Wulfila stand im Bug und steuerte auf Batiatus Boot zu. Aurehus zogerte nicht und schrie aus voller Kehle: »Wulfila, ich erwarte dich! Komm her und hol mich, du Barbar, wenn du den Mut dazu hast! Du verdammter Kerl mit deiner Narbe, komm nur her und hol mich!«

Wulfila drehte sich zur Kuste um und sah im Schein der - Buglaterne und der Fackeln seinen Feind aufrecht auf einem Felsen stehen, in der Hand das unbezwingbare Schwert. Wulfila brullte: »Wenden! Wenden! Ich will diesen Mann, und ich will dieses Schwert, und zwar um jeden Preis!«

Batiatus begriff, segelte mit dem Wind und fuhr weiter in Richtung Festland, wahrend Romulus ausrief: »Nein! Nein! Wir mussen ihm helfen! Wir durfen ihn nicht im Stich lassen! Kehr um, kehr um, ich befehle es dir!«

Livia trat an ihn heran. »Willst du, da? er sich vergeblich opfert? Er hat es fur dich getan. Er hat ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, damit wir uns entfernen konnen.« Sie drehte sich zur Insel um, und das Bild des aufrecht im Licht der Fackeln am Ufer stehenden Aurelius vermischte sich mit einem anderen aus weiter Vergangenheit, namlich dem eines romischen Soldaten, der, von einem Barbarenhaufen bedroht, regungslos am Ufer steht, hinter sich eine brennende Stadt. Sie sah sich selbst wieder, als kleines Madchen, auf einem Schiff, beladen mit Fluchtlingen, das auf den schwarzen Wellen der Lagune ebenso davonglitt wie jetzt dieses Boot.

Sie weinte.

XVIII

Wulfila befahl, die Buglaterne hoher zu heben, und die Mannschaft gehorchte und leuchtete das vor dem Schiff liegende felsige Ufer ab, wo Aurelius regungslos und mit dem Schwert in der Hand wartete.

Einige von Wulfilas Mannern machten ihre Bogen schu?bereit und nahmen Aurelius aufs Korn, weil sie glaubten, ihr Kommandant hatte diese bereits leichte Zielscheibe nur noch etwas besser beleuchten wollen, aber Wulfila gebot ihnen Einhalt. »Runter mit den Bogen! Ich habe euch doch gesagt, da? ich dieses Schwert haben will! Wenn das ins Meer fallt, finden wir es niemals wieder. Anlegen!« schrie er dann dem Steuermann zu. »Anlegen, hab ich gesagt! Wir mussen ihn lebend kriegen!«

Aus der Ferne beobachtete Vatrenus die Szene, aber er ahnte eher, was gerade vor sich ging, als da? er es tatsachlich sah.

»In den Wind!« befahl er Batiatus. Livia zuckte bei seinen Worten zusammen und trocknete sich die Augen, weil sie aus diesem unerwarteten Befehl eine Hoffnung heraushorte.

Batiatus gehorchte, ohne zu begreifen, und das Boot verlangsamte seine Fahrt, bis es zum Stehen kam.

»Warum machen wir halt?« fragte sie.

»Weil Aurelius sie auf die Klippen lockt«, erwiderte Vatrenus. »Hast du das denn nicht verstanden?«

»Steuerbord!« erscholl Demetrios' Stimme vom Bug.

Da sahen sie, da? sich ihnen ein zweites, kleineres, mit Soldaten beladenes Schiff naherte, an dessen Bordwanden und Rudern Fackeln und Laternen brannten. Es war zwar nur ein paar Meilen entfernt, kam aber ziemlich langsam voran.

»Was machen wir jetzt?« fragte Demetrios. »Gleich werden sie uns entdecken und auf uns zusteuern.«

»Warten wir!« rief Romulus aus. »Warten wir, so lange wir konnen, ich bitte euch!«

In diesem Augenblick drohnte das Krachen von splitterndem Holz, das gegen die Felsen geprallt war, uber die Meeresflache, wurde aber sofort ubertont von dem viel lauteren Getose des Vulkans, der soeben anfing, eine Wolke aus Feuer und Funken zum Himmel zu schleudern. In seiner Ungeduld, zu seinem Feind zu gelangen, hatte Wulfila nicht gezogert, den Bug seines Schiffes auf die Felsen zu setzen, und nun hoben die Wellen das Heck hoch und lie?en alle Mann quer uber das Schiffsdeck rollen. Wahrend sie fluchend versuchten, sich an der Reling festzuhalten, war auch Wulfila bemuht, sein Gleichgewicht wiederzufinden, um sich dann erneut auf seinen Gegner zu werfen. Aber Aurelius sprang ins Wasser und verschwand.

Es wurde immer finsterer, und auf das Deck des Bootes, in dem sich Livia und ihre Leute befanden, regnete Asche herab, und schon bald prasselten gluhende Lavabrockchen vom Himmel.

»Jetzt mussen wir aber fort von hier«, sagte Ambrosinus, »sonst ist es zu spat: Der Vulkan erreicht jetzt die explosivste Phase seiner Eruption. Wenn uns die Barbaren nicht einholen, werden diese gluhenden Lapilli unser Schiff in Brand setzen, und das hei?t, da? wir dann alle untergehen.«

»Nein!« rief Romulus. »Warten wir noch!« Und mit sehnsuchtigem Blick suchte er die dunkle Oberflache des Meeres ab, wahrend das feindliche Schiff sich immer mehr zwischen ihr Boot und Wulfilas Wrack schob, das bereits vollig den Sturzwellen ausgeliefert war. Der Lavaregen nahm noch an Starke zu, und einige kleine Feuerherde begannen, sich nahe von Livia und ihren Seilrollen auszubreiten. Das feindliche Schiff war noch nicht in einer Position, von der aus es Wulfilas von den Wogen zermalmtes Schiff sehen konnte, hatte aber in jedem Moment ihr Boot sichten konnen.

»Wie viele mogen das sein?« fragte Orosius und blickte besorgt hinuber, und just in diesem Augenblick drangte sich der feindliche Pobel im Bug seines Schiffs zusammen und begann brullend mit den Waffen herumzufuchteln.

»Ziemlich viele«, erwiderte Vatrenus duster. Er wandte sich an Livia: »Wenn du den Knaben retten willst, mussen wir jetzt verschwinden!« Livia nickte schweren Herzens.

»Hart am Wind!« befahl daraufhin Vatrenus. »Schnell, nichts wie weg von hier!«

Batiatus bediente die Leine mit Hilfe von Demetrios, der sich zum Ruder begeben hatte, und sie nahmen langsam Fahrt auf. Da tauchte plotzlich aus den Wellen, aus einem tosenden Schaumwirbel, ein Schwert auf, dann ein muskuloser Arm, der im Schein der Fackeln glanzte, daraufhin ein Kopf und schlie?lich eine starke Mannerbrust - Aurelius!

»Aurelius!« rief Romulus, au?er sich vor Aufregung.

»Er ist es!« schrien seine Kameraden und sturzten zur Reling. Vatrenus warf ihm ein Tau zu und zog ihn an Bord. Aurelius war so erschopft, da? nur die Umarmung seiner Gefahrten ihn daran hinderte, entkraftet an Deck zusammenzusinken. Livia lief ihm entgegen und druckte ihn, einer Ohnmacht nahe, an sich, und auch Romulus ging zu ihm und starrte ihn immer noch an, als konne er nicht glauben, da? er unversehrt war - so, als ware diese unwirkliche Atmosphare ein trugerischer Traum, der sich mit der Ruckkehr des Tageslichts in nichts auflosen mu?te.

Der dichte Nebel, den der Vulkan ausgespuckt hatte, verbreitete sich jetzt uber das Meer und trieb uber den Wellen dahin, bis er die Ufer der Insel streifte. Livias Boot tauchte in diesen Nebel ein und verschwand aus dem Blickfeld. Da horten die Verfolger die Schreie ihrer Kameraden, die vor der Kuste zwischen den Trummern ihres Schiffes im Wasser zappelten. Wulfila war es inzwischen gelungen, auf die Klippen zu steigen, und er forderte sie brullend auf, ihm zu Hilfe zu kommen. Das Schiff naherte sich, hielt aber vorsichtig einen gewissen Abstand, um nicht selbst zu havarieren. Dann sprangen die Schiffbruchigen ins Wasser und kraxelten schlie?lich der Reihe nach an Bord. Nachdem auch Wulfila in das Schiff geklettert war, gab er sofort Befehl, den Fluchtigen nachzusetzen, aber der Steuermann, ein alter Seebar aus Capri, der sich in diesen Gewassern auskannte, redete ihm das aus: »Wenn wir den Bug in Richtung See stellen, wird keiner von uns hier lebend herauskommen. Man sieht die Hand vor Augen nicht, und au?erdem regnet es Feuer. Schau doch nur!«

Wulfila blickte in Richtung Festland, auf den schwarzen Himmel, uber den eine Unmenge rotgluhender Geschosse flogen, und er spurte, da? seine Manner langsam Angst bekamen; es waren Leute aus dem Norden, die noch nie etwas Derartiges gesehen hatten. Er bi? sich auf die Lippen bei dem Gedanken, da? er ein Kind von dreizehn Jahren und einen alten Mann aus einer Festung hatte entkommen lassen, die von siebzig vorzuglichen Soldaten bewacht wurde. Was ihn aber am meisten schmerzte, war der Verlust dieses phantastischen Schwertes, das er mit aller Macht begehrte, seit er es zum ersten Mal mit seinem unmerklichen Leuchten in der Hand seines Feindes hatte funkeln sehen.

»Zuruck in den Hafen!« befahl er, und das Schiff wendete und anderte den Kurs. Die Seeleute, allesamt Einheimische, ruderten kraftig, weil sie die Gefahr, die ihnen drohte, gut kannten, doch sie folgten ruhig und diszipliniert den Anweisungen ihres Steuermanns. Die Barbaren dagegen waren bereits in Panik und betrachteten bleich und zitternd vor Angst den hollischen Regen, der vom Himmel fiel, und zuckten bei jedem Getose zusammen. Wo immer sich der Nebel ausbreitete, erfullte ein strenger Schwefelgeruch die Luft, und in Richtung Festland bebte der Horizont von blutroten Blitzen.

Unterdessen kam Livias Boot in der Dunkelheit allmahlich voran. Demetrios war auf die Spitze des Vordermasts geklettert, an dem die Laterne hing, wo er forschend nach vorn blickte und versuchte, Gefahren oder plotzlich auftauchenden Hindernissen auszuweichen, doch unter diesen grauenhaften Umstanden blieb ihr

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