Livia antwortete nicht auf diese Worte, die fast wie ein Vorwurf klangen. Romulus war es, der dann als erster wieder das Wort ergriff. »Bist du eigentlich die Braut von Aurelius?«
»Nein. Das bin ich nicht.«
»Aber warest du das gern?«
»Ich glaube nicht, da? dich das etwas angeht. Trotzdem, wenn du es schon wissen willst: Ich war es, die ihn in jener Nacht rettete, in der er versuchte, dich aus Ravenna herauszuholen. Er hatte eine schlimme Wunde an der Schulter davongetragen.«
»Ich wei?. Ich war ja dabei, als er getroffen wurde. Trotzdem bist du deswegen noch lange nicht seine Braut.«
»Genau. Wir sind wegen dieser Mission zusammen.« »Und danach?«
»Danach wird jeder seiner Wege gehen, nehme ich an.«
»Ach so.«
»Enttauscht?«
»Warum sollte ich? Es geht mich doch nichts an, oder?«
»Nein, wirklich nicht.«
Sie ritten wortlos ein paar Meilen weiter. Romulus schien seinen Blick schweifen zu lassen und die Landschaft zu betrachten, die fast ode, aber dennoch zauberhaft schon war. Bald kamen sie dicht an einem See vorbei, in dem sich ein Himmel spiegelte, der genauso klar und sauber war wie das Wasser. Ein Rudel Wildschweine, das am Waldrand in der Erde wuhlte, rannte davon, um sich im Unterholz zu verkriechen. Ein gro?er Hirsch hob seinen herrlichen Kopf, der sich einen Moment lang unbeweglich und majestatisch vor der aufgehenden Sonne abzeichnete, und verschwand dann mit einem einzigen Satz.
»Stimmt es, da? ihr es des Geldes wegen gemacht habt?« fragte Romulus wieder.
»Wir werden eine Belohnung bekommen, wie sie jeder Soldat erhalt, der seinem Vaterland dient. Aber das hei?t nicht, da? wir es deswegen getan haben.«
»Warum denn sonst?«
»Weil wir Romer sind und du unser Kaiser bist.«
Darauf erwiderte Romulus nichts. Der Wind frischte auf, ein kalter Wind, der, aus Nordost kommend, uber die schneebedeckten Gipfel des Apennin strich. Als Livia spurte, da? der Junge erschauerte, deckte sie ihn mit ihrem Umhang zu, legte die Arme um ihn und zog ihn sanft naher an sich heran. Romulus versuchte zunachst, sich dagegen zu wehren, doch dann gab er der Warme ihres Korpers nach. Er schlo? die Augen, und es schien ihm, als konne er doch noch glucklich sein.
XX
Die Reise zog sich noch drei Tage dahin; auf steilen, abgelegenen Wegen, die Schutz vor unliebsamen Begegnungen boten, ging es durch gro?tenteils verlassene Landstriche und Walder. Wenn gerastet und das Lager aufgeschlagen wurde, machte Aurelius mit einem seiner Manner oder mit Livia einen ausfuhrlichen Erkundungsritt, um sicherzugehen, da? keine Gefahr drohte. Aber sie fanden nie etwas, das sie irgendwie alarmiert hatte. Wahrscheinlich war den Feinden bis heute nicht klar, welchen Weg sie eingeschlagen hatten. Wie hatten sie ihnen auch auf die Spur kommen sollen? Schlie?lich hatten die nachtliche Finsternis und der Aschenregen nach dem Vulkanausbruch ihren Kurs unkenntlich gemacht. Spater hatten sie ihr Boot versenkt und waren erst eine Weile zu Fu? gegangen, bevor sie ein gutes Stuck landeinwarts auf ihre Pferde stiegen; auf diese Weise hatten sie an der Stelle, an der sie an Land gegangen waren, keinerlei Spuren hinterlassen.
Es lief alles wie geschmiert; wenn es so weiterging, wurden sie punktlich zu ihrer Verabredung mit dem byzantinischen Schiff zur Kuste vorgesto?en sein. Die anfangliche Aufregung hatte sich gelegt, die Atmosphare war entspannter. Es wurde wieder gescherzt, manchmal herrschte sogar eine richtig ausgelassene Stimmung. Romulus ritt nach wie vor auf Livias Pferd mit, und Aurelius trabte oft neben ihnen her und lachelte ihm zu. Wahrend des Nachtlagers hielt er sich gern in der Nahe des Tungen auf, gro?ere Vertrautheit schien er jedoch vermeiden zu wollen, was Romulus sich nur mit dem Umstand ihrer unmittelbar bevorstehenden Trennung erklaren konnte.
»Du kannst ruhig mit mir sprechen«, sagte er eines Abends zu ihm, als Aurelius etwas abseits sitzend sein Abendbrot verzehrte. »Oder hat du Angst, da? ich bei?e?«
Aurelius uberhorte die Provokation.
»Nein, Casar«, erwiderte er lachelnd. »Es ist ein Vergnugen, sich mit dir zu unterhalten, und obendrein eine gro?e Ehre. Wenn es nach mir ginge, wurde ich es viel ofter tun, aber in Kurze trennen sich unsere Wege, und wenn wir jetzt noch Freundschaft schlie?en, fallt uns der Abschied um so schwerer ...«
»Wer hat von Freundschaft gesprochen?« fiel Romulus ihm gereizt ins Wort. »Ein wenig plaudern, das habe ich gemeint.«
»Wenn es so ist ...« erwiderte Aurelius. »Woruber wollen wir plaudern?«
»Uber euch, zum Beispiel. Was stellt ihr an, nachdem ihr mich meinen neuen Bewachern ausgeliefert habt?«
»Ausgeliefert scheint mir nicht das richtige Wort.«
»Aber genau darum geht es.«
»Warst du denn lieber auf Capri geblieben?«
»Jetzt gefragt - nein. Aber ich wei? ja gar nicht, was auf mich zukommt. Hatte ich die Wahl gehabt, so bestenfalls zwischen zwei Arten von Gefangenschaft. Da ich aber die, welche mich erwartet, noch gar nicht kenne, wie konnte ich da einer den Vorzug geben? Ein freier Mensch hat die Moglichkeit zu wahlen, ich dagegen wechsle lediglich von einem Gefangnis ins andere, und keiner garantiert mir, da? mich das zweite nicht dem ersten nachtrauern la?t.«
Aurelius bewunderte Romulus rhetorisches Geschick, seine schlagenden Argumente, denen er nichts entgegenzuhalten hatte. »Ich hoffe nicht«, entgegnete er deshalb nur. »Und ich hoffe es von ganzem Herzen.«
»Das nehme ich dir sogar ab. Also, sag schon, was unternehmt ihr danach?«
»Keine Ahnung. Meine Gefahrten und ich haben unterwegs ein paarmal daruber gesprochen - ein wenig, um die Zeit totzuschlagen, ein wenig auch aus Angst vor der Zukunft, aber keiner von uns hat genaue Vorstellungen. An dem Tag, an dem wir angegriffen wurden, sagte Vatrenus, er habe genug von diesem Leben, er wolle sich auf eine Insel zuruckziehen, Schafe huten und Ackerbau treiben ... Bei den Gottern, das ist gerade ein paar Wochen her, und mir scheint es, als seien Jahrzehnte vergangen! Damals kam es mir wie ein Witz vor, aber in der jetzigen Lage, so unsicher, so duster, denke ich mir: Warum eigentlich nicht?«
»Schafe huten auf einer Insel? Das wurde mir auch gefallen ... wenn ich uber meine Zukunft entscheiden konnte. Aber das kann ich ja nicht.«
»Dafur tragt niemand die Schuld.«
»Und ob! Jeder, der ein Unrecht nicht verhindert, ist mit schuld.«
»Seneca.«
»Weich mir nicht aus, Soldat.«
»Wir konnen es zu sechst oder siebt nicht mit der ganzen Welt aufnehmen. Abgesehen davon, da? ich es nicht fertigbringen wurde, meinen Gefahrten noch mehr Opfer abzuverlangen. Sie haben getan, was sie konnten. Jetzt steht ihnen die versprochene Belohnung zu und die Freiheit zu entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Vielleicht trennen wir uns und gehen jeder seinen eigenen Weg, vielleicht ziehen wir auch alle zusammen nach Sizilien, wo Vatrenus ein Landhaus besitzt. Und wer wei?, vielleicht verschlagt es uns eines Tages sogar in den Orient, dann kommen wir dich in deinem prachtigen Palast besuchen, was meinst du? Ich hoffe, du ladst uns wenigstens zum Essen ein.«
»Oh, naturlich, das ware wundervoll! Daruber ware ich sehr glucklich und stolz und ...« Romulus hielt inne, denn er begriff, da? fur Gefuhle kein Platz war. »Ich glaube, ich gehe besser schlafen«, sagte er und stand auf. »Danke fur die Gesellschaft.«
»Ich danke dir, Casar«, erwiderte Aurehus mit einem Kopfnicken und blickte ihm nach.
Der ganze nachste Tag fuhrte sie durch hochst unwegsames Gelande, weite Wegstrecken mu?ten sie sogar zu Fu? zurucklegen, um zu verhindern, da? die Pferde sich die Beine brachen. Sie folgten dem Lauf eines kleinen Baches in Richtung Meer, was denkbar unbequem, jedoch die einzige Moglichkeit war, Ortschaften zu umgehen, in denen sie zwangslaufig Aufsehen erregt hatten. Hier und da verbreiterte sich das schmale Tal zu einer Niederung, in der einzelne Hirten ihre Herden weideten. Auch Bauern, die im Wald durre Aste als Brennholz fur den Winter