»Batiatus!« rief Aurelius, und seine Miene hellte sich auf. »Das mu? er gewesen sein!« Er trat naher an Stephanus heran und packte ihn am Gewand. »Er ist seit vielen Jahren mein Freund und Waffenbruder. Ich beschwore dich: Sag mir, wo sie ihn hingebracht haben. Vielleicht sind ja auch andere meiner Gefahrten bei ihm.«

Stephanus sah ihn mit einem mitleidigen Lacheln an. »Mochtest du schon wieder eine Verzweiflungstat begehen?«

»Willst du mir nun helfen oder nicht?«

»Eine merkwurdige Frage fur jemanden, der soeben eine Bitte um Hilfe abgelehnt hat.«

Aurelius nickte. »Ich bin zu allem bereit, aber sag mir, wo sie sie hingebracht haben, wenn du es wei?t.«

»Nach Classe. Aber das will nicht viel hei?en. Da ist der Hafen, in Classe, und von dort aus kann man in jeden Teil der Welt gelangen.«

Aurelius reagierte betroffen. Die Freude daruber, da? er den Kameraden, mit dem zusammen er so viele brenzlige Situationen uberstanden hatte, am Leben wu?te, war sofort von der Erkenntnis getrubt worden, da? er nichts fur ihn tun konnte. Livia bemerkte die Verzweiflung und Niedergeschlagenheit in seinem Blick und bekam Mitleid mit ihm. »Es ist nicht unwahrscheinlich, da? sie die Gefangenen nach Miseno bringen: Da unten gibt es einen anderen Stutzpunkt der kaiserlichen Flotte; sie ist schon fast ganz abgerustet, aber manchmal brauchen sie doch noch Ruderer. Und dort gibt es auch den wichtigsten Sklavenmarkt der Halbinsel. Du kannst versuchen, zum Stutzpunkt zu gelangen, und dort Auskunfte einholen. Mit etwas Zeit und Geduld konntest du mehr daruber in Erfahrung bringen. Und au?erdem ist dein Freund so riesengro?, da? er wohl kaum unbemerkt bleiben wird. Hor zu«, sagte sie dann in einem ruhigeren und versohnlicheren Ton, »ich gehe nach Suden, um dem Konvoi mit dem Kaiser zu folgen. Du kannst eine Zeitlang mit mir reisen, wenn du willst. Und dann trennen sich unsere Wege; du gehst in deine Richtung weiter und ich in meine.«

»Und du wirst versuchen, den Jungen ... allein zu befreien?«

»Ich glaube, da? dich das nichts mehr angeht.«

»Das ist nicht gesagt.«

»Was konnte dich denn umstimmen?«

»Wenn ich meine Kameraden finde - wurdet ihr mir dann helfen, sie zu befreien?«

Da mischte sich Stephanus ein. »Es gibt eine uppige Belohnung, zehntausend Goldsolidi, wenn ihr den Jungen zum alten Hafen von Fano an der Adria bringt, wo euch ein Schiff erwartet, das ihn in den Osten transportieren wird - an jedem ersten Tag des neuen Mondes, im Morgengrauen, zwei Monate lang, vom Dezembermond an gerechnet. Mit diesem Geld kannst du sie auslosen, deine Freunde, wenn es dir denn gelingt herauszufinden, wo sie sich aufhalten. Das Schiff ist leicht zu erkennen: Am Heck ist eine Standarte mit Konstantinus Monogramm gehi?t.«

»Wenn ich sie aber fruher fande, konnten sie uns bei dem Unternehmen helfen«, sagte Aurelius. »Sie sind die besten Kampfer, die man sich vorstellen kann, aber vor allem sind sie romische Soldaten und dem Kaiser treu ergeben.«

Stephanus nickte zufrieden und wandte sich an Livia: »Was soll ich also Antemius melden?«

»Sag ihm, da? wir noch heute aufbrechen und ihn, so gut es geht, auf dem laufenden halten werden.«

»Das werde ich ihm ausrichten«, erwiderte Stephanus. »Viel Gluck also!«

»Das brauchen wir«, antwortete Livia. »Ich begleite dich noch, denn ich mochte sichergehen, da? niemand dich sieht.«

Sie kamen zu Stephanus' Boot, einem kleinen lagunentauglichen Kahn mit flachem Boden. Ihn erwartete ein Diener, der schon an den Rudern sa?. Livia kletterte mit beeindruckender Behendigkeit auf eine machtige Weide, die ihre Aste uber das Wasser hinausreckte, und nahm alles ringsum in Augenschein: Keine Menschenseele war in der ganzen Gegend zu sehen, und sie kam wieder herunter und bedeutete Stephanus, da? alles ruhig sei. Der Mann stieg in das Boot, aber Livia hielt ihn noch einen Augenblick zuruck: »Was hat Antemius denn Basiliskos angeboten, damit er seinem Vorschlag zustimmte?«

»Das wei? ich nicht. Antemius sagt mir nicht alles, aber in Konstantinopel ist bekannt, da? im Westen nichts geschieht, ohne da? er daruber Bescheid wei?: Nur das verleiht ihm ein so gewaltiges Ansehen und Gewicht.«

Livia nickte, und nun richtete der andere eine Frage an sie: »Dieser Soldat ... Glaubst du wirklich, da? man ihm vertrauen kann?«

»Er ist allein schon so viel wert wie eine kleine Armee! Ich erkenne einen Kampfer auf Anhieb, ich kenne den Blick eines Lowen, auch wenn er verwundet ist. Und au?erdem erinnern mich seine Augen an etwas ...«

»Woran?«

Livia verzog die Lippen zu einem bitteren Lacheln. »Wenn ich das wu?te, hatte ich einen Namen und ein Gesicht fur den einzigen Menschen, der in meinem Leben und in meiner Seele eine Spur hinterlassen hat - au?er meinem Vater und meiner Mutter, die ich schon vor langer Zeit verloren habe.«

Stephanus machte Anstalten, etwas zu sagen, aber Livia hatte ihm schon den Rucken gekehrt und entfernte sich mit dem leichten, gerauschlosen Schritt einer Jagerin. Der Diener tauchte die Ruder ins Wasser, krummte den Rucken, und langsam entfernte sich das Boot vorn Ufer.

Die Kolonne, die Romulus' Kutsche eskortierte, zog auf einem schmalen und anstrengenden Pfad dahin, der weitraumig an Fano und der gro?en Anzahl Neugieriger vorbeifuhrte, die bei ihrer Durchreise durch den Ort sicherlich Spalier gestanden und den Marsch behindert hatten. Der Befehl, sich lautlos und heimlich zu bewegen, mu?te sehr strikt gewesen sein, aber Ambrosinus bemerkte das Ausweichmanover sofort. »Ich glaube«, sagte er zu Romulus, »da? wir auf unserer Route den Apennin uberqueren werden. Bald werden wir wieder auf die Via Flaminia und durch den obersten Abschnitt eines Tunnels kommen, der durch einen Berg getrieben wurde. Dieses Meisterwerk der Ingenieurskunst, forulus genannt, wurde zu Zeiten von Kaiser Augustus erdacht und dann von Kaiser Vespasianus fertig gebaut. Dieses ganze unwegsame, gebirgige Gebiet ist immer schon von Banditen heimgesucht worden, und es ist gefahrlich, sich ohne Begleitung uber den Pa? zu wagen. Die Behorden haben im Laufe der Zeit oft versucht, dieser Plage Herr zu werden, und auch spezielle Polizeieinheiten eingesetzt - aber alles ohne gro?en Erfolg. Es ist die Armut, die diese Wegelagerer hervorbringt - zumeist Bauern, die durch die ubertrieben hohen Steuern und die Hungersnote ins Elend geraten sind und denen keine andere Wahl bleibt, als sich solchen Banden anzuschlie?en.«

Romulus schien in die Betrachtung der dichten Eichen- und Eschenwalder versunken, die den Pfad saumten, oder in die der Hirten, die hier und da ein paar durre Kuhe auf der Weide huteten. Doch er hatte zugehort, und seine Antwort fiel geharnischt aus: »Steuern zu erheben, die die Leute in den Ruin treiben, ist nicht nur ungerecht - es ist auch dumm. Ein ruinierter Mann zahlt uberhaupt keine Steuern mehr, und wenn er zu den Briganten geht, zwingt er den Staat, noch mehr Geld auszugeben, um die Stra?en sicherer zu machen.«

»Deine Beobachtung ist goldrichtig«, freute sich Ambrosinus, »aber vielleicht doch zu einfach, als da? man sie in die Praxis umsetzen konnte. Die Herrschenden sind gierig und die Burokraten oft dumm, und diese beiden Ubel zeitigen entsetzliche Folgen.«

»Aber trotzdem mu? es fur all das eine Erklarung geben. Warum mu? ein Herrscher unbedingt gierig und ein Burokrat unbedingt dumm sein? Du hast mir so oft gesagt, da? Augustus, Tiberius, Ha-drianus und Marcus Aurelius weise und ehrliche Fursten waren, die korrupte Gouverneure bestraften. Doch vielleicht ist auch das nicht wahr: Vielleicht ist der Mensch immer schon dumm, gierig und schlecht gewesen.«

Just in diesem Moment ritt Wulfila vorbei und erreichte im Galopp bald einen in beherrschender Position gelegenen Hugel, um von dort aus die Umgebung zu erkunden und das Voranrucken seiner Soldaten zu uberwachen. Die ha?liche Wunde, die ihn entstellte, begann zu verheilen, aber sein Gesicht war immer noch geschwollen und gerotet, und aus den Stichen der Naht quoll eine eitrige Flussigkeit. Vielleicht war er deswegen immer so schlecht gelaunt. Wegen jeder Kleinigkeit brauste er auf, und Ambrosinus hatte vermieden, seinen Argwohn zu erregen oder auf irgendeine Weise sein Mi?trauen zu wecken. Vielmehr klugelte er einen Plan aus, um sein Vertrauen, ja vielleicht sogar seine Dankbarkeit zu gewinnen.

»Es ist verstandlich, da? du zur Zeit eine so negative Meinung von der Welt hast«, antwortete er Romulus. »Es ware ein Wunder, wenn es anders ware. Tatsachlich ist das Schicksal der Menschen und damit das der Volker und der Reiche von Ursachen und Ereignissen bestimmt, die sich der Kontrolle des Menschen entziehen. Das Reich hat sich jahrhundertelang gegen die Angriffe der Barbaren zur Wehr gesetzt: An der Front sind viele Kaiser von ihren Soldaten auf den Purpurthron gehoben worden, und an der Front sind sie, das Schwert in der Hand,

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