gelegen hatten.
Etwas weiter entfernt hatte sich Romulus bereits auf seinem Nachtlager ausgestreckt, konnte aber nicht einschlafen. Er hatte mitbekommen, da? etwas Gravierendes eine ernsthafte Konfrontation zwischen seinen Reisegefahrten ausgelost hatte, aber nicht, worum es dabei gegangen war. Er befurchtete, auf irgendeine Weise Gegenstand dieser Diskussion gewesen zu sein. Deshalb walzte er sich standig von der einen zur anderen Seite, ohne Ruhe zu finden.
»Schlafst du nicht?« fragte ihn Ambrosinus.
»Ich kann nicht.«
»Das tut mir leid. Es ist meine Schuld. Ich hatte diese Sachen im Zusammenhang mit Konstantinopel und all das ubrige nicht sagen durfen. Das war leichtsinnig von mir. Verzeih mir.«
»Mach dir keine Sorgen! Das hatte man sich ja denken konnen. Warum hatten sie denn sonst eine derart schwierige und riskante Operation organisieren sollen, wenn nicht aus irgendwelchen politischen Grunden? Oder eben um des Geldes willen, wie du gesagt hast. Ich habe dir namlich zugehort, als du Livia angeschrien hast.«
»Ich war au?er mir. Diesen Worten darfst du nicht allzu gro?es Gewicht beimessen.«
»Und dennoch hast du recht. Sie sind Soldner, sowohl Livia als auch Aurelius und auch die anderen, die sich ihnen angeschlossen haben - was denn sonst?«
»Du bist ungerecht. Aurelius hat ohne Aussicht auf irgendeine Belohnung versucht, dich in Ravenna zu befreien, nur weil dein Vater ihn kurz vor seinem Tod darum gebeten hatte. Vergi? nicht: Aurelius ist der Mann, der die letzten Worte deines Vaters gehort hat. In ihm gibt es also etwas von deinem Vater, und zwar etwas sehr Wichtiges.«
»Das ist nicht wahr.«
»Glaube, was du willst, aber es ist so.«
Romulus versuchte, sich zu beruhigen und seine angespannten Glieder auszustrecken. Der Ruf einer Eule ertonte in der Ferne wie ein trauriges Lied und lie? ihn unter seiner Decke erschauern.
»Ambrosinus ...«
»Ja?«
»Du willst nicht, da? sie mich nach Konstantinopel bringen. Habe ich recht?«
»Ja.«
»Und was konnen wir tun, um dem zu entgehen?«
»Recht wenig. Eigentlich nichts.«
»Aber du kommst mit mir, wohin auch immer?«
»Kannst du daran zweifeln?«
»Nein. Ich habe keinen Zweifel. Aber wenn es von dir abhangen wurde, was wurdest du dann tun?«
»Ich wurde dich mit mir nehmen.«
»Wohin?«
»Nach Britannien. In meine Heimat. Sie ist schon, wei?t du. Eine Insel, ganz grun, mit schonen Stadten und fruchtbaren Feldern, mit eindrucksvollen Waldern aus riesigen Eichen, Buchen und Ahornbaumen, die in dieser Zeit des Jahres ihre kahlen Aste in den Himmel recken wie Riesen, die versuchen, nach den Sternen zu greifen. Und Wiesen, weit ausgedehnte Flachen, Weiden fur die Schaf- und Rinderherden. Und da und dort erheben sich gro?artige Monumente, gewaltige kreisformige Steinmonumente, deren Bedeutung nur den Priestern der alten Religion bekannt ist - den Druiden.«
»Ich wei?, wer sie sind. Das habe ich bei Julius Casar in
»Ja, das stimmt. Ich bin in diese alte Wissenschaft eingeweiht worden.«
»Und du glaubst auch an unseren Gott?«
»Es gibt nur einen Gott, Casar. Es gibt allerdings verschiedene Wege, die die Menschen einschlagen, um nach ihm zu suchen.«
»Und trotzdem habe ich in deinen Erinnerungen die Beschreibung eines unruhigen Landes gelesen. Auch bei euch gibt es wilde Barbaren ...«
»Das ist richtig. Der Gro?e Wall reicht seit langerem nicht mehr aus, um sie aufzuhalten.«
»Gibt es also auf dieser Welt keinen Frieden? Gibt es keinen Ort, wo man in Frieden leben kann?«
»Der Frieden mu? erkampft werden, mein Kind, denn er ist das kostbarste Gut. Aber jetzt schlaf ein. Gott wird uns, wenn der Augenblick gekommen ist, eine Erleuchtung gewahren. Da bin ich mir sicher.«
Romulus sagte nichts weiter, kuschelte sich in seine Decke und lauschte dem monotonen Geschluchze der Eule, das von den Bergen widerhallte, bis er von einem Gefuhl gro?er Ermattung uberwaltigt wurde und die Augen schlo?.
Langsam zogen die Sterne uber den Himmel, und der kalte Nordwind machte die Luft durchsichtig wie Glas. Die Flammen des Lagerfeuers belebten sich wieder und verbreiteten ein hellglanzendes Licht; dann erloschen sie rasch, und auf dem gro?en dunklen Berg war nur noch der schwache Schein des glimmenden Holzes zu sehen.
Mitten in der Nacht loste Aurelius Demetrios und Vatrenus Orosius ab. Sie hatten sich im Laufe ihres in Feldlagern verbrachten Lebens an diese Rhythmen gewohnt, und etwas in ihrem Inneren weckte sie im richtigen Augenblick. Es war fast so, als konnte ihr Geist, wahrend sie sich ausruhten, den Bahnen der Gestirne folgen und sie messen. Im Morgengrauen wollten sie ihre Reise fortsetzen, und zwar nach einem uppigen Fruhstuck, denn Eustasius hatte dafur gesorgt, da? sie in den Futtersacken der Pferde auch frischen Proviant vorfanden: Brot, Oliven, Kase und ein paar mit Wein gefullte Schlauche. Ambrosinus nahm die Sachen, die er in der Nahe der Glut hatte trocknen lassen, und steckte sie wieder in seinen Sack. Mit den geubten Griffen eines Soldaten rollte Romulus seine Decke zusammen und verschnurte das Bundel.
In diesem Augenblick trat Livia an seine Seite, in der Hand das Geschirr ihres Pferdes. »Du bist sehr tuchtig«, sagte sie. »Wo hast du das denn gelernt?«
»In den beiden letzten Jahren hatte ich Unterricht bei einem Herrn vom Militar, einem Offizier aus der Leibwache meines Vaters. Auch er ist in der Nacht des Uberfalls auf die Villa in Piacenza umgekommen. Sie haben ihm den Kopf abgeschlagen.«
»Ware es dir recht, wenn du heute mit mir reiten wurdest?« fragte Livia, wahrend sie ihrem Pferd Trense und Zaumzeug anlegte.
»Das ist nicht so wichtig«, sagte Romulus. »Ich will niemandem zur Last fallen.«
»Mich wurde es aber freuen«, beharrte Livia.
Romulus zogerte einen Augenblick, bevor er erwiderte: »In Ordnung, unter der Bedingung, da? wir nicht von Konstantinopel und all diesen anderen Sachen reden.«
»Einverstanden«, stimmte Livia zu. »Kein Wort von Konstantinopel.«
»Aber zuerst mu? ich mit Ambrosinus reden. Ich will nicht, da? er sich gekrankt fuhlt.«
»Ich warte auf dich.«
Romulus kehrte wenige Augenblicke spater zuruck. »Ambrosinus hat gesagt, da? das in Ordnung geht, aber da? du nicht zu schnell reiten darfst.«
Livia nickte und lachelte. »Steig auf, los.« Und sie lie? ihn vor sich sitzen.
Die Kolonne setzte sich in Bewegung und hielt auf den Pa? zu, der zwischen zwei schneebedeckten Gipfeln aus der Ferne wie ein Sattel aussah.
»Da oben wird es kalt sein«, sagte Romulus. »Und ausgerechnet heute mussen wir dort ubernachten.«
»Ja, aber dann beginnen wir mit dem Abstieg zur Adria hin, zu meinem Meer. Wir werden noch die letzten Herden der Hirten antreffen, die auf den tiefer gelegenen Weiden uberwintern werden. Vielleicht wirst du dann auch ein paar neugeborene Lammchen sehen. Wurde dir das nicht gefallen?«
»Ich wei? auch uber Ackerbau und Viehzucht Bescheid: Ich habe Columella, Varro, Cato und Plinius gelesen, mich bereits als Imker betatigt und kenne die Techniken des Baumschnitts und der Veredelung, die richtigen Zeiten fur das Beschalen, fur die Garung des Mostes ...«
»Wie ein echter Romer in den alten Zeiten.«
»Und all das habe ich wohl umsonst gelernt. Ich glaube nicht, da? ich jemals Gelegenheit haben werde, diese Kenntnisse praktisch anzuwenden. Meine Zukunft liegt nicht in meiner Hand.«