unterbinden. Hinten folgten etwa drei?ig Reiter, dann der Wagen mit den Gefangenen. Den Abschlu? der Kolonne bildete in einiger Entfernung die Nachhut, die aus ungefahr zwanzig Mann bestand.
In der Kutsche sa? Ambrosinus Romulus gegenuber und machte ihn hin und wieder auf Besonderheiten in der Landschaft aufmerksam - auf Dorfer oder Hutten oder alte, verfallene Monumente. Er versuchte, die Unterhaltung zu beleben, aber mit wenig Erfolg: Der Junge antwortete einsilbig oder verschlo? sich ganz. Also zog der Erzieher aus dem Quersack den Band der
Die Reise war mit gro?er Sorgfalt geplant worden, und als der Konvoi am ersten Abend an der funfundzwanzigsten Meile der Stra?e anhielt, sah die alte, halbverfallene Poststation so aus, als sei sie teilweise instand gesetzt worden: Innen brannte ein Licht, und jemand bereitete ein Abendessen fur die Gaste zu. Die Wachen kampierten abseits und kochten sich ihr Essen selbst: einen Hirsebrei, gewurzt mit Speck, dessen Geschmack mit Pokelfleisch aufgebessert war. Ambrosinus nahm Romulus gegenuber Platz, wahrend der Wirt etwas Schweinefleisch mit geschmorten Linsen, altbackenes Brot und einen Krug mit Brunnenwasser brachte. »Das ist kein gro?artiges Abendessen«, bemerkte er, »aber du mu?t essen. Bitte! Die Reise ist lang, und du bist sehr schwach. Du mu?t unbedingt wieder zu Kraften kommen.«
»Wozu?« fragte der Junge und blickte lustlos auf die Speise, die auf dem Teller dampfte.
»Weil das Leben ein Geschenk Gottes ist und wir es nicht wegwerfen durfen.«
»Es ist ein Geschenk, um das ich nicht gebeten habe«, antwortete Romulus. »Und was mich erwartet, ist eine Gefangenschaft ohne Ende, oder etwa nicht?«
»Niemand kann in dieser unserer Welt Plane ohne Ende schmieden. Es gibt standig Veranderungen und Erschutterungen und Umwalzungen. Wer heute auf einem Thron sitzt, konnte morgen schon im Staub liegen, und derjenige, der weint, konnte bald schon eine neue Hoffnung aufkeimen sehen ... Wir mussen hoffen, Casar, wir durfen nicht vor dem Ungluck kapitulieren. I? etwas, ich bitte dich, tu es fur mich, der ich dir wohl will.«
Der Junge trank nur einen Schluck Wasser und sagte dann mit tonloser Stimme: »Nenn mich nicht Casar. Ich bin nichts mehr und bin vielleicht nie etwas gewesen.«
»Du irrst dich: Du bist der letzte aus einem gro?en Geschlecht von Mannern, die die Welt beherrschten. Du bist vom Senat von Rom durch Zuruf gewahlt worden, und ich war dabei. Hast du das vielleicht vergessen?«
»Wie lange ist das her?« unterbrach ihn der Junge. »Eine Woche? Ein Jahr? Ich erinnere mich nicht mehr daran. Es ist, als ware es nie geschehen.«
Ambrosinus wollte nicht bei diesem Thema verweilen. »Da ist etwas, was ich dir noch nie gesagt habe ... etwas sehr Wichtiges.«
»Was denn?« fragte Romulus zerstreut.
»Wie ich dir zum ersten Mal begegnet bin. Du warst erst funf Jahre alt und in Lebensgefahr, in einem Zelt, mitten in einem Wald im Apennin, in einer finsteren Winternacht, wenn ich mich richtig erinnere.«
Der Junge hob das Gesicht und zeigte widerwillig Interesse an dieser Begebenheit. Sein Erzieher besa? die Gabe eines gro?en Erzahlers. Wenige Worte genugten ihm, um eine bestimmte Atmosphare heraufzubeschworen, um den Schatten Gestalt zu verleihen und den Gespenstern der Vergangenheit Leben einzuhauchen. Romulus nahm ein Stuck Brot und tunkte es unter Ambrosinus' wohlgefalligen Blicken in die geschmorten Linsen, und dieser begann nun ebenfalls zu essen.
»Und dann, was ist dann passiert?« fragte Romulus.
»Du hattest eine Vergiftung. Du hattest giftige Pilze zu dir genommen. Jemand hatte sie, irrtumlich oder vielleicht absichtlich, unter die guten gemischt ... I? auch etwas Fleisch.«
»Und konnte dieses Essen nicht ebenfalls vergiftet sein?«
»Das glaube ich nicht. Wenn sie dich umbringen wollten, hatten sie es schon getan! Deshalb brauchst du nichts zu befurchten. Also, ich kam zufallig dort vorbei: Ich war mude, hungrig, von der langen Reise erschopft und starr vor Kalte, als ich mitten im Wald das Licht in diesem Zelt sah und etwas in mir spurte. Ein seltsames Gefuhl, wie eine plotzliche Offenbarung. Ich betrat das Zelt, ohne da? irgend jemand mich aufgehalten hatte, fast, als ware ich ein unsichtbarer Geist. Vielleicht hat Gott selbst mir geholfen und mich vor den Augen der Wachen in Dunst gehullt. Jedenfalls fand ich mich im Inneren des Zeltes wieder. Du lagst in deinem Bettchen. Du warst so klein ... und so bla?, und deine Lippen waren ganz blau. Deine Eltern waren verzweifelt. Es gelang mir, dich zu retten, indem ich dir ein Brechmittel verabreichte, und von da an gehorte ich zur Familie, bis zu diesem Augenblick.«
Romulus' Augen fullten sich bei der Erwahnung seiner Eltern mit Tranen; er bemuhte sich aber, nicht zu weinen, und sagte: »Du hattest mich besser sterben lassen.« Ambrosinus versuchte, ihm etwas Fleisch in den Mund zu schieben, und Romulus schluckte es hinunter. »Warum hast du dich uberhaupt in jener Gegend befunden?« fragte er.
»Warum? Das ist eine lange Geschichte, und wenn du willst, werde ich sie dir unterwegs erzahlen. Aber jetzt beende dein Mahl, und dann gehen wir schlafen: Morgen mussen wir im Morgengrauen aufstehen und den ganzen Tag reisen.«
»Ambrosinus ...«
»Ja, mein Kind?«
»Warum wollen sie mich mein ganzes Leben lang gefangenhalten? Weil mein Vater mich zum Kaiser ernennen lie?? Ist das der Grund?«
»Ich glaube ja.«
»Hor zu«, sagte darauf Romulus, und sein Gesicht hellte sich plotzlich auf. »Vielleicht konnten wir eine Losung finden: Ich bin bereit, auf alles zu verzichten, auf jeden Titel und auf alle Besitztumer, auf jedes Zeichen und jede Wurde. Ich mochte nur ein Junge sein wie alle anderen auch. Gehen wir fort, ich und du, irgendwohin! Wir werden arbeiten, wir werden auf den Platzen Geschichten erzahlen, das kannst du so fabelhaft, Ambrosinus, wir werden uns irgendwie unseren Lebensunterhalt verdienen und niemandem zur Last fallen. Wir werden viele neue Gegenden sehen, wir werden ubers Meer fahren bis ins Land der Pygmaen, bis hin zu den Bergen des Mondes. Was meinst du? Wie findest du das? Geh und sag es ihnen, bitte. Sag ihnen, da? ... da? ich auf alles verzichte, auch darauf ...« Er lie? den Kopf sinken, um nicht den Ausdruck der Scham auf seinem Gesicht zu verraten. »... auch darauf, meinen Vater zu rachen. Sag ihnen, da? ich alles vergessen will, alles. Und da? sie nie wieder etwas von mir horen werden. Sie sollen uns nur laufenlassen. Los, geh und sag ihnen das.«
Ambrosinus sah ihn liebevoll an. »Das ist nicht so einfach, Casar.«
»Du bist ein Heuchler: Du nennst mich Casar, aber meinen Befehlen gehorchst du nicht.«
»Ich wurde es tun, wenn es moglich ware, aber es ist nicht moglich. Diese Leute haben nicht die Befugnis, dir etwas zu gewahren. Nur Odoaker konnte das, aber Odoaker ist in Ravenna und hat bereits Befehle erteilt, die niemand auch nur im Traum umsto?en wurde. Und wage nie wieder, mich einen Heuchler zu nennen! Ich bin dein Lehrer, und du schuldest mir Respekt. Und jetzt beende, bitte sehr, dein Abendessen und geh sofort zu Bett, ohne weitere Diskussionen.«
Romulus gehorchte, und Ambrosinus sah zu, wie er unwillig ein letztes Stuckchen Brot kaute, ehe er im Nachbarzimmer verschwand, um sich niederzulegen. Er zog aus dem Quersack sein Notizbuch hervor und machte sich beim bereits schwachen Schein der Laterne wieder ans Schreiben. Von drau?en drangen die Rufe und der Larm der Barbaren herein, die anfingen, sich von der Mudigkeit der Reise zu erholen, und denen das Bier, das sie in gro?en Mengen zu sich nahmen, allmahlich zu Kopf stieg. Ambrosinus spitzte die Ohren. Es war ein Gluck, da? der Junge schlief oder zumindest ihre Sprache nicht verstand: Viele waren an dem Massaker in Orestes' Villa beteiligt gewesen und brusteten sich jetzt mit den Plunderungen, den Vergewaltigungen, den Gewalttaten und den Beleidigungen jeglicher Art, die sie ihren Opfern zugefugt hatten. Andere gehorten zu Mledos Armee, derselben, die die Nova Invicta, Aurelius' Legion, vernichtet hatte. Diese letzteren erzahlten Geschichten von Greueltaten, von Folterungen, von Verstummelungen, die sie an noch lebenden Gefangenen vorgenommen hatten, eine ganze Serie von Schreckenstaten, von Grausamkeiten, die jede Vorstellung uberstiegen: Mit Beklemmung dachte Ambrosinus daran, da? diese Leute nun fur unbestimmte Zeit die Welt beherrschen wurden. Wahrend er in diese dusteren Gedanken versunken war, tauchte plotzlich Wulfila auf, dessen hunenhafte Gestalt das nachtliche Lager uberragte. Der machtige, herabwallende Bart, die struppige Mahne und die Zopfe, die ihm auf die Brust fielen, machten ihn einer der nordischen Gottheiten ahnlich, die die Sueben oder die Chatten oder andere Germanen verehrten, und