die Arme laufen. Mein Vorschlag ware, vorerst in den Bergen zu bleiben und auf halber Hohe weiter in Richtung Westen zu ziehen. Auf der Hohe von Piacenza angekommen, mu?ten wir dann entscheiden, ob wir bis Postumia weiterwandern und von dort nach Gallien absteigen oder aber in nordlicher Richtung auf den Lago Verbano zusteuern und dort dann den Pa? nehmen, der die Poebe-ne mit dem westlichen, jetzt von Burgund kontrollierten Raetien verbindet.« Ambrosinus erinnerte sich auch, da? er seinerzeit, bei seiner Ankunft in Italien, nicht weit von dem Gebirgspa? entfernt auf einen einigerma?en gangbaren Weg gesto?en war, der in ein raetisches Dorf nahe der Wasserscheide fuhrte.
»Wenn ihr mich fragt«, schlo? er, »sollten wir die erste Moglichkeit ausschlie?en, denn auf dieser vielbenutzten Route waren wir standig der Gefahr ausgesetzt, entdeckt zu werden. Der Nordweg ist zwar schwieriger und anstrengender, aber gerade deshalb auch sicherer fur uns.«
Aurelius nickte eifrig und mit ihm Batiatus und Vatrenus, was dem alten Ambrosinus nicht entging: Die drei Gefahrten wu?ten nur zu gut, da? der Westweg sie durch Dertona gefuhrt hatte, wo die Felder noch heute mit den verblichenen Knochen ihrer gefallenen Kameraden ubersat waren.
XXIII
»So eine lange Reise kostet viel Geld«, sagte Livia, das Schweigen unterbrechend, das sich plotzlich uber die kleine Gesellschaft gesenkt hatte. »Und wir haben keines mehr.«
»Stimmt«, nickte Ambrosinus, »Geld fur Proviant, fur Bruckenzolle und Fahrleute; und wenn wir erst einmal im Hochgebirge sind, kommen noch andere Ausgaben dazu: Heu fur die Pferde und die ein oder andere Unterkunft fur uns, wenn es zu kalt ist, um drau?en zu ubernachten.«
»Es gibt nur eine Moglichkeit«, erwiderte Livia. »Stephanus mu?te jetzt in Rimini, in seiner Villa am Meer sein. Er schuldet uns noch den Lohn, seinen Auftrag haben wir ja erfullt, und selbst wenn er uns nicht die volle Summe bezahlt, eine kleine Unterstutzung wird er uns wohl nicht verweigern. Ich kenne die Villa, ich habe dort einmal Antemius getroffen, es durfte mir nicht schwerfallen, sie wiederzufinden.«
»Ja, aber durfen wir Stephanus trauen?« fragte Aurelius.
»Ich denke schon«, erwiderte Livia. »Im Grunde ist er nach Fano gekommen, um uns zur Flucht zu verhelfen. Er kampft ums Uberleben wie wir alle und hangt sein Fahnchen nach dem winde. Aber wenn Antemius ihm vertraut hat, so sicher nicht grundlos.«
»Das ist es ja, was mir Sorgen bereitet: Antemius hat uns verraten.«
»Das dachte ich im ersten Moment auch, aber bei langerem Nachdenken bin ich darauf gekommen, da? ihn der Thronwechsel in Konstantinopel in eine katastrophale Lage versetzt haben mu?. Vielleicht ist er entdeckt und gefoltert worden ... schwer zu sagen, was wirklich passiert ist. Aber wie auch immer: Ihr riskiert gar nichts. Ich gehe allein zu Stephanus.«
»Kommt nicht in Frage«, erwiderte Aurelius. »Ich begleite dich.«
»Besser nicht«, meinte Livia. »Du wirst hier, bei Romulus, gebraucht. Ich breche vor Sonnenaufgang auf und bin, wenn alles glattgeht, ubermorgen abend zuruck. Wenn nicht, zieht ihr ohne mich weiter. Irgendwie kommt ihr schon durch - ihr habt schon Schlimmeres uberstanden.«
»Bist du sicher, es in so kurzer Zeit zu schaffen?« fragte Ambrosinus.
»Ja. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, bin ich vor Einbruch der Dunkelheit bei Stephanus. Am nachsten Tag breche ich sehr fruh auf und verbringe die Nacht schon wieder mit euch.«
Die Gefahrten sahen sich ratlos an.
»Wovor habt ihr Angst?« meinte Livia leichthin. »Bevor ich euch kannte, habe ich mich auch alleine durchgeschlagen - au?erdem habt ihr mich doch schlie?lich kampfen gesehen, oder?«
Ambrosinus hob den Blick von seiner Karte. »Hor zu, Livia«, sagte er, »jede Trennung schafft eine schwierige Situation. Der Wartende, der langer als abgemacht warten mu?, stellt die absurdesten Vermutungen an, malt sich mit jeder Stunde, die vergeht, noch schlimmere Szenarien aus, zahlt die Schritte des abwesenden Gefahrten und berechnet immer wieder aufs neue die Zeit, die er zur Ruckkehr benotigt. In den seltensten Fallen liegt er mit seinen Erklarungsversuchen richtig - meistens hat die Verspatung in Wirklichkeit einen ganz anderen Grund als den, den er sich vorstellt. Auf der anderen Seite qualt sich aber auch der Abwesende, der aus irgendeinem Grund aufgehalten wird; er denkt: Hatten wir uns blo? ein paar Stunden mehr Zeit gegeben, dann ware uns viel Sorge erspart geblieben. Machen wir also einen zweiten Treffpunkt aus.
Wenn du ubermorgen abend nicht zuruck bist, bleiben wir trotzdem uber Nacht hier und brechen erst im Morgengrauen auf. Wenn du auch bis dahin noch nicht erschienen bist, gehen wir davon aus, da? du auf irgendein unuberwindliches Hindernis gesto?en bist. Wisse aber, da? wir die Alpen beim Saltus Mesiatum uberqueren; du siehst ihn hier eingezeichnet«, sagte er und deutete auf die Karte. »Das kannst du mitnehmen, ich habe den Weg bereits genau im Kopf. Mit Hilfe der Karte kannst du uns auf alle Falle nachkommen, wenn es dir nicht gelingt, punktlich zu sein.«
»Gute Idee«, erwiderte Livia. »Dann bereite ich jetzt alles fur morgen vor.« Ihr Pferd graste ein paar Schritte entfernt. Livia griff nach seinem Zaumzeug und ging zu ihm.
Aurelius folgte ihr. »In Rimini bist du schon fast daheim«, sagte er. »Ein paar Stunden mit dem Schiff, und du warst in deiner Lagunenstadt. Was wirst du tun?«
»Ich komme zuruck«, erwiderte Livia. »Wie versprochen.«
»Unser Weg fuhrt ins Ungewisse«, antwortete Aurelius. »Wir lassen uns von den Traumen eines greisen Erziehers leiten, folgen einem Kaiser, der fast noch ein Kind ist und zudem von schlimmen Feinden bedroht wird. Ich finde es nicht klug von dir, uns auf dieser Reise begleiten zu wollen. Deine Stadt am Wasser wartet bestimmt schon sehnsuchtig auf dich, und deine Mitbewohner werden sich Sorgen machen, weil du einfach untergetaucht bist. Du hast doch sicher Angehorige, oder?«
Livia starrte reglos auf das Tal hinunter, auf das wei?e Nebelmeer, aus dem nur die hochsten Wipfel der Baume herausragten und ein winziges Dorf, das sich an die Kuppe eines Hugels klammerte. Aus den Schornsteinen der Hutten stiegen, Abendgebeten gleich, dunne Rauchsaulen in den sternenklaren Nachthimmel hinauf; das Bellen der Hunde wurde von der dunstig kalten Luft uber der Ebene gedampft. Seit er Flucht aus der
»Hattest du je gedacht, da? unsere Mission eines Tages diesen Verlauf nimmt?« fragte Aurelius, um Livia zum Sprechen zu bringen.
»Nein«, sagte sie. »Aber was ich denke, ist nicht wichtig.«
»Was ist uberhaupt wichtig?«
»Das, was wir hier drinnen spuren«, sagte sie und klopfte sich auf die Brust. »Warum gehst du denn mit dem Kaiser und seinem Lehrer? Warum habt ihr, du und deine Manner, beschlossen, ihnen zu folgen?«
»Weil ich diesen Jungen ins Herz geschlossen habe. Er ist so schutzlos ... die halbe Welt will ihn umbringen und die andere Halfte ware zumindest froh, wenn er stirbt. Auf seine jungen Schultern druckt eine immense Last, eine Last, die er unmoglich allein tragen kann ... Vielleicht folge ich ihm auch blo?, weil ich sonst nicht wu?te, was ich anstellen soll.«
»Ach? Und da willst du es Herkules gleichtun, der Atlas die Last des Himmelsgewolbes abgenommen hat?«
»Sarkasmus scheint mir hier fehl am Platze«, erwiderte Aurelius und wandte sich ab.
»Du hast recht«, erwiderte Livia, »verzeih mir. In Wahrheit hadere ich mit mir selbst, weil ich so dumm reingefallen bin, weil ich euch in dieses verruckte Abenteuer hineingezogen habe, ohne euch dafur belohnen oder entschadigen zu konnen, weil ich uns alle in todliche Gefahr gebracht habe.« »Und weil du den Kommandostab aus der Hand geben mu?test. Jetzt stehst du nicht mehr uber den anderen, sondern mu?t ihnen folgen, ohne zu wissen, wohin sie gehen und was dich erwartet.«
»Vielleicht auch deswegen. Ich bin es gewohnt, nach Plan zu handeln; alles Unvorhergesehene ist mir zuwider.«
»Ist das auch der Grund, weshalb du mich meidest?«
»Du meidest mich!« entgegnete Livia.
»Vielleicht ... haben wir Angst vor unseren Gefuhlen. Konnte das eine Erklarung sein?«
»Gefuhle ... Du wei?t nicht, wovon du redest, Soldat. Wie viele Kameraden hast du auf dem Schlachtfeld