mussen ihn auf alle Falle mit einbeziehen, egal, welchen Plan wir umsetzen. Und er? Sag mir, ist es dir gelungen, ihn zu sehen?«

»Den Kaiser? Ja, naturlich.«

»Wie geht es ihm?« fragte Aurelius, ohne die Beunruhigung in seiner Stimme zu verhehlen.

»Gut. Ich wurde sagen, da? es ihm gutgeht. Aber in seinen Augen liegt eine unendliche Traurigkeit. Der Verlust seiner Eltern mu? ihn schrecklich bedrucken.«

Aurelius uberlegte ein paar Sekunden lang schweigend und sagte dann: »Jetzt warten wir ab, ob wir den Kontakt mit ihm aufrechterhalten konnen. Die Eskorte scheint mir nicht besonders wachsam zu sein, vielleicht sind sie davon uberzeugt, da? mittlerweile kein Mensch mehr an die Gefangenen denkt.«

»Die anderen vielleicht. Wulfila nicht: Er ist mi?trauisch, argwohnisch, schleicht dauernd herum und blickt mit Luchsaugen um sich. Er hat die Lage immer unter Kontrolle, ihm entgeht gar nichts, das versichere ich dir.«

»Hast du ihm ins Gesicht geschaut?«

»So, wie ich dich jetzt sehe! Du hast ihm zweifellos eine schone Visitenkarte hinterlassen, und wenn er sich auch nur ein einziges Mal im Spiegel betrachtet hat, dann mochte ich jedenfalls nicht in deiner Haut stecken, wenn du ihm einmal in die Hande fallst.«

»Dieses Problem stellt sich nicht«, erwiderte Aurelius. »Ich werde ihm niemals in die Hande fallen ... nicht lebend.«

Sie ritten den ganzen Nachmittag weiter bis zum Sonnenuntergang, als sie sahen, da? Wulfilas Kolonne in der Nahe von Minturno abbog. Die alte Via Appia war nicht mehr benutzbar. Die Sumpfe, die durch die Entwasserungskanale, die Kaiser Claudius hatte graben lassen, zumindest teilweise trockengelegt waren, hatten aufgrund der mangelhaften Wartung gro?e Teile des Territoriums zuruckerobert, und so war die Stra?e uber langere Strecken in den Schlamm abgesackt. Die Oberflache der stehenden Gewasser ergluhte, wahrend die Scheibe der Sonne nach und nach darin versank; dann nahm sie ganz allmahlich bleierne Farbtone an und spiegelte den immer dunkler werdenden Himmel wider. Uber dem Meer ballten sich gro?e schwarze Wolken zusammen, die langsam zur Mitte des Himmels aufstiegen, und in der Ferne grollte ein Donner. Vielleicht wurde vom Westen her ein Gewitter aufziehen.

Die von den Ausdunstungen der Sumpfe und der Feuchtigkeit beschwerte Atmosphare wurde zu dieser Zeit des Tages immer druckender: Sowohl Aurelius als auch Livia waren schwei?gebadet, aber sie zogen weiter, um den Kontakt mit der kaiserlichen Karawane nicht zu verlieren, die rasch voranruckte, um vor Einbruch der Nacht noch eine moglichst weite Strecke zuruckzulegen. Einmal hielt Aurelius an, um sich aus der Flasche etwas zu trinken einzuschenken, und auch Livia streckte ihm ihre Schussel hin, weil sie ihre gesamten Trinkwasserreserven unter Wulfilas Mannern verteilt hatte. Dann fuhrte sie sie an die Lippen und trank in langen Zugen. Plotzlich, als nach und nach der Boden der Schussel zum Vorschein kam, bemerkte Livia etwas, und ihre Miene hellte sich auf.

»Capri«, sagte sie. »Sie reisen nach Capri.«

»Wie bitte?« fragte Aurelius verdutzt.

»Sie gehen nach Capri. Da bitte, schau selbst. Ich hatte dir doch gesagt, da? dieser Mann intelligent ist.« Sie drehte die Schussel zu Aurelius und zeigte ihm die Buchstaben, die mit der Spitze eines Griffels in den Boden eingeritzt waren: CAPREAE.

»Capri«, wiederholte Aurelius. »Das ist eine Insel im Golf von Neapel, rauh und felsig, unwirtlich und wild, bewohnt nur von Ziegen, deshalb hei?t sie ja auch Ziegeninsel.«

»Bist du schon einmal dort gewesen?«

»Nein, aber ich habe ein paar meiner Freunde davon erzahlen horen, die aus dieser Gegend stammen.«

»Ich glaube nicht, da? es so ist, wie du sagst«, erwiderte Livia. »Wenn Kaiser Tiberius sie zu seiner Residenz erkoren hat, dann wird sie wohl nicht so ubel sein. Das Klima ist bestimmt gut und mild, und ich kann mir vorstellen, da? sich der Duft des Meeres mit dem der Kiefern und Ginsterbusche vermischt.«

»Es wird wohl so sein, wie du sagst«, antwortete Aurelius, »aber trotzdem ist es ein Gefangnis. Komm, wir suchen weiter oben, in Richtung der Hugel, einen geschutzten Platz fur die Nacht, sonst fressen uns noch die Mucken bei lebendigem Leib auf.«

Sie fanden Unterschlupf in einer armlichen Hutte aus Schilfrohr und Stroh, die die Bauern errichtet hatten, um ihre Ernten zu bewachen, und die jetzt seit langem verlassen war. Livia rostete auf dem Feuer ein bi?chen Spelz in einer Metallschussel und verknetete ihn mit etwas Wasser und geriebenem Kase, und das war ihr Abendessen. Sie sa?en an einem kleinen Reisigfeuer und a?en fast schweigend, wahrend von unten, abgeschwacht durch die Entfernung, unaufhorlich das Gequake der Frosche heraufdrang.

»Ich ubernehme die erste Schicht«, sagte Livia und legte sich den Bogen uber die Schulter.

»Wirklich?«

»Ja. Ich bin jetzt noch nicht mude und mochte lieber schlafen, wenn die Nacht schon vorgeruckt ist. Versuche du, dich etwas auszuruhen.«

Aurelius nickte, band Juba an den Stamm eines Vogelbeerbaums, trat in die Hutte und streckte sich auf seinem Umhang aus. Eine Zeitlang beobachtete er, wie das Pferd von den schonen, schon reifen roten Fruchten fra?, dann machte er es sich auf einer Seite bequem und versuchte einzuschlafen, aber der Gedanke an die Frau, die ihn auf seinen Abenteuern begleitete, versetzte ihn zunehmend in Unruhe und Erregung. Er hatte sich gern ganz diesem Gedanken hingegeben, der ihn immer mehr beherrschte und ihm das Herz erwarmte, aber er hatte Angst vor der Trennung, die unvermeidlich war, sobald ihre Mission beendet sein wurde.

Livia blickte in der Dunkelheit hinunter auf die Lichter des feindlichen Lagers in der Ebene. Die Zeit verstrich, und sie hatte nicht sagen konnen, wieviel vergangen war, als sie plotzlich eine gewisse Unruhe wahrnahm. Sie sah, wie sich die Schatten barbarischer Reiter mit brennenden Fackeln durch den Sumpf bewegten. Wahrscheinlich ging es um eine einfache Erkundung des Gelandes, aber dieser Anblick erinnerte sie an eine andere Szene, die sich ihrem Gedachtnis eingebrannt hatte: eine Schar barbarischer Reiter, die im Galopp auf das Ufer der Lagune zuritten, hinter ihnen ein Flammenmeer und vor diesem Hintergrund ein einziger Mann, der regungslos auf sie wartete. Sie erschauerte, als sei sie von einem eisigen Hauch gestreift worden, und wandte den Blick zur Hutte. Aure-lius war inzwischen eingeschlafen, erschopft von dem langen Reisetag und der Schwache aufgrund ihrer kummerlichen Nahrung. Livia nahm, wie von einer plotzlichen Eingebung getrieben, ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer und trat vorsichtig an ihn heran, kauerte sich neben ihm nieder und streckte die Hand aus, um seine Brust aufzudecken. Aurelius schnellte in die Hohe, das Schwert in der Hand, und hielt ihr die Spitze an die Kehle.

»La? das, ich bin's nur«, sagte Livia und wich zuruck.

»Aber was hast du gemacht? Ist dir klar, da? ich dich hatte umbringen konnen?«

»Ich habe nicht geglaubt, da? du aufwachen konntest, ich wollte nur ...«

»Was denn?«

»Du hast dich aufgedeckt, ich wollte dich zudecken.«

»Du wei?t genau, da? das nicht stimmt. Und jetzt sag mir die Wahrheit, oder ich verschwinde auf der Stelle.«

Livia stand auf und setzte sich neben das Feuer. »Ich ... glaube, ich wei?, wer du bist.«

Aurelius kam naher und schien ein paar Sekunden lang das Zungeln der blaulichen Flammen zu beobachten, die an der Glut leckten, dann sah er Livia direkt in die Augen. In seinem Blick lag ein kalter Schatten, als sei seine Seele von einer truben Flut von Erinnerungen uberschwemmt worden, als hatte eine alte Wunde wieder angefangen zu bluten. Mit einem Ruck drehte er sich um. »Ich mochte nichts horen«, sagte er mit tonloser Stimme.

»Die Nacht ist soeben angebrochen«, antwortete Livia. »Es bleibt die ganze Zeit fur eine lange Geschichte. Du hast gerade gesagt, da? du die Wahrheit wissen willst. Hast du das schon wieder vergessen?«

Aurelius wandte sich langsam um, senkte schweigend den Kopf, und Livia fuhr fort: »Eines Nachts, vor vielen Jahren, wurde die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, wo ich mein Zuhause und meine Eltern hatte, nach einer langen Belagerung plotzlich im Sturm erobert. Die Barbaren gaben sich der Plunderung hin und richteten ein Blutbad an. Die Manner wurden ermordet, die Frauen vergewaltigt und in die Sklaverei gefuhrt, die Hauser geplundert und gebrandschatzt. Mein Vater starb, als er versuchte, sich zu verteidigen: Er wurde vor unseren Augen auf der Schwelle unseres Hauses in Stucke gehackt. Meine Mutter fluchtete und hielt mich an der

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