Wasser gefullt war, stieg Dampf auf. Livia entkleidete sich und lie? sich ins Wasser gleiten, nachdem sie unter den erstaunten Blicken der beiden Magde ihre Waffen - zwei messerscharfe Dolche - am Rand der Wanne abgelegt hatte. Sie reckte die vor Kalte und Mudigkeit steifen Glieder und sog begierig die duftgeschwangerte Luft ein. Diese Erfahrung war vollig neu fur sie, noch nie im Leben hatte sie soviel Luxus genossen. Eine der Frauen massierte ihr mit einem Schwamm Schultern und Rucken, die andere wusch ihr sorgfaltig das Haar mit parfumiertem Wasser. Irgendwann tauchte Livia ganz in die Wanne ein, schlo? die Augen und hatte das Gefuhl, sich in dem herrlich warmen Wasser formlich aufzulosen. Nach dem Bad kleideten die beiden Magde sie in eine elegante, kunstvoll bestickte phrygische Tunika und steckten ihr weiche Pantoffel an die Fu?e, wahrend ihr Wams und die lehmverschmierte Lederhose an eine Waschfrau weitergereicht wurden.
Stephanus erwartete sie im Speisesaal und schritt ihr mit breitem Lacheln entgegen: »Unglaublich!« rief er aus. »Was fur eine Verwandlung: Du bist die schonste Frau, die ich je gesehen habe! Wundervoll!«
Livia war diese ungewohnte Situation etwas peinlich. »Ich bin nicht gekommen, um Komplimente abzuholen«, erwiderte sie deshalb sprode, »sondern das, was wir abgemacht hatten. Es ist nicht meine Schuld, da? die Dinge anders gelaufen sind, als vorhergesehen - ich habe meinen Auftrag erfullt und mu? meine Manner bezahlen.« »Vollig richtig«, erwiderte Stephanus in etwas distanzierterem Ton. »Leider hatte das Geld, das ich dir versprochen hatte, aus Konstantinopel kommen sollen und bei der augenblicklichen Lage, du verstehst ... Aber bitte, setz dich doch erst mal und i? etwas.« Auf einen Wink reichte ihr der Truchse? gerosteten Fisch und Wein.
»Ich brauche Geld«, hakte Livia nach. »Auch wenn es nicht die abgemachte Summe ist, gib mir, soviel du kannst. Diese Manner hatten mein Ehrenwort und haben ihr Leben riskiert. Ich kann sie nicht mit einem Handedruck abspeisen.«
»Das brauchst du auch gar nicht. Du kannst hierbleiben, solange du willst - mir wurdest du eine gro?e Freude damit machen und in Sicherheit warst du auch, denn deine Genossen werden es nicht wagen, dich hier zu suchen ...«
Livia steckte sich ein gro?es Stuck Fisch in den Mund und leerte einen ganzen Becher Wein. »Glaubst du das wirklich?« fragte sie dann. »Du vergi?t, da? diese Manner die Steilwand von Capri bezwungen, rund funfzehn Wachter umgebracht, den Kaiser befreit und halb Italien durchquert haben, obwohl Wulfila Hunderte von Verfolgern auf sie angesetzt hatte. Wenn sie wollten, konnten sie jederzeit hier auftauchen, mitten in diesem Raum.«
»So habe ich es nicht gemeint, nur da? ... ich meine, niemand konnte doch den Lauf der Dinge vorhersehen«, erwiderte Stephanus kleinlaut. »Was habt ihr denn jetzt mit dem Jungen vor?« fragte er dann.
»Ihn in Sicherheit bringen.«
»Wo? In deiner Stadt?«
»Das kann ich dir nicht sagen, wer wei?, ob uns jemand zuhort.«
Stephanus uberging ihren Mi?trauensbeweis und sagte: »Du hast recht, man kann nie vorsichtig genug sein. Die Wande haben Ohren hierzulande, besonders in diesen Zeiten.«
»Gut, dann gib mir jetzt eine Antwort. Ich mu? spatestens morgen fruh wieder aufbrechen.«
»Wieviel brauchst du?«
»Mit zweihundert Solidi ware mir geholfen. Das ist ein Bruchteil dessen, was wir abgemacht hatten.«
»Und doch eine betrachtliche Summe. Soviel Geld habe ich im Moment nicht da. Aber ich kann es kommen lassen.« Er rief einen Diener zu sich und flusterte ihm etwas ins Ohr, worauf dieser eilig verschwand. »Wenn alles gutgeht, ist das Geld morgen hier. So habe ich wenigstens das Vergnugen, dich heute nacht beherbergen zu durfen. Bist du sicher, nicht langer bleiben zu wollen?«
»Nein, wie ich dir bereits sagte: Ich mu? so schnell wie moglich weiter.«
Stephanus schien es aufzugeben, jedenfalls fuhr er fort zu essen, ohne noch etwas zu erwidern. Irgendwann aber schenkte er sich einen Becher Wein ein und setzte sich vertraulich neben sie. »Es gabe noch eine Moglichkeit, wie ihr an die ganze Summe kommen konntet ... ja an noch viel, viel mehr.«
»Wie?«
»Einer deiner Manner scheint ein Schwert zu besitzen ... etwas ganz Besonderes ... Der Griff soll die Form eines Adlerkopfs mit ausgebreiteten Schwingen haben. Du wei?t, wovon ich spreche, nicht?«
Livia nickte - die Sache abzustreiten, hatte keinen Sinn gehabt, Stephanus schien bestens unterrichtet zu sein.
»Ich kenne jemanden, der eine Riesensumme dafur bezahlen wurde. Das konntet ihr bestens gebrauchen, damit ware alles viel leichter.«
»Ja, blo? ich furchte, dieses Schwert ist wahrend eines Kampfs verlorengegangen«, log Livia.
Stephanus senkte den Kopf, um seinen Arger zu verbergen, und drang nicht weiter in sie.
»Was ist aus Antemius geworden?« fragte Livia, das Thema wechselnd.
»Er war es, der mich dringend zu sich rief, um mir zu sagen, da? ihr in Gefahr schwebt, weil sein Plan aufgedeckt worden ist. Er bat mich, euch zu retten; leider kam ich zu spat, aber wenigstens ist euch die Flucht gelungen ... Antemius habe ich seither nicht wiedergesehen, und ich furchte, auch wenig fur ihn tun zu konnen - vorausgesetzt, er ist uberhaupt noch am Leben.«
»Verstehe«, erwiderte Livia.
Stephanus richtete sich auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Willst du wirklich wieder in die Berge, in die Walder zuruck und leben wie ein gehetztes Tier? Hor doch auf mich, Livia, du hast bereits getan, was in deiner Macht steht, niemand kann verlangen, da? du noch langer dein Leben fur diesen Jungen aufs Spiel setzt. Bleib bei mir, bitte: Ich habe dich immer bewundert, ich ...«
Livia blickte ihn fest an. »Nein, Stephanus, das ist nicht moglich. Ich konnte niemals an einem Ort wie diesem leben, von soviel Luxus umgeben - dazu habe ich zuviel Leid und Elend gesehen.«
»Wo wollt ihr hin?« fragte er. »Vielleicht kann ich euch wenigstens helfen ...«
»Wir haben uns noch nicht entschieden. Und jetzt wurde ich mich gerne hinlegen, wenn du nichts dagegen hast. Ich habe schon viele Nachte nicht mehr richtig geschlafen.«
»Wie du mochtest«, erwiderte Stephanus und rief die Magde, damit sie Livia in ihr Gemach begleiteten.
Livia zog sich aus, wahrend die Frauen die Tonamphore mit Glut und Asche entfernten, die bis zu diesem Augenblick das Bett gewarmt hatte, dann schlupfte sie unter die Decke. Es war herrlich warm im Bett und roch wundervoll nach Lavendel, aber Livia fand trotzdem keinen Schlaf. Das Unwetter drau?en wurde immer heftiger; der Regen trommelte gerauschvoll auf Dach und Au?enterrassen; bisweilen drang das grelle Licht eines Blitzes durch die Ritzen der Fensterladen und lie? die Wande violett aufleuchten, und immer wieder schreckte jahes Donnerkrachen sie auf. Sie dachte an ihre Gefahrten, die wahrscheinlich irgendwo mitten im finsteren Wald zahneklappernd an einem qualmenden Lagerfeuer kauerten, und konnte kaum die Tranen zuruckhalten. Nein, sie wurde so fruh wie moglich wieder aufbrechen, so bald sie das Geld in Handen hatte.
In dem Saal im Erdgescho? sa? Stephanus gedankenversunken am Feuer und streichelte hin und wieder einen Mastiff, der neben ihm auf einer Strohmatte lag. Livias Schonheit hatte ihn aufgewuhlt; die Bewunderung und das Verlangen, die er empfand, seit sie sich an der Lagune zum erstenmal begegnet waren, verwandelten sich in Besessenheit bei dem Gedanken, da? sie nun in seinem Haus war, nur wenige Schritte von seinem eigenen Schlafzimmer entfernt, da? sie vermutlich mit nichts als einem dunnen Nachthemd bekleidet im Bett lag. Doch wie konnte er ein so wildes Geschopf je zahmen? Der Luxus und die Annehmlichkeiten, mit denen er sie verwohnt hatte, schienen nicht den geringsten Eindruck auf sie zu machen, ebensowenig die Verhei?ung einer gro?en Summe Geldes. Und er war sich sicher, da? sie ihn angelogen hatte, als sie ihm sagte, das Schwert sei verlorengegangen. Ach, dieses Schwert ... er hatte alles darum gegeben, es sehen oder gar anfassen zu durfen. Es war das Symbol der hei?ersehnten Macht und einer Art von Kraft, die er stets begehrt und nie besessen hatte.
Plotzlich kam eine der Magde herein und reichte ihm etwas. »Hier, das habe ich in den Kleidern deines Gasts gefunden«, sagte sie. »Ich wollte nicht, da? es beim Waschen Schaden nimmt.«
Stephanus sah, da? es sich um einen kleinen, zusammengefalteten Zettel aus Pergament handelte. »Gut gemacht«, erwiderte er und faltete den Zettel im Schein der Ollampe, die neben ihm brannte, auseinander. Ein einziger Blick auf die Miniaturlandkarte, und ihm war klar, welchen Weg Livia und ihre Gefahrten einschlagen wurden. Dann konnte er also doch noch an das wundersame Schwert kommen, und wenn er das erst mal hatte, vielleicht sogar an Livia ... Er drehte sich nach der Magd um, die gerade hinausgehen wollte. »Warte«, sagte er und gab ihr das Pergament zuruck. »Tu das wieder dorthin, wo du es gefunden hast.« Die Frau nickte und