gemeinsames Schicksal in erster Linie dem Zufall uberlassen. Die Spannung an Bord war mit Handen zu greifen. Niemand sagte ein Wort, um die Kameraden nicht abzulenken, die sich auf die Manover dieser Fahrt konzentrierten, welche sie fast auf gut Gluck durchfuhrten. Demetrios, der auf dem Bugspriet sa? und die Beine uber Bord baumeln lie?, versuchte so gut wie moglich Kurs zu halten und verlie? sich dabei mehr auf seinen Instinkt als auf irgendeinen seiner Sinne. Ambrosinus wandte sich an Vatrenus und fragte: »Wohin fahren wir eigentlich?«

»Wer soll das wissen? Nach Norden, nehme ich an. Das ist die einzige Moglichkeit, die uns bleibt.«

»Vielleicht konnte ich euch helfen ... Wenn blo? ...« Vatrenus schuttelte skeptisch den Kopf. »La? es gut sein. Wir sind selber schon genug verwirrt. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

»Und dennoch ist es schon einmal passiert. Vor vierhundert Jahren. Der Vulkan verschuttete drei Stadte samt ihren Bewohnern. Von ihnen ist keine Spur geblieben, aber Plinius hat die eruptiven Phasen des Vulkans ganz genau geschildert. Deswegen habe ich euch diese Nacht vorgeschlagen ... Ich hatte geglaubt, da? sich unsere Flucht in dem allgemeinen Durcheinander einfacher gestalten wurde. Leider habe ich mich geirrt: Die explosive Phase hat einige Stunden spater eingesetzt, als ich vorherberechnet hatte.« Vatrenus starrte ihn verdattert an.

Aurelius, der sich inzwischen wieder erholt hatte, gesellte sich zu ihnen. »Inwiefern wolltest du uns helfen?« fragte er Ambrosinus. Dieser holte gerade zu einer Antwort aus, da ertonte vom Bug her Demetrios' Stimme: »Schaut euch das einmal an!«

Die Wolke begann sich zu lichten, und vor ihnen kundigte ein fast unmerkliches Schimmern auf den Wellen das erste Licht des neuen Morgens an. Sie umrundeten das Kap von Miseno, das jetzt die Spitze uber die Wolke aus Rauch und Asche reckte, die uber dem Meer lag, und das Licht der aufgehenden Sonne fiel auf seinen Gipfel. Alle starrten wie gebannt auf diese plotzliche Erscheinung, wahrend der Nebel immer weiter aufri?, bis das Boot und seine Besatzung schlie?lich voll von der Sonne bestrahlt wurden, die jetzt von den Gipfeln der Lattariberge herunter schien.

Die Nacht lag hinter ihnen mit all ihren Schrecken, der Beklemmung, den Muhen ihrer beschwerlichen Flucht, mit der standigen und unerbittlichen Verfolgung und der Angst, da? sich die Hoffnung beim ersten Licht des Tages verfluchtigen wurde wie ein trugerischer Traum. Die Sonne strahlte uber ihnen wie eine wohlwollende Gottheit, das Rumoren des Vulkans verlor sich in der Ferne wie das letzte Grummeln eines Gewitters, und das Blau des Meeres und des Himmels vermischte sich zu einem einzigen Triumph des Lichts, der Luft und der intensiven Dufte, die der Wind vom Festland heruberwehte.

Romulus wandte sich an seinen Lehrer. »Sind wir jetzt frei?«

Ambrosinus hatte ihm gern erklart, da? die Gefahren noch nicht ganz gebannt waren, da? ihnen noch eine Reise bevorstand, die wahrscheinlich voller Wechselfalle und Hindernisse sein wurde, aber er brachte es nicht uber das Herz, die Freude zu truben, die er zum ersten Mal nach so langer Zeit in den Augen des Jungen glanzen sah. So antwortete er, nur muhsam die Erregung beherrschend, die in seiner Stimme zitterte: »Ja, mein Kind, wir sind frei.«

Romulus nickte mehrmals, als wolle er sich vergewissern, da? diese Worte der Wahrheit entsprachen, dann trat er zu Aurelius und Livia, die ihn aus einiger Entfernung betrachtet hatten, und sagte mit leiser Stimme: »Danke.«

Das Boot landete an einem verlassenen Abschnitt der Kuste in der Nahe einer Meeresvilla, etwa drei?ig Meilen nordlich von Cumae. Livia sprang ins Wasser und eilte allen voran auf das Festland, um zu zeigen, da? das Kommando des Unternehmens immer noch fest in ihren Handen lag.

»Versenkt das Boot!« rief sie Aurelius zu. »Und dann kommt mir nach! Dorthin, aber schnell!« Und sie zeigte auf ein verfallenes Haus, das hinter einem Baumdickicht kaum zu erkennen war, obwohl es nicht einmal eine Meile entfernt lag. Aurelius half Romulus, ins Wasser zu steigen, wahrend Batiatus und Demetrios unter Ambrosinus besorgtem Blick zu den Axten griffen.

»Aber warum denn?« fragte er. »Warum versenkt ihr das Schiff? Es ist in diesen Zeiten das sicherste Transportmittel. La?t das sein, ich bitte euch! Hort auf mich!«

Livia bemerkte die Verzogerung und kehrte um. »Ich habe euch gesagt, da? ihr mir folgen sollt! Wir haben keine Minute zu verlieren! Sie konnen uns jeden Moment auf den Leib rucken. Dieser Junge hier ist die meistgesuchte Person im ganzen Reich. Ist dir das denn noch immer nicht klar?«

»Doch, naturlich«, erwiderte Ambrosinus. »Aber das Schiff ist das sicherste Transportmittel und ...«

»Keine Diskussionen! Ihr kommt mir nach und basta, und zwar schnell!« befahl Livia mit barscher und gebieterischer Stimme. Ambrosinus folgte ihr schweren Herzens, drehte sich aber mehrmals um und betrachtete das Boot, das zu sinken begann. Orosius war schon von Bord gegangen, Demetrios folgte ihm, und gleich danach sprangen auch Aurelius, Vatrenus und Batiatus an Land und rannten der Reihe nach hinter der kleinen Gruppe her, die Livia, im Dickicht des Kustenbuschwalds, von dem die ganze Gegend bedeckt war, in Sicherheit brachte.

»Ich kann es immer noch nicht glauben«, keuchte Vatrenus. »Zu sechst haben wir siebzig Wachen ubertolpelt, die sich in einer solchen Festung verschanzt hatten!«

»Wie in den alten Zeiten!« jubelte Batiatus. »Aber mit einem angenehmen Unterschied«, fugte er hinzu und zwinkerte Livia zu, die ihm als Erwiderung zulachelte.

»Ich kann es kaum abwarten, alle diese schonen Goldmunzen zu zahlen«, setzte Vatrenus noch hinzu. »Tausend Solidi, hast du gesagt. Das war doch richtig, oder?«

»Und ob!« bestatigte Aurelius. »Aber denk daran, da? wir sie uns noch nicht verdient haben. Zuvor mussen wir ganz Italien, von der einen zur anderen Seite, durchqueren, bis zu dem Ort, an dem dann vereinbarungsgema? die Ubergabe stattfinden wird.«

»Und wo ist dieser Ort?« fragte Vatrenus.

»Es ist ein Hafen an der adriatischen Kuste, wo ein Schiff auf uns wartet. Dort wird der Junge in Sicherheit sein, und wir bekommen einen Haufen Geld.«

Livia blieb vor dem Haus stehen und kundschaftete dann die Ruine vorsichtig aus, wobei sie den Bogen mit dem abschu?bereiten Pfeil vor der Brust hielt. Plotzlich horte sie ein gedampftes Schnauben und sah sechs Pferde und einen Maulesel, die uber ihre Zugel an einem durch zwei Eisengitter gefuhrten Seil aneinandergebunden waren. Unter ihnen erkannte sie sofort Juba, der zu stampfen begann, sobald er den Geruch seines Herrn witterte.

»Juba!« rief Aurelius und lief auf ihn zu, um ihn loszubinden. Er umarmte ihn wie einen alten Freund.

»Na, bist du zufrieden?« fragte Livia. »Eustasius hat gute Arbeit geleistet: Stephanus hat in dieser Gegend wirklich erstklassige Kontaktleute! Alles lauft wie geschmiert.«

»Ich bin sehr froh«, antwortete Aurelius. »Auf der ganzen Welt gibt es kein besseres Pferd als Juba.«

Da kam Ambrosinus nach vorn und trat neben Livia, die gerade ihr Pferd losband und sich in den Sattel schwingen wollte. »Ich bin fur die Unversehrtheit des Kaisers verantwortlich«, sagte er und blickte sie fest an, »und glaube, erfahren zu durfen, wohin ihr ihn bringt.«

»Ich bin es, die fur die Unversehrtheit des Knaben verantwortlich ist - angesichts der Tatsache, da? ich euch beide aus der Gefangenschaft befreit habe. Aber ich verstehe deine Besorgnis. Da? ich nicht aus eigenem Antrieb gehandelt habe, das ist dir klar, nicht wahr? Ich fuhre nur die Anweisungen aus, die ich erhalten habe. Wir werden den Knaben an die Adria bringen, und von dort wird er Weiterreisen, und zwar an einen Ort, an dem die Barbaren niemals an ihn herankommen werden und wo er eine seiner kaiserlichen Wurde entsprechende Heimstatt finden wird ...«

Ambrosinus' Miene verfinsterte sich. »Konstantinopel ... habe ich recht? Ihr wollt ihn nach Konstantinopel bringen ... Das ist eine Schlangengrube, wo beim Kampf um die Macht niemand verschont bleibt, weder Bruder noch Schwestern, noch Eltern, ja nicht einmal die eigenen Kinder ...« Er hatte nicht bemerkt, da? Romulus hinzugetreten und ihm wahrscheinlich kein einziges Wort seiner flammenden Rede entgangen war. Doch es war schon zu spat, und der Junge war sich ohnehin seiner Situation bewu?t. Ambrosinus legte ihm eine Hand auf die Schulter und zog ihn an sich, als wolle er ihn vor einer neuen Gefahr beschutzen, die nicht geringer war als die, der er bislang ausgesetzt gewesen war. »Dort unten hatte er niemanden, der ihn beschutzen konnte«, fuhr er fort. »Er ware jeder Laune, jeder Willkur ausgeliefert. La? ihn bei mir, ich bitte dich.«

Livia gelang es nicht, seinem Blick standzuhalten. Sie erwiderte, nicht ohne Unbehagen: »Er ist nicht irgendein Knabe, und das wei?t du sehr wohl. Du kannst nicht im Ernst glauben, da? du ihn fuhren kannst, wohin es dir gefallt, aber ohne uns wurdet ihr sowieso nicht weit kommen. Jedenfalls darfst du, wenn du willst, mit ihm gehen. Aber jetzt steigt lieber auf. Reiten wir los! Es ist gefahrlich, hierzubleiben, wir sind zu nahe an der Kuste.«

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