind, von dem ich nichts fuhlte, und hier und da war ein Scharren in den Buschen zu horen. Hinter den Baumen strahlte die See so matt wie beschlagenes Blei.

Wir liefen uber die Veranda, und ich versuchte mein Gluck an der Kuchentur, die aber genauso verschlossen war wie die Vordertur. Miller zog sein Funkgerat aus der Tasche und sagte: »George? Wo zum Teufel bleibt ihr? Ich brauche zwei Trupps am Fortyfoot House, aber so schnell es nur geht!«

Ich horte eine weit entfernte Stimme etwas von »Stra?enarbeiten in Luccombe Village< sagen. Miller erwiderte nichts, doch sein Gesichtsausdruck machte jeden Fluch uberflussig. »Was ist los?«, fragte ich. »Kommen sie oder nicht?«

»Sie kommen«, sagte er atemlos. Dann: »Gibt es noch eine andere Tur? Es muss doch einen Weg ins Haus geben.«

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